#US-Demokratie

Breaking sad #6: Welche Farbe hat Facebook? Digitale Plattformen im US-Wahlkampf

Was gegenwärtig in der Diskussion steht, ist mehr als ein »journalistischer Bias« oder ein unfaires Framing zur Beeinflussung der Agenda. Die heute inkriminierten Inhalte – zuletzt nichts geringeres als die Integrität der Präsidentschaftswahl – sind ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Gesellschaft.

von , and , 2.11.20

Die Schlammschlacht, die sich jenseits des Atlantiks Präsidentschaftswahlkampf nennt, wäre ohne das rechte Medienimperium von »Breitbart« bis Fox ebenso wenig vorstellbar wie ohne soziale Medien. Seriöser Journalismus wird so systematisch abgewertet, gilt gar als »unamerikanisch«. 

Facebook, Twitter und andere Plattformen spielen auch im laufenden Präsidentschaftswahlkampf eine wichtige Rolle. Das ist an sich nicht sonderlich verwunderlich oder gar neu: Bereits zur Präsidentschaftswahl 2008 hatte Barack Obama Social Media auf breiter Front in seine Kampagne integriert. Damals besaß aber z. B. Facebook längst nicht die milliardenstarke Reichweite von heute; Plattform-Effekte waren deutlich geringer. Und doch war seinerzeit schon während der&nbsp Primaries auffällig, wie populär Obama auf diversen sozialen Medien war, bei Twitter, Facebook und sogar auf MySpace (die Älteren erinnern sich: eine Plattform mit einem Schwerpunkt: Musik). Im Verlauf des Wahlkampfs übersetzte Obama dann das Potenzial sozialer Medien systematisch in politisches Kampagnen-Kapital, allen voran mit einer Plattform, die sich an der Funktionsweise von Facebook orientierte: Auf MyBarackObama.com (kurz: MyBO) konnten Unterstützer*innen Profile anlegen und sich engagieren. 

Nach der Wahl Obamas bewies sich das neue Weiße Haus als Schrittmacher einer modernen Regierungskommunikation. Auch die Einrichtung eines offiziellen präsidentiellen Twitter-Accounts geht darauf zurück. Im Rückblick sind daher durchaus Ähnlichkeiten zur aktuellen Amtsführung zu erkennen – aber selbstverständlich und bei weitem nicht, wenn es um die Schärfe oder die Frequenz geht, mit der Präsident Trump die Tastatur bemüht. Jedoch profitierte natürlich auch Obama von seiner Prominenz und konnte zentrale Positionen in den sozialen Netzwerken besetzen. Die Plattform-Ökonomie bot auch ihm den Zugang zu großen Publika – und damit einer effektvollen Regierungs-PR. 

Tatsächlich verschob sich schon damals das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem politischen Journalismus in Washington. Obama ist aber deutlich subtiler vorgegangen als sein Nachfolger im Amt. Der Umgang mit dem White House Press Corps war seinerzeit kooperativer und diplomatischer. Strukturell nutzte aber eben auch Obama die Möglichkeiten sozialer Netzwerke, um sich selbständig mit quasi-journalistischen Mitteln unmittelbar an die Bevölkerung zu wenden. Und selbst in der Wahl der Mittel war er gelegentlich nicht zimperlich: Insbesondere seine Facebook-Kampagne nutzte Verfahren, die jenen von Cambridge Analytica nicht unähnlich waren – das »Ernten« von Daten und die Abfrage von Nutzerprofilen.

Obamas Erbe?

