von Thomas Wiegold, 12.3.13
Nein, eine wirklich gute Presse hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière in diesen Tagen nicht. Seine Kritik am Gieren nach Anerkennung der Soldaten, die er nach einem Proteststurm ein wenig abschwächte. Sein Lapsus nach einer NATO-Verteidigungsministerkonferenz, als er sich bei den US-Truppenzahlen in Afghanistan nach 2014 vertat. Zuvor schon die merkwürdige Position in der Drohnen-Debatte, als er die unbemannten Flugsysteme zur ethisch neutralen Waffe erklärte, das aber auch bald danach wieder zurücknahm. Und dann kürte ihn die Zeit auch noch zum Einsamsten Mann von Berlin.
Als einzig echten Fehler, der ihm unterlaufen ist, dürfte de Maizière die falsche Bekanntgabe der Truppenstärke am Hindukusch ansehen. Große, unvermeidbare Fehler – die haben mich schon als Schüler nicht sehr geärgert. Aber kleine Flüchtigkeitsfehler, zu denen ich damals neigte, die haben mich viel mehr geärgert, bekennt der Minister in dem Buch Damit der Staat den Menschen dient, das am Montag in Berlin vorgestellt wurde.
Auf rund 380 Seiten, sehr kundig interviewt vom SZ-Kollegen Stefan Braun, blättert de Maizière da nicht nur seinen politischen Werdegang auf, vom Redenschreiber des damaligen Berliner Bürgermeisters Eberhard Diepgen über seinen Beitrag zum Aufbau der DDR-Regierung nach der Wende und verschiedene Staatssekretärs- und Ministerämter in ostdeutschen Ländern bis zum Posten des Verteidigungsministers. Grundton der teilweise sehr persönlichen Betrachtung: In einem Staatswesen muss alles seine Ordnung haben, und wer Glück hat und das Geschick mitbringt, kann Einfluss auf die Gestaltung dieser Ordnung nehmen – darf aber nie grundlegend an ihr rütteln.
Wir haben eine Aufgabe zu lösen. Eine Regierung ist nicht dazu da, dass einzelne Leute möglichst lange Minister bleiben, sondern sie hat eine Pflicht zu erfüllen: Sie muss das Land gut regieren. Sie muss ihre Wahlversprechen umsetzen und zugleich auf neue Entwicklungen reagieren, beschreibt de Maizière sein Regierungs- und Pflichtverständnis.
Für ihn fängt das gut regieren schon im Organisatorischen an: Ich habe mein halbes Leben Organigramme gemalt, erzählt der CDU-Politiker. Ihn auf die Funktion einer Büroklammer zu reduzieren, wie es Kritiker gerne tun, würde dieser Haltung allerdings nicht gerecht. Denn auch, wenn er die Bedeutung einheitlicher Schrifttypen auf Ministervorlagen wortreich begründen und betonen kann: für de Maizière ging das Malen von Organigrammen immer einher mit der Ausübung von Macht – wer die Organigramme malt, bestimmt auch über Funktionen und Personen. Das ging teilweise sogar so weit, dass er solche Kästchen zeichnete, obwohl er selber gar nicht Teil des Apparats war, den er da entwarf: bei der Organisation der DDR-Regierung unter seinem Vetter Lothar de Maizière, den er als aus dem Westen abgeordneter Berater unterstütze, kamen Funktion und Person von Thomas de Maizière in diesen Organigrammen gar nicht vor.
Organisation ist Politik, diesen Leitspruch des früheren SPD-Bundesvorsitzenden und zeitweiligen Vizekanzlers und Bundesministers Franz Müntefering hat sich de Maizière offensichtlich zu eigen gemacht. Müntefering hat am Montag das Buch vorgestellt – und so oft, wie der SPD-Politiker direkt oder indirekt als Referenz in den Aussagen des Ministers in diesem Interview-Werk auftaucht, ist das keine Überraschung. Dazu gehört, auch das typisch de Maizière, dass er eine zu enge Nähe zu Müntefering entweder wirklich vermieden hat oder eher abstreitet – und das beileibe nicht nur, weil es sich um einen politischen Gegner handelt: Müntefering und Steinbrück sind die, die mich am meisten beeindruckt haben. Die größte Nähe hatte ich mit Steinmeier und Steinbrück, erinnert sich der damalige Kanzleramtschef an die Zeit der großen Koalition. Beeindruckt, aber nicht nahestehend.
