von Franz Sommerfeld, 9.10.15
Noch vor Wochen rief Horst Seehofer seine Freundin Angela zur Kanzlerkandidatin des Jahres 2017 aus. Mit seiner Drohung, gegen die von ihm mit getragene Bundesregierung vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, hat er eine Grenze überschritten, hinter die er sehr schwer wieder zurück kehren kann. Konsequenterweise sollte er seine Minister aus der Regierung zurück ziehen, damit sie sich nicht an verfassungsfeindlichen Entscheidungen beteiligen müssen. Diese Drohung leitet eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU ein und geht über die Straußsche Drohung gegenüber Kohl hinaus, bundesweit zu kandidieren. Seehofer ist nicht so ein harter Hund wie Strauß, der, wenn es wirklich Ernst wurde, kaltblütig den Rückzug einleitete.
Seehofers verfassungsfeindliche Drohung, eigene Massnahmen an der Grenze einzuleiten, sind in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel, weil die Sicherung der deutschen Grenze auch im Freistaat Bayern dem Bund obliegt. Merkel wird sich dem stellen müssen und dieser Herausforderung kaum ausweichen können. Damit geraten die vernünftigen bayerischen Massnahmen der Stellenaufstockung in den Hintergrund. Die CSU begibt sich in ihren Verlautbarungen auf einen katalanischen Weg. Wird sie die Erwartungen erfüllen?
Das Seehofersche Getöse zeigt letztlich, dass es wenig ernsthafte Alternativen zur Merkelschen Politik gibt. FAZ-Herausgeber Berthold Kohler fragt heute in einem ratlosen Kommentar: “Niemand will, dass Deutschland sich einmauert wie die DDR. Doch heißt das im Umkehrschluss, man könne niemanden mehr davon abhalten, nach Deutschland zu kommen? Kann ein Staat tatsächlich nicht mehr bestimmen, wer sein Gebiet betritt? Ist die Souveränität der Staaten auch in dieser Hinsicht nur noch eine Illusion, Schengen ein Scherz?” Diese Flüchtlingsbewegung ist wie eine große Flutwelle von Menschen. Sie kommt über Deutschland und Europa, ausgelöst durch die Lage in den Heimatländer der Flüchtlinge, nicht durch Merkel-Selfies. Und wie es bei Flutwellen so ist, lassen sich die Ursachen nicht kurzfristig beheben. Man kann mit Sandsäcken manches stopfen, vieles nicht. Es sei denn, die Regierung versucht den bayerisch-ungarischen Weg einer Einmauerung und Einzäunung unter Einsatz von Waffen. Das wird nicht funktionieren, und alle wissen es. Die Entscheidung der Bundesregierung, die Flut mit einer Vielzahl von konkreten Massnahmen besser zu steuern, ist die richtige.
Diejenigen, die Merkel ihre Zuversicht (“wir schaffen das”) vorhalten, sind zu fragen, ob sie denn wollen, dass die Bundeskanzlerin erklärt, die Integration von 1 Million oder mehr Menschen sei dem 80-Millionen-Volk unmöglich. Absurd. Für Merkel ist das die zentrale Frage ihrer Kanzlerschaft. Weil es nicht die große Alternative geht, muss sie diesen Weg weiter gehen. Vielleicht verschafft ihr Seehofers Wüten ein wenig zusätzliche Akzeptanz in der eigenen Partei. Ob das vorhält, ist zu bezweifeln. Gelingt es ihr, die Flüchtlingskrise in der laufenden Legislaturperiode in geordnete Bahnen zu führen, wird sie nicht noch einmal kandidieren. Sie muss nicht die von ihr vorgestellte, informative Schröder-Biografie von Gregor Schöllgen über Aufstieg und Fall ihres Vorgängers lesen. Sie hat das selbst verfolgt und genau analysiert. Es ist ihr zuzutrauen, dass sie seine Fehler nicht wiederholt.
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