#Aufmerksamkeit

BILD-Studientrilogie: Nicht die Ereignisse bestimmen die Berichterstattung, sondern die eigene Vorhersage

von and , 16.6.14

Christian Wulff bestreitet, dass die Springer-Medien einen wesentlichen Anteil an seiner Karriere haben. Dabei handelte Bild von 2006 bis zum 12. Dezember 2011 – im ständigen Tausch mit Exklusiv-Informationen aus dem Hause Wulff – als seine PR-Agentur, um erst mit dem 13. Dezember zum gnadenlosen Gegner zu werden; siehe unsere Studie „‘Bild’ und Wulff – Ziemlich beste Partner. Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung“ (Frankfurt/Main 2012).

Aber auch die journalistischen Medien trotten in ihren alten Stiefeln wie eine in sich gekehrte Karawane der Selbstgerechten weiter. Sie verweigern die Auseinandersetzung mit der begründeten Interpretation, dass sie – von Anfang Dezember 2011 an – sich a) von Bild vor den Karren spannen ließen und dabei jegliches Maß verloren, und sich b) lächerlich machten, als sie gegen einen mit letzter Kraft und etwas wirr telefonierenden Bundespräsidenten die Pressefreiheit von Kai Diekmann und seiner Bild verteidigten. Anschließend ließen sie ihr von den prominentesten verantwortlichen Journalisten des Landes auch noch den renommierten Henri-Nannen-Preis verleihen.

Insofern ist die Bild-Wulff-Affäre eine Zäsur, weil Hemmungen fielen und Grenzen verschoben wurden.

Wen haben Deutschlands führende Chefredakteure von Stern über Spiegel und Focus bis zur Zeit erst verteidigt und dann mit dem Henri Nannen-Preis ausgezeichnet?

Sie haben für die Pressefreiheit eines Blattes gefochten, das ihre Hilfe gar nicht braucht. Das vielmehr so mächtig ist, vor allem aufgrund seiner systematisch eingesetzten Methode der radikalen Rücksichtslosigkeit gegen einzeln Herausgegriffene, dass es vielleicht die Chefredakteure als geboten sahen, sich aus vorsorglichem Eigenschutz wie eine Prätorianergarde vor Bild zu stellen, um sich nicht später einmal wegen des Vorwurfs der unterlassenen Hilfeleistung selbst zu gefährden.

Ein Blatt, dessen Euro- und Griechenland-Berichterstattung über weite Strecken einer politischen Kampagne glich (siehe unsere Studie „Drucksache ‘Bild’ – Eine Marke und ihre Mägde. Die Bild-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010“ (Frankfurt/Main 2010).

Und sie verteidigten und ehrten ein Blatt, das unter Politik-Berichterstattung im Bundestagswahlkampf 2013 (siehe unsere neue Studie „Missbrauchte Politik. ‘Bild’ und ‘BamS’ im Bundestagswahlkampf 2013) das Folgende versteht: Bild legt sich drei Monate vor der Wahl auf das Ergebnis fest, es werde eine Große Koalition geben. Entsprechend wird alles veröffentlicht, was dieser Option nützt, und nichts, was dieser Option schadet.

Das ist der entscheidende Befund: Durchgehend bestimmen nicht die Ereignisse die Berichterstattung, sondern die eigene Vorhersage.

Entsprechend wird Angela Merkel systematisch hofiert, Peer Steinbrück einerseits als tragikomischer Tollpatsch inszeniert und andererseits als einer, der trotzdem zusammen mit Sigmar Gabriel als Partner Merkels taugte. Die SPD wird zurückhaltend freundlich behandelt, die Grünen systematisch mit einer Kampagne attackiert, Die Linke, Piraten und AfD weitgehend ignoriert.

