#Anspruchshaltung

Crowdwashing

von , 17.6.14

Beim klassischen Crowdfunding werden potentielle Produkte direkt an die potentiellen Abnehmer herangetragen:
 

Wirf 50 € in den Topf, und wenn 50.000 € zusammenkommen, wird diese Kaffeemaschine in Gartenzwergform Realität und Du bekommst eine der ersten!

 
Auf der größten Plattform, Kickstarter, wurden beispielsweise nach diesem Modell im Jahr 2013 von 3 Millionen Menschen insgesamt 480 Millionen US-Dollar eingesammelt. Die Virtual-Reality-Brille Oculus Rift wurde so mit Kapital versorgt, genau wie eine kaum noch überschaubare Zahl an Videospielen, kleinen technischen Gimmicks oder Büchern.

Nicht alle Projekte sind dabei “klassisches Crowdfunding” in dem Sinn, dass sie ohne ein erfolgreiches Funding gar nicht existieren würden. Mittlerweile gibt es bei Plattformen wie Flattr oder Patreon auch Möglichkeiten, Menschen für die Dinge, die sie sowieso tun, zu unterstützen.

Crowdfunding ist aber mehr, als nur eine Möglichkeit, für das eigene Projekt Geld einzusammeln.

Crowdfunding trägt den Begriff der Crowd schon im Namen und impliziert damit eine Form der Gemeinschaft gegen die übermächtigen Powers-that-be:
 

Wir hier werfen alle gemeinsam Geld zusammen, damit wir endlich die gartenzwergförmige Kaffeemaschine haben können, die SIE nicht finanzieren wollen!

 
Crowdfunding gibt sich wie Punk: als Widerstand gegen bestehende Strukturen.

In diesem Framing gedacht, wirkt Crowdfunding wie ein perfekter Ansatz für das Netz: die logische Weiterentwicklung der Ideen des Internets in den Bereich der Ökonomie. Es ist dezentral und verteilt die “Last” auf viele einzelne, alleine möglicherweise eher “schwache” Peers. Dieser Ansatz ist disruptiv und nimmt den wenigen mächtigen Entitäten, die bisher als Gatekeeper vor dem Zugang zum Markt sitzen (indem sie beispielsweise Gründungsfinanzierung liefern), ihre exklusive und exkludierende Macht.

Unabhängigkeit at last!

Aber es ist was faul im Staat Crowdfundia. Dabei ist eine der offensichtlichsten Gefahren sicherlich die Ökonomisierung sozialer Beziehungen, wie es Christoph Kappes nannte. Denn bei der ersten Ansprache potentieller Unterstützer wird üblicherweise das engere soziale Netzwerk involviert: “Freunde, ich brauche Euch euer Geld.“

Nun ist es nicht verwerflich, die eigenen Freunde und Kontakte auch in ökonomischen Fragen um Hilfe zu bitten¹, und bei gemeinsamen Interessen befriedigt so eine Kampagne sogar möglicherweise ein bestehendes Bedürfnis der Peergroup.

Die eigenen sozialen Beziehungen auf diese explizite Weise in wirtschaftliche Verhandlungsmasse umzusetzen, fühlt sich dennoch eher ungut an. “Beziehungen sind das neue Öl”?

Denn bei allen Versprechungen macht Crowdfunding eben nicht unabhängig. Es macht abhängig von anderen, nicht mehr von der Bank oder einem anderen Kapitalgeber, sondern vom eigenen weiteren sozialen Umfeld.

Natürlich sind wir alle immer abhängig von den Menschen um uns, das ist ja, was ein soziales Netzwerk² ausmacht. Durch Crowdfunding überlagern wir allerdings unsere Supportstrukturen mit einer finanziellen Ebene, die die Beziehungen sehr schnell belasten kann: Wenn Freunde zu Investoren werden, wird der Projektfehlschlag schnell zum Ende einer Freundschaft.

Insbesondere bei Medien-Crowdfunding für Bücher, Spiele oder Journalismus birgt eine solche Verbindung zu den Lesenden oder Spielenden auch deutliche Gefahren: Wie reagiert mein Publikum, wenn ich Dinge schreibe oder produziere, die nicht direkt den Wünschen meiner Unterstützer entsprechen?

Wo vorher Verlage oder Publisher Publikationen vorfinanzierten, und die Lesenden diese dann halt kauften – oder nicht -, ist das Publikum selbst nun Vorfinanzierer mit einer daraus abgeleiteten, anderen Anspruchshaltung. Die gefeierte Unabhängigkeit entwickelt sich so schnell zu einer andersartigen, geistigen Fessel.
 