Der Gedanke, Donald Trump habe einige dieser Vorarbeiten übernommen und lediglich mit der ihm eigenen »Stilistik« gefüllt, greift allerdings zu kurz. Die beiden Obama-Kampagnen von 2008 und 2012 setzten ihre Schwerpunkte auf die Mobilisierung von Wähler*innen und Unterstützer*innen. Bei Trump kamen 2016 viel stärker Demobilisierung und Desinformation zum Vorschein, auch im Verbund mit ausländischen Akteuren (zumindest ohne Distanzierung gegenüber einer foreign interference durch Trollfabriken). Dabei ist der Übergang von Obama zu Trump sicher nicht als »normaler« Modernisierungsprozess der professionellen politischen Kommunikation zu lesen. Denn Trumps digitale Sprachpraxis darf man als Überquerung eines kommunikativen Rubikon fassen: Schon während der Präsidentschaftskandidatur war kein gemeinsamer Gesprächshorizont zu erkennen, keine Verpflichtung zu einer verantwortlichen Kommunikation. Mit anderen Worten: Es wurde schon 2016 gelogen auf Teufel komm raus. Und daran hat sich auch nach dem Einzug ins Weiße Haus wenig geändert. Das ist wohl das wirklich neue im politischen Raum. Und hier liegt dann der große Unterschied zu Barack Obama – Trump kennt allein sich und seine Interessen. Genau das ist ein Bruch mit einer präsidentiellen, dem Amt und darüber der Nation verpflichteten Kommunikation.

Nicht nur rhetorisch, auch handwerklich unterschied sich das Vorgehen von Donald Trump und seinen Mitstreitern durch eine radikalere Nutzung der technologischen Möglichkeiten, vor allem bezüglich der Werbung bei Facebook. Dabei handelte es sich zunächst überwiegend um dark posts, die nur für die jeweils adressierten Zielgruppen sichtbar waren. Diese wurden dann in hunderten und tausenden minimal modifizierten Anzeigen-Varianten ausgespielt, um die Performance der Inhalte durch A-/B-Testing zu optimieren. Insbesondere die Trump-Kampagne elaborierte diese intransparenten Formate und bediente sich dabei der Expertise der Plattformen, die im engen Austausch mit einem guten Kunden den Einsatz neuer Tools forcierte: Populismus und plattformisierte politische Kommunikation sind zumindest affin.

Warum eigentlich ist das überhaupt möglich? Man darf daran erinnern: »Früher« wären Korrektive – z. B. ein unabhängiger Journalismus – für einen Spitzenpolitiker, der ein derartiges Verhalten an den Tag legte, so etwas wie eine Gefahr. Heute kann Trump geflissentlich vergessen, dass »linke«, »betrügerische« Medien ihn kritisieren. In einer polarisierten Medienlandschaft und einer polarisierten Gesellschaft und mit einer basisplumpen Wahlstrategie kann man (und muss man womöglich sogar) tatsächlich jeden Zweifel an eigenen Positionen ignorieren. Hätten vor vielleicht zehn Jahren amerikanische Spitzenpolitiker zumindest vorwegnehmend an die Folgen radikaler reality perception control gedacht (und denken müssen), so scheint weiten Teilen inzwischen der Gedanke abhanden gekommen zu sein, dass ihre Äußerungen nicht nur von der eigenen Basis gehört werden. Dem folgt – nicht ganz inkonsequent – auch eine gewisse Belanglosigkeit traditioneller Politikangebote. So macht es dann womöglich sogar »Sinn«, dass die Republikaner bei ihrer diesjährigen Convention keine Zeit auf so etwas wie ein Wahl- oder Regierungsprogramm verschwendeten. 

Datenwahlkampf

Nach wie vor spielt data operation im Wahlkampf einen bedeutenden Part. Die dafür aufgebrachten Finanzen steigen kontinuierlich an – und doch bleiben sie noch weit hinter den Ausgaben für traditionelle TV-Spots in den regionalen Fernsehmärkten zurück. Kostenseitig betrachtet nimmt das Fernsehen also nach wie vor eine Spitzenposition ein. Auch das Interesse am handelnden Personal hat nachgelassen. Home Stories wie jene um Harper Reed, einen Nerd-Hipster des Obama-Wahlkampfs von 2012, gibt es schon länger nicht mehr.

Relevant allerdings ist die demonstrative Nutzung digitaler Technologien. Das gilt nicht nur für die Kampagnen selbst, sondern auch für Organisationen aus dem Umfeld der Kandidaten. Ein Beispiel dafür ist im Lager der Demokraten das Konglomerat Pacroynm/Acronym – also ein Super PAC zur Spendeneinwerbung und eine korrespondierende operative Einheit. Tara McGowan – eine Verantwortliche aus der 2012er Obama-Kampagne – stellt dort einen Mitarbeiter vor, der 2016 bei Facebook für die Betreuung des Anzeigenkunden Trump abgestellt worden war und dessen Stab die digitalen Instrumente von The Donald optimieren sollte. Mit einem ganz ähnlichen Ansatz wird nun die Neigung von Wählergruppen analysiert, um sie dann gezielt anzusprechen. Hier geht es weniger um die eher unproblematische Strategie, affine Segmente der Wählerschaft zu eruieren und zu mobilisieren, als darum, in relevanten Bundesstaaten wankelmütige Wähler individuell zu identifizieren, um sie dann über ein digitales Hypertargeting mit den »richtigen« Inhalten zu versorgen. 

