#Berlin

Berlins neue Teilung

von , 15.12.14

In dem zwanzig Jahre alten französischen Kino-Klassiker „La Haine“ (Der Hass) wird die Geschichte dreier Freunde aus einem Pariser Banlieue erzählt. Nach einem Polizistenmord fliehen die drei Jungs in die Innenstadt der Seine-Metropole. Sie ist nah, aber doch so weit entfernt wie der Mars. Ein gleichsam fremder Planet mit Menschen, die wie Aliens wirken. Die Freunde wissen, dass sie dort nichts verloren haben. Außer vielleicht die Hoffnung, zu dieser Gesellschaft irgendwann dazugehören zu können. Die Schwarz-Weiß-Bilder des Films wirken ebenso klar getrennt wie die Menschen im Frankreich Mitte der Neunzigerjahre.

Von diesen Zuständen ist Berlin gottlob immer noch weit entfernt. Es leben noch Menschen in den Innenstadtbezirken, die Normal- oder Geringverdiener sind. Sie machen aus dem Zentrum Berlins belebte Stadtteile. Wer einmal abends in den ausgestorbenen Bankenvierteln Londons unterwegs war, kennt die Leere von Bezirken, die nur noch als Raum der Arbeit eine Funktion haben. Die Traurigkeit dieser Unorte schnürt einem den Hals zu. Dabei war Stadtluft seit dem Mittelalter doch frei, waren Metropolen ein Hort für Menschen, die Leben, Arbeit und vor allem Freiheit an einem Punkt verdichten wollten.

Berlin ist eben eher Friedrichshain-Kreuzberg als Steglitz. Kein einziger Tourist kommt in diese Stadt, um sich das schöne Reinickendorf anzusehen. Was Berlin von anderen europäischen Metropolen bis jetzt unterschied, war die Anarchie, die in der Luft lag wie einst der Geruch der Kohleöfen im Winter. Früher in Mitte, heute in abgeänderter Form in Neukölln.

Das Prädikat „arm & sexy“ passt immer weniger zu Berlin

Berlin, aber auch andere deutsche Städte, befindet sich auf dem Weg, wie London oder Paris zu werden. Die Innenstadtbezirke werden zu reinen Zweckwohngebieten: Man geht zum Arbeiten oder Shoppen dorthin, und nur wer es sich leisten kann, lebt weiterhin in der Innenstadt. Brachen werden mit Bürohäusern oder Luxus-Lofts bebaut. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes eng in der Stadt. Zuvörderst für Menschen, die sich die nächste Mieterhöhung nicht mehr leisten können. Sie weichen aus in sogenannte Verdrängungsbezirke wie Wedding (der ehemalige Arbeiterbezirk im Westen) oder Lichtenberg (ein Plattenbaubezirk im Ostteil).

Das Prädikat „arm & sexy“ passt immer weniger zu Berlin, mit seiner – glücklicherweise – aufstrebenden Digital-Wirtschaft und dem boomenden Tourismus einerseits sowie dem Club-Sterben und dem Verdrängen der Kreativ-Szene andererseits. Das sind teilweise Prozesse, die man nicht aufhalten kann. Aber zumindest regulieren könnte. An diesem Gestaltungswillen hat es Klaus Wowereit in den letzten Jahren gefehlt. Sein Abgang scheint daher eine Möglichkeit zu sein, Dinge politisch zu verändern. Oder zu verbessern.

Deephouse vs. Townhouse

Es ist ein deutliches Symbol des Protestes, wenn der Künstler Blu sein fast schon zum Wahrzeichen gewordenes Kunstwerk an der Cuvry-Brache schwarz übermalen lässt. Denn genau hier verläuft eine der aktuellen Frontlinien – zwischen dem untergehenden Deephouse-Berlin der Freigeister und Hedonisten und dem aufsteigenden Townhouse-Berlin der Makler und Investoren. Früher hieß es „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“, heute müsste es heißen „Engel & Völkers schaut auf diese Stadt“. Und sie schauen ganz genau hin.

Sie nutzen die ausgelutschten Phrasen wie ‚pulsierend’, ‚kreativ’ oder ‚lebendig’, um genau dafür zu sorgen, dass diese Stadtteile es immer weniger sind. Sie nutzen Künstler wie Blu, um ihre Lofts noch ein wenig besser verkaufen zu können. Auch darauf wollte der Künstler mit dem Übermalen seiner Graffiti hinweisen. Denn es zeigte ja genau die Welt, die jetzt dort einzieht: Menschen, die gleichsam von der Business-Welt in Ketten gelegt werden – so wie jene Fessel zwischen den beiden Händen mit den teuer-klobigen Armbanduhren im übermalten Street-Art-Werk von Blu.

Immer mehr leben Menschen nicht mit-, sondern nebeneinander

Konsequent erscheint es in diesem Zusammenhang, dass Blu nicht als Projektionsfläche für eine Welt zur Verfügung stehen wollte, die er ablehnt. Der Künstler verweigert sich, Teil der Marketingmaschine zu sein, die Berlin immer noch als etwas verkauft, was es längst nicht mehr ist. Die Innenstadtbezirke verkommen mit den in die Jahre gekommenen Street-Art-Werken zu einem Potemkinschen Dorf: Berlin sieht vordergründig immer noch so aus wie eine weltoffene Stadt, während im Grunde immer mehr Menschen ausgeschlossen werden.

Ironisch mutet es an, dass parallel „Lichtgrenze“ zum Wort des Jahres auserkoren wurde. Die Installation erinnerte noch einmal an die Teilung Berlins. Auf gewisse Weise ist die Hauptstadt aber dabei, ständig neue Mauern aufzubauen, wenn die Politik nicht endlich eingreift. Mauern, die immer höher und undurchlässiger werden.

Ein Bild, das mir von der Lichtgrenze in Erinnerung geblieben ist: ihr Verlauf zwischen Mitte und Wedding. Direkt hinter den Ballons auf der östlichen Seite, steht eine Reihe von Townhäusern – wie eine neue Mauer. Diese neue Teilung ist keine Mauer, aber sie manifestiert sich eben auch in Beton: schön designte Wohn- und Bürohäuser geben ihr aber ein viel schöneres Antlitz. Trotzdem: Immer mehr leben die Menschen dieser Stadt nicht mit-, sondern nebeneinander. Für den neuen Regierenden Bürgermeister höchste Zeit einzugreifen.

Das Schwarz der Fläche schafft Platz für Neues

Politik und Kunst leben von Symbolen. Eine schwarze Fläche ist ein sehr starkes. Es kann auch ein sehr positives sein. Es wirkt wie eine Art Tabula rasa, das Schwarz der Fläche schafft Platz für das Motiv eines neuen Berlins nach Wowereit. Es ist an der Politik und an der Kunst, diese Fläche zu nutzen, um gemeinsam das Bild zu erschaffen, wofür die Hauptstadt zukünftig stehen soll. Berlin braucht eine neue Idee für das kommende Jahrzehnt. Die Party ist nicht vorbei, aber der DJ ein anderer. Wir dürfen gespannt sein, welche Musik Michael Müller auflegt und ob die Investoren auch nach seiner Pfeife tanzen.

In dem Film „La Haine“ gibt es übrigens noch eine weitere Stelle, die ganz gut zum Berlin von heute passt. In einer Szene erzählt einer der Freunde einen Witz von einem Mann, der vom Hochhaus springt. Während er fällt, sagt er die ganze Zeit: „Bis hierhin lief es noch ganz gut.“ Auch für Berlin lief es bis jetzt ganz gut. Hoffen wir nur, dass wir alle weich landen.

 

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