Crowdfunding, Foto: Simon Cunningham/LendingMemo.com, CC BY

Crowdfunding, Foto: Simon Cunningham/LendingMemo.com, CC BY

 
Crowdfunding ist immer auch Werbung.

Es ist ein einfacher Weg, eine große Menge Buzz zu generieren, schon bevor es überhaupt ein Produkt gibt. Geld einzusammeln, bevor man irgendetwas geliefert hat. Crowdfundende sind mehr als nur Käufer, sie sind gefühlt am Entstehungsprozess beteiligt und so auf einem ganz anderen Level motiviert, auch ihre eigenen Freunde vom Projekt zu überzeugen.

Eine solche Goldgrube bleibt natürlich nicht lange unausgebeutet. Durchaus erfolgreiche Filmemacher nutzen mittlerweile Crowdfunding, um Filme zumindest teilweise zu finanzieren. Das minimiert das Risiko für das Filmstudio: Die Werbekampagne ist eingebaut und relativ günstig, und es muss weniger eigenes Geld eingesetzt werden. Die eventuellen Profite aus dem Verkauf des Films bleiben natürlich trotzdem beim Studio.

Doch auch für die Funder ist Crowdfunding nicht nur eine Möglichkeit, endlich die Produkte zu bekommen, von denen man immer geträumt hat. Es ist auch problematisch.

Das Investitionsrisiko liegt verteilt auf jedem und jeder Einzelnen. Doch können die Menschen, die das Geld beisteuern, wirklich einschätzen, ob der Projektplan oder das versprochene Projekt überhaupt realistisch sind? Haben sie die Fähigkeiten und das Wissen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen?

Wer schon mal was crowdgefundet hat, wird wissen, wieviele der Projekte ihre Deadlines nicht einhalten. Nicht wenige Projekte fallen nach dem erfolgreichen Funding direkt in Funkstille und lassen lange nichts von sich hören bis dann irgendwann das Scheitern des Projektes verkündet wird. Jedes Entwicklungsprojekt birgt Risiken, desto größere, je deutlicher bekannte Wege verlassen werden.

Für das oft kaum einschätzbare Risiko, welches die Crowd trägt, bekommt diese nur das Produkt selbst. Keine Teilhabe, keine Aktien, keine Mitbestimmung. Die Firma, deren Produkt Oculus Rift die Crowd finanziert hatte, wurde kürzlich für 2 Milliarden US-Dollar an Facebook verkauft. Die Crowd, die durchaus Teil hatte an diesem Erfolg, sah davon nichts.

Crowdfunding kleidet sich gerne in den Mantel der Alternative zum bestehenden System: In der Crowd ist alles kuschelig, und es geht nur um coole Projekte, die die bösen Firmen nicht wollen oder nicht verstehen.

Aber Crowdfunding ist eben nicht “Kapitalismus light”. Es ist einfach Kapitalismus.

Crowdfundende sind normale Investoren, nur ohne Teilhabe, ohne Aktien, und ohne Partizipation bei Erfolg³. Crowdfunding ist das Image, die Idee der Alternative oder des Widerstands, weil es keine Alternative gibt, oder einfach Widerstand zu sein.

Analog zum Greenwashing möchte ich deshalb den Begriff des Crowdwashings einführen. Crowdwashing ist eine Form der PR, die durch das Finanzierungsmodell “Crowdfunding” die Idee von Community und Teilhabe auf das eigene Produkt projiziert, ohne diese tatsächlich anzubieten.

Crowdfunding ist nicht generell schlecht. Viele wundervolle, alternative Projekte wurden auf diesem Weg erst möglich gemacht.

Wenn man allerdings die Ebene des Aktivismus und der Überzeugungstaten verlässt, wird Crowdfunding schnell zu alternativromantischer Beteiligungs-PR und zur Übervorteilung von Menschen, denen der Zugang zu bestimmten Fähigkeiten oder Informationen fehlt. Und das ist wenig revolutionär und “Internet”, sondern eher “same shit, different day”.
 


 

¹ Ich habe erst kürzlich dasselbe getan []

² Nicht die Softwareplattform, sondern diese Dinger, in denen wir gemeinsam leben []

³ Es hat gute Gründe, dass Investoren immer Aktien für ihr Geld nehmen []

 
Crosspost von connected. Der Text steht unter einer CC BY-SA 4.0-Lizenz

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