Eine Einfügung: Wir sehen diese Parteinahme für die Große Koalition – die den von Bild sonst so gepflegten Gesetzen der Aufmerksamkeitsmaximierung widerspricht – vor dem Hintergrund des proklamierten Ziels des Springer-Verlages, „wir wollen der führende digitale Verlag werden“. Dafür braucht Springer die Unterstützung einer starken deutschen Regierung gegen die globale Macht von Google und Co.; noch mehr Unruhe und Ärger, wie Bild sie mit Griechenland-Kampagne und Wulff-Abschuss unter der politischen Elite sehr wohl gestiftet hat, kann da nur schaden.

Was ist nun bei Bild Politikberichterstattung?

Bild und BamS haben zwei große Themenfelder, die sie bearbeiten: Sport und Buntes. Daneben richten sie auch Politik für ihre Zwecke zu: Im Normalfall sind etwa 10 bis maximal 15 Prozent des Umfangs von „Bild“ politischen und wirtschaftlichen Themen vorbehalten. Sie wenden dabei drei Praktiken an:

Erstens stellen sie Politik dar wie Sport und Buntes: Personen, Prominente werden hochgejubelt oder niedergemacht. Im Vordergrund steht immer Bild, die dabei war, die erklärt, die sich einmischt, die urteilt und bewertet. Politik wird damit nicht unterhaltend dargestellt, sondern zur Unterhaltung gemacht und nicht selten der Lächerlichkeit preisgegeben.

Zweitens nutzen sie politische Themen – ob Rente, Kita-Plätze, Nöte von Alleinerziehenden -, um sich als Volkstribun, als der wahre Vertreter des kleinen Mannes zu inszenieren. BILD spielt diese Rolle mit Inbrunst und rechtspopulistischen Versatzstücken: ‘Die da oben’ kümmern sich nicht, wir tun das; wenn wir nicht wären …

All diese Themen werden ohne Kontexte, Ursachen und Verantwortlichkeiten beschrieben. Pauschal wird meist ‚die Politik‘ für Missstände verantwortlich gemacht. Die Chance, die Frontlinie zwischen ‚der Politik‘ einerseits und dem von Bild und BamS repräsentierten ‚Volk‘ andererseits zu inszenieren, lassen die beiden Medien bei keiner Gelegenheit aus.

Drittens versuchen sie parteipolitischen Einfluss zu nehmen, indem sie politische Freunde möglichst gut und Gegner schlecht darstellen.

Wenn wir Bild vorhalten, allein Geschäft und Rendite zählten als entscheidendes Motiv, dann wird uns entgegengehalten, alle privatwirtschaftlichen Verlage müssten mit Journalismus Geld verdienen. Richtig. Der Journalismus und seine Funktion, wichtige Neuigkeiten aus einer Perspektive der Unabhängigkeit richtig darzustellen, haben nie außerhalb der Wirtschaft existiert. Die Frage ist nur: Wie viel Rendite? Und gibt es Grenzen?

Wir unterscheiden – in enger Anlehnung an ein Konzept von Uwe Schimank und Ute Volkmann – drei Stufen der Ökonomisierung.

Wer von journalistischen Veröffentlichungen leben will, muss mindestens die Selbstkosten erwirtschaften. Weiter verbreitet ist die zweite klassisch-kommerzielle Stufe, bei der neben den Vertriebserlösen vor allem die Werbung eine bedeutende Rolle spielt: Der Verlag sagt, Ziel ist eine ordentliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals unter Achtung – wichtig! – der handwerklichen Prinzipien des Journalismus. Die Redaktion gerät zwar in die zweite Reihe, bleibt aber unverzichtbar. Die redaktionelle Arbeit muss jetzt nicht nur auf ihre Kosten achten, sie soll auch einen Beitrag dazu leisten, dass sich Verlage und Sender in der Gewinnzone befinden. So handeln heute im Prinzip (noch) die meisten privatwirtschaftlichen Medien-Verlage.

