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Paywalls und Leistungsschutzrecht: Wenn der Leser nicht will, wie die Verlage wollen

von , 2.2.10

Der Ruf nach einem Leistungsschutzrecht für Verlage hat Hochkonjunktur, der nach Bezahlschranken ebenso. Die Verlage erhoffen sich, verloren gegangene Einnahmen zurückzuholen. Sicherlich sind das alles ehrenwerte Versuche, journalistische Arbeit und Qualität weiterhin zu finanzieren – Versuche allerdings, die im Grunde unter Verweis auf ein vermeintliches Besitzrecht zu entschuldigen versuchen, dass es den Verlagen an einer Strategie und an einer Vorstellung von der Zukunft des eigenen Geschäfts mangelt. Letzten Endes handelt es sich hier um den verzweifelten Versuch, die alten Markt- und Machtverhältnisse in eine neue Welt zu transferieren.

Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht zeigt zunächst drei Dinge: Verleger und (Chef-)Redakteure sind von der Qualität ihrer Waren und Dienstleistungen überzeugt und setzen sich gegen eine vermeintliche Ausnutzung durch andere ein. Sie argumentieren für den Schutz ihrer gewohnten Wertschöpfungskette, wie sie die klassische Medienwelt prägte. Mehrwert wird darin erzielt, indem Produktions- und Distributionsressourcen kontrolliert und andere Produzenten und Lieferanten davon augeschlossen werden. Je besser die eigenen Strukturen und die mit deren Hilfe erbrachten Leistungen geschützt sind, desto größer der eigene Wettbewerbsvorteil und Gewinn. Deutlich wird drittens auch eine teils dramatische Überforderung des Journalismus. Die neuen Spielregeln im Netz verlangen, dass Journalisten und Medienmacher ihr Selbstverständnis überdenken. Der Wandel in den Köpfen jedoch kann mit der Entwicklung in Technik und Onlinemarkt, so scheint es, nicht mithalten.

Neben diesen naheliegenden Punkten werden in der Diskussion drei weitere Punkte deutlich, die von einer weitverbreiteten Rat- und Orientierungslosigkeit zeugen.

(1) Die Verlage müssen immernoch lernen, die Kundenbedürfnisse und die Gesetze der Wertschöpfung im Netz zu verstehen. Die medialen Produktions- und Distributionsmöglichkeiten sind explodiert, daher kann niemand mehr den Kunden etwas vorsetzen und zugleich sicher sein, dass eine erkleckliche Anzahl Menschen am Ende schon kaufen wird, weil die Konkurrenz auch nicht besser oder gar nicht vorhanden ist. Die Nutzer wählen bewusst aus – und sie setzen dabei mehr auf Qualität als im klassischen Massenmedienmarkt. Was Qualität ist, bestimmt kein Verleger oder Chefredakteur, sondern die Leser.

(2) Leistungsschutzrechte und Diskriminierung durch Bezahlschranken zeigen zweitens, dass es mit einer kohärenten Strategie und Zieldefinition für die eigenen Aktivitäten im Web nicht allzu weit her ist. Reicht es aus, präsent zu sein und das altbekannte Geschäft der aktuellen Nachrichten zu bieten? Was suchen die Kunden und Leser auf den Seiten der Verlage, was erwarten sie? Werden diese Erwartungen erfüllt? Was müsste sich ändern, damit das besser klappt? Was bedeutet das eigentlich für das Selbstverständnis von Verlag und Redaktion? Ist der Faktor Technik wirklich schon als bestimmendes Element in der Betrachtung angekommen? Fundierte Antworten auf diese Fragen lassen sich in deutschen Redaktionen und Verlagen bisher nur sehr selten finden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen kleinen Lokalverlag handelt oder um die großen Namen. Man übernimmt die Print-Erfolgsfaktoren (große, bunte Bilder, knackige Zeilen etc.) und die – natürlich, natürlich – extrem hohe inhaltliche Qualität in Recherche und Darstellung – doch der Erfolg will sich nicht einstellen.

Im Vergleich zu anderen Verlagsangeboten mögen die eigenen Zahlen noch passabel aussehen, das jedoch bleibt ein Vergleich innerhalb der eigenen Nische. Selbst im IVW-Listing, das viele wichtige Mitspieler außen vor lässt, bringen es die Angebote aller nationalen, regionalen und lokalen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage nur auf einen Marktanteil von knapp zehn Prozent. Verglichen mit den wirklichen Wettbewerbern im Netz außerhalb der eigenen Stammbranche müssten die Alarmleuchten eigentlich ständig leuchten; sind es doch die Verlage und die Redaktionen, die für sich in Anspruch nehmen, am Puls der Zeit und den Menschen am nächsten zu sein. Tatsächlich ist das viel zu selten bis gar nicht der Fall.

