von Michael Schmalenstroer, 21.7.14
Früher war alles besser. Grundsätzlich. Immer. Vor allem damals, als wir selbst jung waren. Wir waren nämlich wie jeder Abijahrgang grundsätzlich der beste Jahrgang überhaupt. Richtig tolle Hechte. Den Eindruck kann man gewinnen, wenn man die aktuelle Berichterstattung der FAZ über Studierende betrachtet. Da keilen alte Menschen unreflektiert gegen die aktuelle Studentengeneration und fühlen sich noch nicht mal schlecht dabei.
Jugendliche und auch Studierende sind immer stark von den äußeren Gegebenheiten und vor allem von der Schule geprägt. In der Schule haben sie die meiste Zeit ihres bewussten Lebens verbracht und konnten sich dank Schulpflicht auch nicht dagegen wehren. Führt also eine Landesregierung die Ganztagesschule ein, ist es Blödsinn, wenn alte Menschen meckern, dass Jugendliche sich etwa weniger ehrenamtlich engagieren oder seltener in einen Sportverein gehen. Die Jugendlichen müssen halt zwangsweise, ohne sich wehren zu können, deutlich länger in der Schule sitzen. Die Zeit fehlt daher woanders.
Das gilt auch für das Alter oder die Lebenserfahrung: Durch frühere Einschulung, Abitur nach 12 Jahren und den Wegfall der Wehrpflicht kommen Studenten mittlerweile satte 3 Jahre jünger an die Universitäten.
Früher, als der Babyboomer die freiheitlich-demokratische Grundordnung noch 18 Monate lang gegen die Sowjets verteidigen durfte, kamen sie noch später, älter und vielleicht erwachsener an die Universität. Dafür können nur die politischen Entscheider etwas – dem Abiturienten bleibt keine Wahl. Macht er erst mal 3 Jahre eine Ausbildung, beschwert sich die Wirtschaft in der FAZ, dass alle ihre Azubis danach studieren gehen.
Gammelt er 3 Jahre lang einfach so nichtstuend herum, steigt ihm das Jobcenter aufs Dach, und der FAZ-Kommentator schäumt. Geht er studieren, ist er für die FAZ zu jung. Geht er ins Ausland, säuft er nur. Was soll man also machen?
Auch die Kritik an den Bologna-Studenten ist heuchlerisch: Der Bologna-Prozess wurde 1998 beschlossen und in den 2000ern umgesetzt. Damals hatte die heutige Generation kein Wahlrecht. Jetzt steht sie vor der Wahl, entweder auf Bachelor zu studieren, oder gar nicht. Beeinflussen konnte es der Jugendliche, der damals noch ein Säugling war, nicht. Der Magister mag noch so toll gewesen sein, es gibt ihn nicht mehr.
Dazu kommt noch ein kleines, schmutziges Geheimnis, das die universitären Entscheidungsträger gerne verschweigen: Sie hatten bei der Einführung der BA-/MA-Studiengänge enorme Freiheiten. Sie haben sie aber größtenteils nicht genutzt.
So basiert der BA auf den vielgescholtenen Modulen. Diese Module und die Modulteile kann man aber unterschiedlich hart definieren. Wer im 4. Semester eine Pflichtvorlesung in südlicher Assyrologie mit Schwerpunkt Metallkunstbearbeitung während der Herrschaft Assurbanipals in die Studienordnung schreibt und dann logischerweise nur eine entsprechende Veranstaltung anbietet, sollte sich nachher nicht über die “Verschulung” des Studiengangs beschweren.
Es ginge auch anders, aber im Kompetenzgerangel verschiedener Lehrstühle, die alle ihre Themen aus Bestandsschutzgründen unbedingt in den neuen Studiengang einbringen mussten, ist der BA das geworden, was er ist. Es ist kein Geheimnis, dass vielerorts der gesamte Magisterstoff irgendwie in die sechs BA-Semester gequetscht wurde. Die Studierenden haben damals übrigens in vielen Fällen protestiert, haben in den Unigremien aber natürlich nichts zu sagen.
Übrigens: Wer innerhalb weniger Semester zig verschiedene Prüfungsordnungen produziert und sich jetzt beschwert, dass das System zu unübersichtlich ist, der hat einfach zu Beginn seine Hausaufgaben nicht gemacht.
Aber zurück zur FAZ. In einem “Weckruf” verbreitet sie so viel Blödsinn, dass man einfach mal genauer hinschauen muss.
Es gibt nur zwei Bauwerke auf der Erde, die vom Weltall aus zu erkennen sind: die Chinesische Mauer und der Turm aus Bewerbungsmappen, die sich kein Mensch durchgelesen hat. Täglich liefern Drohnen neue Bewerbungsmappen dorthin. Der Grund dafür ist, dass normale Menschen es nicht mehr aushalten, diese Mappen in ihrer Nähe zu wissen, ähnlich wie beim Atommüll.
Aus den Mappen strahlt der Geist der jungen Akademikergeneration. O Gott, aua: der Lebenslauf. Eigentlich ist es eher ein Lebensmarsch, im Stechschritt über drei bis vier Seiten.
Mal abgesehen davon, dass die chinesische Mauer eigentlich nicht aus dem Weltall zu sehen und nur aufgrund ihres Schattenwurfes zu bestimmten Tageszeiten aus dem niedrigen Orbit der ISS zu erahnen ist: Was bleibt denn dem Einzelnen übrig? Ohne Bewerbungsmappe ist die Bewerbung auf einen Job nun mal nicht erfolgversprechend. Wer sich auf einer Leberwurstpelle bewirbt, muss schon Sohn des Chefs sein, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Ich kenne keinen, der Spaß am Bewerbungsprozess hat. Es ist ein entwürdigendes Verfahren, bei dem man seine Bewerbungen an diverse Firmen und Institutionen schickt und dann nichtssagende Absagen bekommt. Die Alternative wäre die Arbeitslosigkeit, und auch da droht die Mappe – wer Hartz IV bezieht, wird von seinem Jobcenter zum – richtig: Abschicken von Bewerbungen verdonnert.
