#Bundestagswahl

Bundestagswahl: Was ist eigentlich 2009 anders?

von , 17.8.09

Lange Zeit war das „Mach’s wie Gerd, Frank!“, die klammheimliche Hoffnung der SPD-Anhänger auf einen furiosen Endspurt ihrer Partei. Drei Monate benötigte Gerhard Schröder bei seinen Wahlkämpfen 2002 und 2005, nach riesigem Rückstand jeweils „im toten Rennen“ die Ziellinie zu ereichen. Jetzt ist die Hälfte dieser Aufholzeit bereits vorbei, doch nichts hat sich bewegt. Damals hatte die SPD bereits sechs des 12-Prozentpunkte-Rückstands wett gemacht. Diesmal keinen einzigen.

Was ist eigentlich in diesem Jahr anders? Nicht unbedingt die Leistung der Genossen, einmal abgesehen von Steinmeiers uneinholbarem Rückstand in der Kanzlerfrage. Anders ist vor allem die bleierne, die Aufholjagd zerstörende Stille, die über dem Wahlkampf liegt. Was Schröder tat, wurde zum Medienhighlight, des Kanzlers Machogetue Headline. “Kann Schröder es noch mal ‚wuppen’?” war ein glaubhaftes Topthema. Steinmeier hingegen sinniert und konzeptioniert, macht Wahlkampf mit stoischer Gelassenheit, nicht mit Saft und Kraft.

Nett statt keck. Stille statt Wille. Friede statt Hiebe! So ist kein Herzschlagfinale möglich.

Im Leistungs- und Kompetenzurteil wird die SPD keineswegs schlechter bewertet als 2005. Etwa 35 Prozent der Wähler bescheinigen der SPD „gute Arbeit“, kaum weniger der Union. Mit der Regierungsarbeit sind sogar mehr Wähler zufrieden als vor sieben und vier Jahren. Im Kompetenzprofil liegt die SPD zwar in sieben der zehn wichtigsten Politikfelder hinter der CDU/CSU. Aber auch das war 2005 ähnlich. Und Steinbrück und Steinmeier gehören zu den fünf besten Ministern dieser Legislaturperiode. Einer mehr als 2005.

Nicht die politische Arbeit, die politische Stimmung ist also die zu hohe Hürde. Und der große Unterschied zu den vorausgegangenen Bundestagsentscheidungen: Der Wahlkampf will einfach nicht in die Gänge kommen. Schlimmer noch: Je öfter das Herzschlagfinish früherer Zeiten thematisiert wird, umso stärker der Aufholdruck, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, den Hoffnungen gerecht zu werden, desto lethargischer die Wähler.

Wahlkampf ist Psychologie. Und Frank-Walter Steinmeier ist Jurist.

Deshalb kann der Herausforderer auch Kanzler, nicht aber Kanzlerkandidat. Erst Recht nicht aus der Position des Vizekanzlers. Denn gerade in Krisenzeiten geht für ihn nicht Konfrontation, sondern Kooperation. Steinmeier kann nicht morgens gemeinsam regieren und abends polarisieren.

Steinmeiers Pech: Er besitzt nicht das Imageprofil eines Gerhard Schröder. Er ist der männliche Merkel. Und wo sich der letzte SPD-Kanzler noch auf eine namhafte Riege von Ministerpräsidenten verlassen konnte, sind die letzten der SPD-Riege bundesweit längst gescheitert.

Deshalb ist vor allem das politische Klima das bis zum Wahltag unlösbare Problem der SPD:

  • Das Sicherheitsempfinden begünstigt die Union umso mehr, je prekärer die Zeiten werden: Rezession wählt Wirtschaftskompetenz, Konjunktur wählt Verteilungskompetenz.
  • Eine Wechselstimmung ist zwar vorhanden, bei den meisten aber hin zu Schwarz-Gelb.
  • Vor allem, weil die SPD keine Machtoption hat, so lange 91 Prozent der Wähler nur eine Chance der SPD als Juniorpartner der Union sehen.
  • Was ist das Thema? Worum geht es eigentlich bei der Wahl? Diesmal nicht um Krieg oder soziale Sicherheit. Nie zuvor gab es so wenig Konfliktstoff zur CDU. Auch weil diese geschickt sozialdemokratische Positionen übernimmt.
  • Was passiert wirklich mit den SPD-Stimmen? Solange 40 Prozent den Genossen zutrauen, im Zweifelsfall auch eine Koalition mit der Linken einzugehen, ist bei keiner Partei die Unsicherheit, eine unerwünschte Regierung gewählt zu haben, stärker ausgeprägt.
  • Wofür steht der Kanzler? Steinmeier ist der 67-Seiten-Deutschland Plan – Schröder der Mann der drei klaren Botschaften. Das einzige Wahlziel, Schwarz-Gelb zu verhindern, hat längst kein Dämonisierungspotential mehr.

Das größte Hindernis aber sind die Genossen selbst: Die self-fulfilling prophecy, also der Glaube, es doch noch zu schaffen, war die herausragende Dominante der Schröder Wahlkämpfe. Wenn sechs Wochen vor der Wahl aber nur noch 30 Prozent der SPD-Anhänger an ein “gutes Ergebnis” glauben, dann unterscheidet gerade diese fehlende Siegeszuversicht die Steinmeier- von der ehemaligen Schröder-SPD.

Der Glaube versetzt Berge, Zweifel dagegen führen direkt ins Tal.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.