Nun die dritte Stufe der Ökonomisierung, nach ihr handelt Bild: Ziel ist der möglichst hohe Profit. Und dafür bedient sie sich ohne Rücksicht auf Regeln aller Methoden der Veröffentlichung, ob dies Journalismus, PR, Werbung oder klassische Öffentlichkeitsarbeit ist. Ob das Veröffentlichte eine zutreffende Information über wichtige Neuigkeiten ist, entscheidet sich nicht nach einem demokratischen Bedarf oder einer journalistischen Regel, sondern nach Maßgabe der Unternehmensbilanz.

Journalismus ist also in dieser dritten Stufe kein respektables Handwerk, dessen Regeln den Geschäften Grenzen setzt. Journalismus ist hier Kanonenfutter für die Rendite.

Es stellte sich in jeder unserer drei Fallstudien heraus: Bild macht nicht einen anderen Journalismus, etwa im Vergleich zur Süddeutschen Zeitung oder zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bild macht etwas anderes als Journalismus.

Einfach formuliert: Journalismus bemüht sich täglich, unabhängig Richtiges über wichtige Ereignisse und Themen zu publizieren. So gibt es, ungeachtet der schwierigen täglichen Abgrenzung – was ist richtig, was ist wichtig? -, den großen Unterschied: Bemüht sich eine Redaktion, diesem Ziel möglichst nahezukommen? Oder leitet ein anderes Ziel ihr Tun, beispielsweise das der Aufmerksamkeitsmaximierung um des Anzeigengeschäfts oder anderer momentaner Interessen des eigenen Konzerns willen?

In beiden Fällen haben wir es mit Veröffentlichungen zu tun. Im ersten Fall mit Journalismus, im zweiten mit Publizismus; so unser Arbeitsbegriff, um vorläufig das zu fassen, was Bild täglich produziert.

Bild macht also etwas anderes als Journalismus – wir haben uns hier erlaubt, mittels einer Textcollage (PDF) ein Bild-Konzentrat herzustellen, das dieses Andere, diesen Publizismus, anschaulich machen soll. Dieses ‘Andere’ darf sich jedoch trotzdem mit dem Journalistenpreis-Segen der renommierten Chefredakteure dieses Landes unter das reputierliche Dach des Journalismus stellen.

Das ist so, als würden die renommiertesten Chirurgen und Fachärzte des Landes einen Geistheiler als fähigen und angesehenen Fachkollegen öffentlich ehren und würdigen.

Na und? Weiß doch jeder und jede.

Weiß eben nicht jeder und jede. Wir haben diese drei Bild-Studien nicht gemacht, weil wir a) ein Feindbild, beziehungsweise b) ein Thema aus einer untergegangenen Welt pflegen wollen, wie uns nicht selten entgegengehalten wird.

Diese Rolle der Bild, das Schmuddelkind der deutschen Medienfamilie zu sein, ist Geschichte. Die Bild-Medien verdienen heute Beachtung, weil sie an der Spitze einer problematischen Medienentwicklung stehen. Sie sind repräsentativ und führend für solche Medien, für die nichts anderes zählt als das betriebswirtschaftliche Gewinn- und Marktinteresse ihres Verlages beziehungsweise ihres Senders.

Pressefreiheit wird als Gewerbefreiheit verstanden, journalistische Unabhängigkeit als Möglichkeit missbraucht, die eigenen Interessen ohne Rücksicht auf alles andere zu bedienen.

Die Bild-Medien sind so zu Leitmedien aufgerückt, die – in einer Wechselwirkung – als mediale Partner der politischen Elite mehr denn je eine Rolle spielen. An den Erfolgen und Misserfolgen des Springer-Verlages ist abzulesen, wie schnell die Arbeit an einer Öffentlichkeit mit möglichst wenig Journalismus vorankommt.

Wir sind der Auffassung, dass die Aufklärung über die Bild-Medien der Medienbranche insgesamt einen Spiegel vorhält.

Die drei Teile der BILD-Studie von Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt können auf der Studientrilogie-Site der Otto-Brenner-Stiftung heruntergeladen oder bestellt werden

 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.