von Vera Bunse, 20.5.12
Während bereits am frühen Morgen Gruppenreisende ungeachtet ihres Alters und Reiseanlasses am Frankfurter Hauptbahnhof gefilzt wurden, berichten Menschen, die alleine unterwegs waren, sie seien trotz schwarzer Kleidung und Rucksacks problemlos zu den Treffpunkten gelangt.
Rentnergruppen mit Rucksäcken sind also per se verdächtig, aha. Schwarze Kleidung ist eine Stigmatisierung, sofern die Form nicht ein Anzug, der Träger Banker, Werbetreibender oder Pastor ist. Ich frage mich, ob die Anreise in quietschepink oder froschgrün für eine Kontrollumgehung aussichtsreicher wäre. Vermutlich würde derart bunte Bekleidung jedoch gleich unter ‘links, alternativ’ abgehakt, was zwar nicht verboten, aber in diesem Zusammenhang nachteilig ist.
Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth hatte am Freitag gesagt, die Blockade der Stadt überschreite “bei weitem das, was verhältnismäßig ist und den Menschen in Frankfurt am Main zugemutet werden kann”. Anscheinend gibt es unterschiedliche Zumutbarkeiten. Wenn Tausende Demonstranten auf festgelegten Wegen protestieren, handelt es sich demnach um eine qualitativ schlechtere Zumutbarkeit als bei der Absperrung ganzer Viertel durch Polizei-Hundertschaften. Dass bis Samstag an innerstädtischen Bankautomaten kein Geld zu bekommen war, der Nahverkehr von Verwaltungsseite behindert wurde und sich ausweisen musste, wer zu Freunden zum Frühstück wollte, wirft ein merkwürdiges Licht auf Roths Anschauung von Verhältnismaßigkeit.
Die Angemessenheit der Mittel ist aus den Fugen geraten. In einem Radiobeitrag des Deutschlandfunks beschreibt eine Mutter irrwitzig anmutende Sicherheitsmaßnahmen, die selbst Schulausflüge als zu gefährlich erachten. Stellte man sich vor, der Schwarze Block käme nach Frankfurt, um Schulkinder zusammenzuschlagen?
Am frühen Freitagabend wollte meine Frankfurter Bekannte Ute eine Freundin aus Basel vom Zug abholen. Obwohl sie sich als Einwohnerin ausweisen konnte, ließ man sie nicht in den Bahnhof. Sie musste der Freundin über ihr Handy mitteilen, wo sie sich treffen könnten. Die Ankommende wurde schließlich von zwei Polizisten in Empfang genommen und zu Ute geführt. Die Begeisterung über diese Vorzugsbehandlung kann man sich ausmalen, auch wenn es vielleicht hilfsbereit gemeint war.
Ute hat, wie sicher viele Andere auch, das riesige Polizeiaufgebot nicht als Schutz empfunden, sondern fühlte sich gegängelt und bedroht. Sie ist eine unpolitische Frau, ihre einzige Demo-Erfahrung ein Anti-Atomkraft-Sternmarsch in den 1980er-Jahren. Jetzt macht sie sich Gedanken über Versammlungs- und Meinungsfreiheit: “Wenn ich so eine Wand schwer uniformierter Polizei sehe, bekomme ich auch unfriedliche Gefühle. Vor allem frage ich mich, was der Staat eigentlich von uns denkt.”
Aus einem anderen DLF-Beitrag stammt diese Aussage der Frankfurter Polizei: “So werden Bürger mit Meinungen konfrontiert, denen sie nicht oder nur schwer ausweichen können.” Frankfurt als Sitz der EZB und Bankenhauptstadt Deutschlands wird noch oft Ziel für Proteste sein. Wenn das das Menschenbild der Behörden ist, kann man auf die Maßnahmen bei nachfolgenden Demonstrationen nur gespannt sein.