#EU

Brot und Spiele: Der Völkerball der Währungsunion

von , 18.3.10

Früher hieß es “Brot und Spiele”. Das war die zynische Maxime einer Politik, die eine milde Unzufriedenheit als die Voraussetzung dafür erkannt hatte, ungestört die eigenen Interessen verfolgen zu können.

Dann gab es ein paar Jahrtausende später die teutonische Variante dieser Politik, die erst unter der Maxime “Volk ohne Raum” Europa und die halbe Welt in Trümmer legte und die dann, sechzig Jahre später, scheinbar zivilisierter, Völkerball in der Währungsunion spielt. Die Unterschiede sind bekannt. Die fatalen Folgen der zivileren Variante gelangen allmählich in den Blick.

Wenn der Riese zum eigenen Wohle Völkerball mit dem schweren Medizinball spielt, dann kleben der kleine Grieche und irgendwann auch der engste Verbündete zerschmettert an der Turnhallenwand. Die Folgen sind vorhersehbar. Sie sind fatal auch für den teutonischen Riesen. Keiner will mehr mit ihm spielen. Das war vor 110 Jahren nicht ganz anders.

Die Metaphern wirken etwas bemüht, zugegeben. Aber so kann man den Sachverhalt veranschaulichen, der hinter den Interventionen der klugen französischen Finanzministerin steckt. – Manche Pariser Spatzen wollen wissen, dass sie bald Außenministerin werde. Man muss sich den Kontrast zwischen ihr und dem noch amtierenden deutschen Außenminister vor Augen führen.

Auf die Intervention Mme Lagardes hat der deutsche Wirtschaftsminister schmallippig eingeräumt, dass damit eine seit längerem geführte Diskussion in europäischen Gremien an die Öffentlichkeit gelange. Weiter keinen Kommentar. Außer der freundlichen Empfehlung, sich an Deutschland doch eher ein Beispiel zu nehmen. Auch dieser Staatsmann erweist sich damit als untauglich für seinen Posten.

Warum ist das so? Die Geschichte der Europäischen Union können wir als Erfolgsgeschichte lesen. Der Gottseibeiuns und Paria der Völkergemeinschaft hat sich zivilisiert eingefügt in das europäische Miteinander. Im Gegenzug konnte er wachsen, wachsen, wachsen. Um weiter zu wachsen, hat der europäische Staatsmann Helmut Kohl als gelernter Historiker (und fleißiger Leser der Bibliothek des Deutschen Bundestags) immer darauf geachtet, einen Weg des Kompromisses und des Interessensausgleichs zu gehen.

Zugegeben, einmal hat auch Helmut Kohl den Fehler von zu groß gewachsenen Männern begangen. Damals sprach er zum Ärger der seefahrenden Nation davon, dass nicht das langsamste Schiff dem Geleitzug das Tempo diktieren dürfe. Die Eiserne Lady (oder war es schon John Major?) ließ darauf erwidern, dass der Geleitzug in der maritimen Metaphorik keine andere Funktion habe, als das langsamste Schiff zu schützen.

Diese Weisheit ist der christlich-liberalen Koalition abhanden gekommen. Der Riese greift schon wieder zum schweren Medizinball und gibt den Rat, dass die indolenten Nachbarn sich gefälligst zusammenreißen sollten, damit sie wieder deutsche Produkte kaufen können. Die Bereitschaft dazu geht über in den Sturzflug. Der Wink mit dem Medizinball wirkt nicht mehr.

Der Intervention Mme Lagardes folgte gestern ein scharfsichtiger Leitartikel in der Financial Times. Martin Wolf setzt China und Deutschland zusammen auf die Anklagebank der Völkergemeinschaft. Ex-Exportweltmeister und amtierender Exportweltmeister – Wolf fasst sie zusammen als “Chermany” – begängen den Fehler, volkswirtschaftliche Lektionen nach gusto des eigenen Wohlergehens zu erteilen. Vulgo: Kauft weiterhin unsere Produkte! Hört endlich auf, euch dafür zu verschulden! Es sei denn die deutschen Landesbanken (Daseinsvorsorge!!) und die chinesische Währungsschatulle finanzieren den Schuldenberg ihrer Kunden, bis alle zusammen pleite sind.

Die Andeutungen, die Frau Merkel in ihrer Rede am 17. März im Deutschen Bundestag machte, setzen dem unschönen Spiel die Krone auf. Wer angenommen hätte, dass ihre ultima ratio eines Austritts aus der Europäischen Währungsunion den überschuldeten griechischen Käufer deutscher Waffen gemeint hätte, irrt. Die ultima ratio Wolfgang Schäubles, sagt Martin Wolf in der Financial Times, bezöge sich auf Deutschland, das zwar weiterhin Mitglied in der EU bleiben wolle, sich aber eines Tages dazu gezwungen sehen könnte, die Währungsunion zu verlassen.

Am Horizont verdüstern sich die Wolken. Der doubledip eines zweiten Absturzes nach dem September 2008 wird immer wahrscheinlicher. Einer der größten Mitspieler in der Ereigniskette, die zu der Krise geführt hat, mimt die selbstgerechte Unschuld vom Lande.

Diesen Beitrag veröffentlichte Hans Hütt zuerst in seinem Rhetorik-Blog. Crosspost mit freundlicher Genehmigung.

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