(3) Warum? Weil der Paradigmenwechsel nicht mitvollzogen, ja sogar bewusst abgestritten wird. Im Netz ist oft das Gegenteil von dem gefordert, was in den klassischen Massenmedien den Erfolg versprach: Dialog statt Predigen; evolutionär und dynamisch arbeiten und berichten, statt auf Andruck oder feste Sendezeiten hin; öffnen und integrieren statt ausschließen und diskriminieren. Die Barrieren der klassischen Massenmedienwelt existieren nicht mehr. Praktisch jeder kann hier Konkurrenzangebote schaffen; es kommt schlicht darauf an, ob seine Adresse im Netz die Fragen der Menschen besser beantwortet. Entscheidend ist, was die Leistungsschutzrechtfans so gerne für sich in Anspruch nehmen: die Qualität.

Die Folge davon ist: Der Leser, das unbekannte Wesen, gibt sich zu erkennen, stellt Ansprüche und weiß, das sie auch anderswo eingelöst werden. Journalisten sehen sich mit einer direkten und messbaren Bewertung konfrontiert, doch genau vor dieser Begegnung versuchen sie sich zu schützen. Viele flüchten in die Fiktion, die alten Verhältnisse ließen sich wieder restaurieren, wenn die Menschen nur dazu erzogen würden, den besonderen Wert der redaktionellen Mitteilungen zu erkennen und zu bezahlen. Was aber, wenn es diesen Wert in den Augen der Leser gar nicht mehr gibt, sondern andere Inhalte, andere Formen sich für den Leser als nützlicher erwiesen haben? Was bei diesen Fragen eigentlich journalistische Primärtugenden wären, fehlt hier – die offensichtlichen Probleme kritisch zu hinterfragen, sie zu analysieren, aufzubereiten, einzuordnen oder Lösungen vorzuschlagen.

Stattdessen erleben wir vielmehr den gegenteiligen Reflex: Bevor sich das eigene Weltbild und Selbstverständnis ändert, soll sich die Welt den (Wert-)Vorstellungen der Journalisten und Medienmanager aus den klassischen Massenmedien anpassen. Nach dieser eigentümlichen Logik wären es also die Nutzer, die sich den Zielen der Medienmacher anzupassen hätten – und nicht umgekehrt. Das aber tun sie nicht, darum muss Zwang her, werden „Schutzrechte“ verlangt und der Versuch unternommen, die Nutzer zum Bezahlen zu zwingen. So sollen die Gesetze des Massenmedienmarktes in den Onlinemarkt gepresst werden. Ein Schaden für die Onlinewettbewerber wird dabei gerne in Kauf genommen.

Betrachtet man die Lage nüchtern, wären einige Punkte festzuhalten: Das bestehende institutionelle System der Medienwelt ist, so scheint es, nicht in der Lage, aus sich selbst heraus den Wandel zu gestalten, darum soll er mit Verboten und Sperren aufgehalten werden. Das bestehende Regelsystem im Journalismus zeigt sich starr und unelastisch, so auch das Denken und das Weltbild in vielen Redakteurs- und Verlegerköpfen. In Zeiten disruptiver Entwicklungen bedeutet das über kurz oder lang den Untergang.

Der Journalismus verliert in vielen Bereichen seine angestammten Aufgaben, weil seine Aufgaben von anderen Anbietern übernommen werden können, die ihre Informationen direkt zum Interessenten bringen können. Das bestehende Mediensystem muss an den betroffenen Stellen zwangsläufig ausgedünnt und rückgebaut werden. Gleichzeitig jedoch entstehen neue Aufgaben: als Vermittler, Agentur oder Plattform, für eine bestimmte Region oder ein bestimmtes inhaltliches (Fach-)Gebiet. Große und kleine Verlage besonders in Skandinavien, in den USA, Großbritannien und Österreich machen vor, wie es geht. Sie verlassen sich nicht auf Leistungsschutz und Bezahlmauern, die das alte System auch nicht werden retten können.

Der Ruf nach Schutzrechten und Paywalls läuft darauf hinaus, die Barrieren der alten Modelle erneut zu errichten. Doch die Welt hat sich geändert. Die Leser sind mobil geworden, always on, und per cloud computing in der Wolke. Und in der Wolke lassen sich schlecht Mauern bauen.

Carta dankt Andreas Moring für diesen Gastbeitrag.

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