von Frank Hartmann, 25.10.08
Diese Frage stelle McLuhan, ein Medientheoretiker der ersten Stunde, bereits 1951, und zwar in seiner Sammlung furioser Analysen zur neuen Medienkultur, publiziert als Die mechanische Braut. Ihm war völlig klar, dass neuen Medien – damals das Fernsehen – nicht eine Bedrohung der Zeitung sind, sondern dass die Zeitung selbst durch die „jazzige Ragtime-Diskontinuität von Artikeln“ mit den Lesegewohnheiten der Buchkultur längst gebrochen hat.
Keine Spur von Kulturapokalypse, sondern pfiffige und provokante Mikro-Analysen von Printwerbung waren es, die den Literaturwissenschaftler zur Einsicht kommen ließen, dass da eine neue Medien-Gebrauchskultur im Entstehen ist – ganz unabhängig von guter oder schlechter Redaktionspolitik.
Wie langweilig – und medientheoretisch kurzsichtig – sind dagegen gerade heute wieder diese ewigen Volksbildner mit ihrem belehrend erhobenen Zeigefinger: Lesen! Lesen! Lesen! Sonst zerstört der technologisch beschleunigte Medienwandel die Lesekultur und reißt die Demokratie auch gleich mit ins Grab.
Was für ein Schwachsinn. Einmal abgesehen davon, dass ich die Wissenschaftlichkeit der grassierenden These einer angeblich sinkenden Lesefähigkeit der Jugend anzuzweifeln wage, wäre es schön, auch einmal eine Wahrheit auszusprechen. Den Zeitungen nämlich schwimmen zunehmend die Felle davon – ihre Anzeigenkunden. Gelesen wird heute mehr denn je, nur eben nicht alles und nicht von allen. Aber um diese Frage geht es gar nicht. Jeder Publizistik-Erstsemester weiß, dass eine Zeitung nicht von ihren Lesern lebt, sondern von Anzeigenerlösen und staatlicher Presseförderung. Wären die Probleme der Einnahmemöglichkeiten im Internet schon gelöst, wäre die gedruckte Tageszeitung längst schon jenes Nischenprodukt, zu dem sie unweigerlich tendiert.
Worum geht es aber dann eigentlich, vorausgesetzt man will sich nicht mit einem Pauschalverweis a la „It’s the economy, stupid!“ aus der Affäre ziehen? Nun, die Falle der Kulturapokalypse lauert genau dort, wo die Prämierungskriterien des überkommenen Mediensystems „Zeitung“ an die multimedialen neuen Medienformate angelegt werden. Dort, wo aus einem Blick in den Rückspiegel das Kriterium für „Qualität“ konstruiert wird.
Übersehen wird, dass ein spezifischer Mediengebrauch wie „Lesen“ kein Wert an sich ist. Lesen allein bringt keine guten oder schlechten Menschen hervor. Es geht auch nicht darum, dass Zeitungsredaktionen qualitativ höherwertigen Lesestoff produzieren als das durchschnittliche Angebot im Netz. Was die politische und publizistische Elite nicht verkraftet ist die Tatsache, dass mit den neuen Medien neue Kulturen des Gebrauchs entstanden sind.
Medienkompetenz ist heute breiter gestreut denn je. Wer immer nur will, kann publizieren statt nur rezipieren. Klar, dass das nicht ins Bild der publizistischen Qualitäts-Rettungsdienste passt. Und dann wird in diesem Schwurbeldiskurs die Keule von einer Gefährdung der Demokratie hervorgeholt. Demokratie aber wird nicht erhalten durch das brave Lesen von Leitartikeln in Printmedien, sondern durch die umfassende Wahrnehmung des Rechts auf Partizipation.
Angeblich funktioniert unsere Demokratie „zur Not auch ohne Autos, aber nicht ohne Journalismus“. Es würde sich lohnen, diese von einem bekannten Medienjournalisten kürzlich vorgetragene These ausführlicher zu zerpflücken. Irgendwie sind Autos (Transport) und Journalismus (Information) zwei Seiten derselben Münze. In der Medienkultur aber vollzieht sich gerade eine Art Währungsreform.
Ich belasse es bei dem Hinweis, dass die „mechanische Braut“ bei McLuhan das Auto war, mit dem sich jeder ordentliche amerikanische Mann verlobte. Sobald diese Braut aber fest mit ihm verheiratet war, wollte er es more sexy und lebte sich daher mit dem jüngeren „elektronischen Callgirl“ aus: dem Fernsehen. Und so ist das eben – man wendet sich dahin, wo einem etwas geboten wird.