Nähe ist für de Maizière ohnehin kein Kriterium politischen Handelns – im Gegenteil. Angela Merkel kennt er aus den Zeiten der Wende 1989/90, und über die Jahrzehnte waren beide beruflich eng miteinander verbunden. Dennoch antwortet er auf die Frage Sind Sie Freunde seit der Zeit? glasklar und knallhart: Sie ist meine Chefin, und da kann sie nicht meine Freundin sein. Beim Vertrauen sehe das anders aus – und er könne auch Leuten vertrauen, denen er nicht nahestehe. Das gilt, so schildert der langjährige Minister (wenn auch auf verschiedenen Posten), auch für seinen Führungsstil: Er führe durch Vertrauen, aber das setze auch gute Leute voraus. Vor allem aber loyale Leute.
Diese Einstellung ist eng verbunden mit de Maizières Auffassung zum Grundthema des Buches: Dem Dienen. Anschaulich schildert der Minister das bei seinen Überlegungen nach Angela Merkels Anruf, die ihn zum Kanzleramtschef machen wollte – und damit den Verzicht auf Ministeramt und Landtagsmandat in Sachsen forderte. Die Bundeskanzlerin hat das Recht, wie ein Fußballtrainer ihre Mannschaft aufzustellen. Feierabend! Da kann ich nicht sagen: »Ja, aber ich möchte es lieber so.« Woher er diese Auffassung des Dienens hat? Auch von meinem Vater. Der war Soldat, er wurde versetzt. Das gehört dazu, und dann macht man das. Für ihn eine Selbstverständlichkeit, die er – so zieht es sich durch das Buch – aber auch von Untergebenen und Mitarbeitern erwartet.
Kritik daran, von unten nach oben, ist in diesem Weltbild nicht vorgesehen. Eher beiläufig erwähnt de Maizière in dem Abschnitt über seine Zeit als Bundesinnenminister und seine Haltung zum Internet auch, was er von massenhaftem Widerspruch im Netz, den so genannten Shitstorms, hält: Das finde ich lästig und ärgerlich, aber nicht bedrohlich. Und ich schließe nicht aus, dass man sich dagegen auch mal wehren kann. Technisch, in einiger Zeit. Auch Protest, heißt das, kann man ausblenden. Notfalls mit technischen Mitteln.
Auch, wenn in Damit der Staat den Menschen dient etliche Aussagen enthalten sind, die man schon in Vorträgen oder anderen Interviews gehört hat: Das Bild vom Politiker Thomas de Maizière rundet sich mit diesem Buch. Ein Bild, das bestimmt ist vom Vorrang der Obrigkeit – auch wenn es eine demokratisch legitimierte Obrigkeit ist. Dazu passt auch die Frage, die in den Interviews ziemlich am Ende der 380 Seiten nicht fehlen darf: die nach dem Willen und Wunsch, Kanzler zu werden. Das verneint de Maizière, wie schon oft zuvor. Und lässt sich dann doch die Aussage entlocken: Ich bin jetzt 59. Aber wenn es so weit käme und wenn mich etwas wirklich locken würde, dann würde ich auch kämpfen. Dann würde ich schon zugreifen. Die Entscheidung muss ich dann fällen. Nicht jetzt.
Ich wage die Vermutung, was ihn wirklich locken würde: Sich als erster Diener des Staates sehen zu können.
(Eine persönliche Randbemerkung: Ich habe das Buch auch deshalb mit großem Interesse gelesen, weil die darin geschilderte Karriere des Politikers Thomas de Maizière von den späten 1980-er Jahren bis heute zeitlich ziemlich deckungsgleich ist mit meiner Arbeit als politischer Journalist. Und ich wichtige Entwicklungen wie die Verhandlungen über den Einigungsvertrag als Beobachter verfolgt habe, während de Maizière – hinter den Kulissen – an der Aushandlung mitwirkte. Die Abschnitte über diese Zeit waren deshalb für mich das Spannendste, weil auch Neue, an diesem Buch.)
Crosspost von Augen geradeaus!