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Der Klimawandel ist schon heute eine humanitäre Krise

von , 3.6.22

Konflikte, Armut, Ernährungsunsicherheit und Vertreibung werden mit durch den Klimawandel ausgelöst und verstärken sich gegenseitig. Die globale Klimakrise hat darum nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die globale Sicherheit, sie zwingt Millionen Menschen zur Flucht. Ein Beitrag zum Weltumwelttag am 5. Juni. 

Rauchende Häuserruinen und Menschen, die Tage oder gar Wochen in Kellern und Notunterkünften ausharren – die Bilder aus der Ukraine führen uns jeden Tag aufs Neue das Leid der Zivilist*innen vor Augen. Keine Frage: Dass mittlerweile über 6,8 Millionen Menschen die Ukraine auf der Suche nach Schutz und Perspektive verlassen haben, scheint für die große Mehrheit unserer Gesellschaft der einzig logische Ausweg aus dieser bedrohlichen Situation.

Doch nicht immer sind die Fluchtursachen so offensichtlich wie im Fall des völkerrechtswidrigen Angriffs durch Russland – und die Schicksale der Betroffenen auch bei Weitem nicht so medial präsent. Erst vor wenigen Tagen hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, einen neuen Negativrekord verkündet: 100 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die kontinuierlich steigende Zahl ist seit Jahren traurige Tradition. Hinter dieser schier unvorstellbaren Summe stecken auch viele Menschen, die ihre Heimat aufgrund einer Kettenreaktion verlassen mussten, deren Auswirkungen schon bald auch uns betreffen können oder es teilweise schon tun: Der Tag der Umwelt am 5. Juni ist ein guter Anlass, um über die Konsequenzen der Klimakrise auf die Situation von Flüchtlingen weltweit zu sprechen.

Für viele Menschen sind die negativen Folgen des klimatischen Wandels bereits hautnah zu spüren: Schwere Unwetter in immer kürzeren Abständen vernichten Existenzen und hinterlassen eine Schneise der Verwüstung. Langanhaltende Dürren führen zu Ernteausfällen und begrenzen den sowieso schon knappen Zugang zu überlebenswichtigem Trinkwasser. Und auch hierzulande nehmen Unwetter immer extremere Ausmaße an, wie das Hochwasser letztes Jahr im Westen Deutschlands auf tragische Weise bewies. Schon jetzt ist die Lebensmittelversorgung in vielen Regionen der Welt besorgniserregend. Und sie dient als Zunder für schwelende Konflikte: Wenn immer mehr Menschen um immer weniger Ressourcen konkurrieren, löst dies häufig gewaltsame Auseinandersetzungen aus, die Menschen dazu zwingen, aus ihrer Heimat zu flüchten – wenn sie sie nicht sowieso schon wegen der nicht länger hinnehmbaren Lebensbedingungen verlassen haben. 

Für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind die Konsequenzen dieser Entwicklung enorm: Klimawandel, Konflikte, Armut, Ernährungsunsicherheit und Vertreibung überschneiden sich zunehmend. Ein Großteil der Flüchtlinge stammen aus armen, krisengeschüttelten Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, aber kaum Ressourcen haben, um die Auswirkungen zu verhindern oder abzumildern.

 Andrew Harper, Special Advisor für Klimaschutzmaßnahmen des UNHCR, brachte es im Mai bei einer Konferenz zur Friedenserhaltung in der Klimakrise im Auswärtigen Amt in Berlin auf den Punkt: »Die Klimakrise wirkt sich bereits auf die globale Sicherheit aus. Wir müssen lokale Kapazitäten aufbauen, Daten in Maßnahmen umsetzen und auf allen Ebenen zusammenarbeiten.«

Die Folgen des Klimawandels zeigen sich aber nicht nur in den Fluchtbewegungen selbst: Welche Auswirkungen massive Flüchtlingsströme auf die Umwelt und das Ökosystem haben können, wurde zum ersten Mal 1994 nach dem Völkermord in Ruanda deutlich, als hunderttausende verängstigter und zu Tode erschöpfter Menschen in Regionen flüchteten, die einem solchen Ansturm nicht gewachsen waren. Auf der täglichen Suche nach Brennholz wurden Millionen von Bäumen gefällt, Tansania verbrauchten die Flüchtlinge mehr als 1.200 Tonnen Holz täglich. Doch seitdem hat sich glücklicherweise viel verändert. Bei der Planung von Flüchtlingsprogrammen berücksichtigt der UNHCR immer auch ökologische Aspekte: Wiederaufforstung und die Förderung von nachhaltiger Wasser- und Landwirtschaft, die Sanierung von Flächen nach der Rückkehr und nachhaltige Aufklärungsarbeit sind dabei wichtige Bestandteile der Hilfe für Geflüchtete.

Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist der Fall der Rohingya-Geflüchteten in Kutupalong im Südosten Bangladeschs – mit etwa 630.000 Bewohner*innen ist es das größte Flüchtlingscamp weltweit. Kutupalong liegt in einer für Naturkatastrophen anfälligen Region: Von Mai bis Oktober ist das Camp von extremen Regenfällen bedroht, die im Zuge des Klimawandels an Härte und Heftigkeit zunehmen. Erdrutsche, Überschwemmungen und Stürme haben in den letzten Jahren immer wieder hunderte Unterkünfte beschädigt oder zerstört. Diesen widrigen Umständen stellen sich die Flüchtlinge mit grüner Technologie entgegen: Um der Abholzung der umliegenden Gebiete entgegenzuwirken, verteilt der UNHCR einen alternativen Brennstoff – Flüssiggas (LPG).  Kochherde wurden optimiert, sodass die Bewohner*innen kein Brennholz mehr aus dem nahe gelegenen Wald sammeln müssen. Zudem pflanzen die Bewohner*innen Vetiver Gras an: Das langwurzelige Süßgras stabilisiert den Boden und die Hänge und lenkt die Wassermassen während der Monsunzeiten. Die solarbetriebene Wasserversorgung im Camp spart zusätzlich Energie ein und verringert auch die Emissionen. 

Auch die Bewohner*innen des Flüchtlingscamp im jordanischen Azraq setzen mittlerweile vollständig auf saubere Energie: Hier leben etwa 80.000 syrische Flüchtlinge. Einer von ihnen ist Abdullah, der in Syrien als Elektriker arbeitete und jetzt für die Versorgung mit Solarstrom verantwortlich ist. Dank ihm und der Unterstützung des UNHCR-Teams vor Ort können die Menschen dort nun mit erneuerbaren Energien ihre Lampen nutzen, Handys aufladen und ihre Lebensmittel kühlen.

Das engagierte Handeln der Flüchtlinge in Kutupalong und Azraq zeigt den starken Willen, ihr Schicksal und auch ihre Umwelt aktiv mitzugestalten. Und es weist uns den Weg in die richtige Richtung: Spätestens jetzt braucht es einen ambitionierten Einsatz und langfristige Maßnahmen – getragen von Staaten und Zivilgesellschaften – um sicherzustellen, dass sich diejenigen, deren Lebensgrundlage durch die diversen Krisenherde unserer Zeit bedroht und zerstört werden, auf eine hoffnungsvolle Perspektive und einen sicheren Zufluchtsort verlassen können.

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