Zu diesem Zweck wurde unter dem Titel »Courier« eine eigene Medienorganisation gegründet, deren (zum Teil lokale) Berichterstattung dann als »sponsored content« verbreitet wird. Das mag vor dem Hintergrund der Dominanz rechtsgerichteter Publikationen bei Facebook rational erscheinen. Bedenklich stimmt allerdings das hier präsentierte Narrativ: sozialtechnische Prozeduren als Königsweg politischer Kommunikation auf digitalen Plattformen.

Im Vergleich zu vergangenen Kampagnen hat sich das Verhältnis zwischen dem Silicon Valley und dem politischen Machtzentrum in Washington deutlich verändert. War die Beziehung in den Vorjahren noch kooperativ, so ist sie gegenwärtig eher »kompliziert«. Unterschiedliche Formen der electoral content moderation erwecken insbesondere an der Ostküste den Eindruck, es gehe kontroverser zu zwischen der Politik und den Digitalunternehmen. Die Kampagne 2016 mit der (mindestens) unterschwelligen Wahrnehmung, Trumps ungezügelte digitale Kommunikationsstrategie habe einiges beigetragen zu seinem Wahlsieg, hat offenbar zu einem Umdenken geführt. Dieser Prozess verläuft jedoch eher langsam, kleinschrittig und auch keineswegs einheitlich. 

Eingriffe, Politisierung?

So waren noch während der Zwischenwahlen 2018 aktive Eingriffe in das digitale Werbeverhalten kaum zu beobachten. Und die Netzwerkunternehmen haben sich selbst bis dahin auch nicht als relevanter Teil einer politischen Öffentlichkeit verstanden – vergleichbar etwa mit Zeitungsredaktionen. Erst im Frühjahr 2019, also deutlich nach den Midterm Elections, gab Facebook mit der »Ad Library« Einblicke in das Online-Anzeigen-Geschäft – ein recht ungewöhnlicher Schritt in Richtung Datentransparenz.

Und bei Twitter lässt sich immerhin ein gewisses Erschrecken darüber erkennen, welche durchaus problematische Kommunikation über ihre Plattform läuft. Offenbar geht das auch auf kontroverse Diskussionen in der Belegschaft des Konzerns zurück. Dem folgte jedenfalls der vollständige Verzicht auf politische Werbung. Außerdem ist das Vorgehen gegen falsche oder missverständliche Angaben zum Wahlverfahren oder gegen die Verherrlichung von Gewalt durch den Präsidenten etwas forscher als bei Facebook. Schließlich wird gegen die virale Verbreitung von Desinformation auch entschiedener am Plattformdesign gearbeitet: Durch adding friction sollen das bruchlose Teilen von Inhalten erschwert und Nutzer zur Reflektion angeregt werden. Dieses Verfahren basiert auf einer schon längeren Debatte darüber, wie auf Twitter eine healthy conversation geführt werden könne.

Im Gegensatz dazu bleibt bei Facebook vieles unklar, weil man den Kern des Geschäftsmodell nicht gefährden will – also die algorithmische Personalisierung und Priorisierung von Inhalten. Während bei Twitter die Nutzer die chronologische Auslieferung der Inhalte aller von ihnen abonnierten Akteure in ihrem Feed beibehalten können, ist die Präsenz in der Facebook-Öffentlichkeit stärker darauf angewiesen, dass Inhalte algorithmisch gereizt werden – entweder indem sie spektakulär (emotional, radikal, polarisierend) sind, oder indem für die zielgruppengenaue Verbreitung bezahlt wird. Dem folgt für die USA eine Dominanz boulevardesker sowie rechtspopulistischer Angebote was die Popularität angeht.