Der “normale Mensch” der FAZ ist also jemand in einer festen, unkündbaren Stellung, der sich eben nicht mehr bewerben muss. Aber halt:
Der öffentliche Dienst ist die ideale Basis, um den Erlebniszoo, als den wir die Welt erkannt haben, bewahren zu können.
Sucht der junge Mensch also verzweifelt die unkündbare Stellung, damit er sich nicht ständig bewerben muss und in den Augen der FAZ zum “normalen Menschen” wird, ist das auch wieder schlecht.
Nach Bologna nimmt die akademische Jugend die Farbe der Grottenolme an. Bleich hocken die Studierenden in müffelnden WG-Zimmern und noch nachts in überfüllten Bibliotheken. Dort büffeln sie sich die Bachelor-Punkte zusammen. Sonnenlicht sehen sie, wenn sie zur Vorlesung hetzen, Bewegung verschaffen sie sich beim Aufzeigen im Seminar, wenn der akademische Pauker etwas fragt.
Strengt sich ein junger Mensch über alle Maßen an, um sich durch Bildungsbeflissenheit einen Platz in der Gesellschaft zu erarbeiten, der ihm nicht schon vererbt wurde, ist das offenbar auch doof.
Die Jugend nutzt die Technik – sie hat aber wenig Ehrgeiz, die Technik weiterzuentwickeln. Die technische Experimentierfreude scheint ihr abhandengekommen zu sein. Selbst von denen, die sich für ein ingenieurwissenschaftliches Studium entscheiden, geben 40 Prozent schon in den ersten Jahren an der Universität wieder auf.
Ihnen fehlt das notwendige Basiswissen in den Fächern Mathematik und Physik. Offenbar versäumen Elternhaus, Schule und Wirtschaft, statt begeisterter Handynutzer auch begeisterte Handyerfinder auszubilden.
Warum ist diese Aussage Unfug?
Zum einen, weil natürlich diverse Jugendliche die tollsten Dinge zusammenbauen. Man muss dafür nur mal ins Internet schauen. Aber noch frappierender ist die technische Ahnungslosigkeit: Moderne Smartphones sind absolute Hightech-Produkte und gehen an die heute möglichen Grenzen der Miniaturisierung. An einem iPhone lötet man eben nicht mal eben was, wie es früher an der Stereoanlage oder am C64 noch ging. Und wenn der junge Erfinder diese Hürde überwunden hat, wird er wegen Patentverletzung von Apple in Grund und Boden geklagt.
Ganz abgesehen davon ist es natürlich ein Versagen der universitären Lehre, wenn sich gerade Mathematiker und Naturwissenschaftler hinstellen und Leute rausprüfen, weil ihnen aus der Schule die nötigen Voraussetzungen fehlen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass der Unistoff da einsetzt, wo die Schule aufhört. Verkürzt sich die Schulzeit oder ändern sich dort die Lehrpläne, muss auch der Prof seine Lehre daran anpassen.
Das Ärgerlichste ist aber die Geschichtsvergessenheit, die aus diesem Artikel spricht: Aus der verklärenden Sicht des Alters war in der eigenen Jugend alles super. Die klügsten Menschen waren an der Uni, in der Mensa bildeten sich spontan Adorno-Lesekreise, keiner hatte Smartphones, also lasen alle in der Straßenbahn Suhrkamp-Bücher. Jedes Wohnheim hatte mindestens drei Orchester. Selbst im ersten Proseminar waren alle (damals männlichen) Studenten perfekt vorbereitet, und natürlich kamen sie mit einer ganzen Bibliothek von Marx über Adorno bis hin zu Habermas unter dem Arm, um den armen Professor zu widerlegen.
Es ist ein Wunder, dass es in dieser Generation ob der getragenen Büchersammlungen so wenige Bandscheibenvorfälle gibt. Abends in der Kneipe ging es natürlich niemals um die blonde Kommilitonin, sondern nur um die Revolution in Nicaragua oder die politische Lage in Vietnam. Und der Lebenslauf war völlig egal, da man selbst als Bummelstudent oder Teilzeitterrorist jederzeit einen Job bekam.
Die tragische Wahrheit ist: Heute ist vieles anders als damals, als die FAZ-Autoren und ihre Leser jung waren. Und die junge Generation passt sich dem an.
Wer zunehmend mit befristeten Verträgen konfrontiert ist, sucht den Ausweg im Beamtentum, wo eine lebenslange Anstellung und Planbarkeit noch machbar sind. Wer in die Länder der Eurozone mit über 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit schaut, weiß, dass er lieber nicht 3 Semester als herumstreifender Haschrebell durch Berlin ziehen sollte.
Wer von Personalabteilungen sofort aussortiert wird, wenn der Lebenslauf nicht den Kriterien im Computer entspricht, optimiert ihn und schreibt jeden Blödsinn rein. Das Letzte, was man dann noch braucht, sind Weckrufe von der FAZ.
Crosspost von schmalenstroer.net
- Katharina Nocun: Babyboomer, was geht?
- Juliana Goschler: Sieben Weckrufe und eine Liebeserklärung
- Charlotte Jahnz: Der unrebellische, tiefstapelnde Grottenolm oder: mein Tag im Hass
- Löschbeirat: Geh weg, Weckruf