Dass Facebook nun, wenige Wochen vor der Wahl, trotzdem in einem bislang ungekannten Ausmaß in der Präsidentschaftswahl Inhalte moderiert, ist schließlich der akuten Bedrohung elektoraler Integrität geschuldet. Weil pandemiebedingt die US-Wählerschaft sich in einem enormen Ausmaß auf die Briefwahl verlässt, wird das eigentliche Auszählverfahren wohl deutlich über den Wahlabend hinaus reichen. Und dementsprechend ist mit De-Legitimation und »Störfeuer« zu rechnen, nicht zuletzt, weil eine faktische Niederlage Trumps einigermaßen wahrscheinlich erscheint. Einem möglichen verfassungspolitischen Schurkenstück möchten die Social Media-CEOs offenbar doch nicht Vorschub leisten. Bezeichnenderweise deuten Trump und andere Republikaner dieses Vorgehen dann als Beleg für die schon länger ventilierte (empirisch nicht haltbare) These von einer systematischen Zensur konservativer Inhalte durch das liberale Silicon Valley.

Die Farben der Medien

Mit Blick auf die US-amerikanische Medienlandschaft, die sich bei den Traditionsmedien vergleichsweise sauber entlang der Parteilinien sortieren lässt, könnte man genauso nach der politischen »Einfärbung« der digitalen Plattformen fragen. Mit dem Aufkommen der radikalen Talk Radio-Formate, dem kommerziellen Erfolg von Fox News oder einem Netzwerk wie Breitbart.com ist jedenfalls das republikanisch-konservative Medienspektrum klar konturiert.  Zumindest zwischen Twitter und Facebook lassen sich Unterschiede erahnen. Twitter mutet, vor allem durch kritische Aussagen von CEO Jack Dorsey in Richtung Trump-Content, tendenziell regierungskritisch an. Bei Facebook dagegen fällt eine Einschätzung schwerer – nicht allein wegen des dort deutlich vielfältigeren Meinungs- und Kommentar-Spektrums, sondern auch aufgrund eines zögerlichen und ausweichenden Mark Zuckerberg, der kein Interesse an einer Positionierung erkennen lässt und sich eher als »Postbote« versteht, den man bloß nicht für Inhalte verantwortlich machen sollte. Allerdings lässt Zuckerberg umgekehrt auch keine explizite Sympathie für das republikanische Lager erkennen.

Hinsichtlich der klassischen Medien sollte dabei festgehalten werden, dass meist eine wirtschaftliche Perspektive auch im Nachrichtenwesen dominiert. Was Fox News z. B. im Kern ausmacht, ist dann eine ökonomische Orientierung nach rechts, also eine monetär getriebene parteipolitische Fokussierung und Strategie, die Roger Ailes als Gründungsdirektor ausdrücklich so formulierte und exerzierte. Die zahlenmäßig eigentlich erstaunlich begrenzte Reichweite einzelner Ideology-Talks (»Hannity« erreicht nicht mehr als drei und fünf Millionen Menschen) wird durch das hybride Mediennetzwerk enorm gesteigert. Dafür sorgt zum Beispiel das Ausspielen entsprechender Formate via Social Media (insbesondere auch Youtube). In einer ähnlichen Hinsicht kopiert der Kabelsender mit seiner Nachrichtengebung (Emotionen, Aufregung, Sensation) nicht nur den Print-Boulevard, der anfangs tatsächlich Vorbild war, sondern dann auch Faktoren algorithmischer Sortierung insbesondere bei Facebook.

So gesehen haben (rechtsgerichtete) Boulevard-Rabauken also bei Facebook wie auch bei Fox einen Aufmerksamkeitsvorsprung, der eigentlich nur dann verringert werden könnte, wenn das zugrunde liegende Geschäftsmodell in Frage gestellt würde. Dieser strukturellen Kopplung wohnt ein Radikalisierungsmoment inne, wenn selbst Verschwörungstheorien, die von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden als extrem eingeschätzt werden, mit Blick auf das ökonomische Prinzip toleriert werden. Oder anders ausgedrückt: während etwa Fox News dadurch ideologisch konnotiert ist, weil man ein bestimmtes Publikum avisiert hat (als Reaktion auf die Struktur einer alten Medienöffentlichkeit), findet man bei Facebook eine technologische Strukturierung in einer neuen Medienumgebung, die sich erst in zweiter Linie politisch formiert. Insofern schimmert dann nicht Facebook als Ganzes in der ein oder anderen Politik-Farbe, aber politische Nuancen kommen durch die Plattformstruktur dort besser zu Geltung, als in anderen Kommunikationsumgebungen wie etwa bei Twitter.

Regulierung?

»REPEAL SECTION 230!« twitterte Trump zuletzt am 28. Oktober 2020 – der vorläufig jüngste Tweet des Präsidenten in einer langen Reihe an Attacken auf Twitter seit Ende Mai. Denn damals, mitten in der Covid-19 Krise, war das Unternehmen verstärkt zu content moderation übergegangen und markierte dann auch präsidentielle Äußerungen als mutmaßlich gefährliche Inhalte. Trumps Schrei nach Regulierungsmaßnahmen darf gelesen werden als Anknüpfung an die Diskussion um eine Cancel Culture, die in den USA vornehmlich im rechten politischen Spektrum geführt wird. Dass die Aufhebung der »Section 230« (des Communications Decency Act) von 1996 sicher kein leichtes Unterfangen ist, dürfte Trump durchaus bewusst sein. Aber dieser Streit darüber, ob Social Media Plattformen überhaupt inhaltlich eingreifen dürfen bzw. umgekehrt nicht verantwortlich für die von Usern eingestellten Inhalte sind (genau dies gewährt »Section 230«), dieser Streit lässt sich in das Narrativ der politisch überkorrekten Linken fassen, die das libertäre Amerika attackiere. 

Insofern geht es also nicht nur um eine politische Färbung bestimmter Social Media-Plattformen, sondern natürlich auch darum, ob und auf welcher Grundlage eine solche politische Orientierung unterstellt werden kann. Diese Debatte wirkt aus europäischer Sicht gelegentlich hysterisch – etwa, wenn Verschwörungstheoretikern wie Alex Jones der digitale Zutritt verwehrt wird. Was diesseits durchaus Verständnis auslösen mag angesichts der Dinge, die man nicht verbreitet sehen will, wird in weiten Teilen Amerikas als fundamentaler Angriff auf individuelle Freiheitsrechte verstanden. Die Meinungsfreiheit genießt in den USA im Vergleich zu den meisten europäischen Demokratien einen höheren Stellenwert. Das ist durchaus mit der Bedeutung der Presse in der amerikanischen Revolution zu sehen – jedenfalls muss man im Ergebnis feststellen, dass auch die politische Kultur Amerikas durch eine Tradition geprägt wird, in der nur in wirklich seltenen Fällen Äußerungen oder eben Inhalte »reguliert« werden können.  

Dazu passt auch das zuletzt von Trump abgebrochene Interview bei Sixty Minutes: Denn mit der Entwicklung insbesondere der elektronischen Medien geht auf konservativer Seite die Beobachtung einher, systematisch benachteiligt zu werden. Tradition hat nicht nur der Verweis auf die Meinungsfreiheit, sondern auch eine gewisse Opferhaltung – die liberalen Medien würden genau diese Freiheit beschneiden und sind daher nichts weniger als un-amerikanisch.Tatsächlich ist das eine Haltung, die sich bis in die 1950er Jahre zurückverfolgen lässt – und mit dem Streit um content moderation auf den Social Media-Plattformen halt »nur« in einem modernen Gewand erscheint.

Also alter Wein in neuen Schläuchen? Nicht ganz. Denn selbst wenn man auf republikanischer Seite hinter dem »Ausflaggen« problematischer Botschaften oder dem Blockieren oder Ähnlichem eine gewisse Kontinuität der Ungleichbehandlung sehen kann, so handelt es sich doch um gänzlich anders gelagerte Inhalte. Was gegenwärtig in der Diskussion steht, ist eben nicht ein journalistischer Bias oder ein unfaires Framing zur Beeinflussung der Agenda. Es ist auch nicht die Rede von Unfug oder – etwas unfein: Bullshit. Die heute inkriminierten Inhalte – zuletzt nichts geringeres als die Integrität der Präsidentschaftswahl – sind ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Gesellschaft.




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