#1968

Angst essen Seele auf – oder: Das wenig beachtete Versagen der Digital Natives

von , 15.3.16

Naturgemäß sind die Ursachen für das starke Abschneiden der AfD vielfältig. Der Fernseh-Wahlabend selbst gibt Aufschluss über einige. Am Tag waren viele Bürger für einen Augenblick der Souverän, als sie die von ihnen ausgewählte Partei mit einem Kreuz versahen. Am Abend sind sie nur noch Objekt von Politikern und Journalisten. Das beginnt mit dem Dank der Gewählten oder Abgestraften an die unbekannten Wähler, eine Unsitte, die in frühen Westfernsehzeiten noch verpönt war und von Moderatoren unterbunden wurde. Es setzt sich fort in dem Politiker-Bekenntnis, die Wähler nicht ausreichend von der richtigen Politik überzeugt zu haben. Oder im berechtigten Stolz der AfDler, die verlorenen Schafe an die Wahlurne zurückgeführt zu haben. Und endet in der umfangreichen, tiefgründigen und allem Anschein nach in der Sache zutreffenden Offenlegung der Gefühle und Motive der Wähler durch kompetente Journalisten und Meinungsforscher. Da sich die Welt in Web-Zeiten ein wenig verändert hat, streuen die Moderatoren gelegentlich ein Twitter-Zitat oder eine auf Facebook gestellte Frage ein. Es ändert nichts daran, dass der Souverän nur das Objekt politisch-publizistischer Begierde bleibt.

Der Aufstieg der AfD drückt dagegen den Wunsch vieler Bürger aus, mit den Ängsten und Besorgnissen gehört und irgendwie Ernst genommen zu werden. Dass diese Partei ihre Erwartungen nicht erfüllen wird, werden einige sogar ahnen. Diese Stimmungslage wird sich auch nicht mit einer zu erwartenden Regulierung des Flüchtlingsstroms lösen, allenfalls ein wenig entspannen. Denn die Flüchtlinge sind nur der menschliche Ausdruck für eine durch die Globalisierung grundlegend veränderte Welt. Der weltweite Neckermann- oder TUI-Tourismus von Jedermann war das fröhliche Vorspiel der Globalisierung, die Flüchtlinge sind die Wirklichkeit.

Sie, die selbst von Angst getrieben sind, geben den Ängsten vieler Deutschen ein Gesicht. Nicht die Projizierung, aber die Ängste sind verständlich. Denn selten haben sich die Lebens- und Arbeitsverhältnisse so grundlegend verändert wie in der Gegenwart. Die durch die Digitalisierung beschleunigte Globalisierung revolutioniert Leben und Arbeit. Alles wandelt sich, die Art zu kommunizieren, zu lesen, fernzusehen und zu konsumieren, zu kaufen und zu reisen. Und zu bezahlen, selbst das Bargeld verliert an Gewicht und könnte dereinst vollständig verschwinden. Wenig bleibt, wie es war. Hinzu kommt die wachsende und berechtigte Angst um die eigene Arbeit oder auch nur darum, den neuen unbekannten Anforderungen nicht länger gewachsen zu sein.

Das erklärt auch, warum in den Ländern mit der geringsten Flüchtlingsdichte die besten Ergebnisse der AfD zustande kommen. Es geht eben nicht um die Flüchtlinge, sondern um das Leben der Einheimischen. In ihrer Lebensgeschichte ist die Erfahrung tief verwurzelt, schon einmal, oft mehrfach, ihr eigenes Lebensumfeld und ihre Zukunftsperspektive verloren zu haben. Auch wenn dies („Wir sind ein Volk“) auf eigenen Wunsch geschah, mindert es die Ängste nicht. Dass sie sich oft in der schäbigen und menschenverachtenden Weise der Pegida-Aufmärsche ausdrückt, darf kein Grund sein, die Angst nicht Ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt von Politik zu machen. Rechtsradikale zu bekämpfen, ist notwendig, aber dafür kein Ersatz.

Ängste sind seit jeher Triebkraft großer Bewegungen. Viele Achtundsechziger fürchteten unter einer SPD-geführten Regierung die Wiederkehr des Faschismus. Die Friedensbewegten den Atomkrieg. Und die Anti-AKW-Bewegung den Gau. Sie fürchteten den Eintritt des Ernstfalls und wollten ihn verhindern. Darin liegt der Unterschied zu heute, wo der Ernstfall der Globalisierung bereits eingetreten ist.

Viele der außerparlamentarischen Bewegungen verfügten zugleich über ein positives Zukunftsbild, eine Welt ohne Waffen und in Frieden, die damals weit entfernt scheinende Vorstellung ausschließlich “grüner” Energieerzeugung, Gleichberechtigung der Frau. Die neue APO, die bald parlamentarische Opposition sein wird, verspricht dagegen die Rückkehr in die Vergangenheit. Sie will die Zeit aufhalten und Sicherheit in einer unübersichtlichen Welt bieten.

Der Erfolg der Pegida-APO wird durch das dramatische gesellschaftliche Versagen der Digital Natives erleichtert. Mit tollen Ideen und Vorstellungen denken sie die Zukunft, arbeiten dafür und werden sie auch gestalten. Aber sie halten es nicht für notwendig, in der Öffentlichkeit für ihr Bild unserer Zukunft einzutreten. Diese Generation ist in einer Weise unpolitisch, wie das in Deutschland vielleicht zuletzt bei den traumatisierten Heimkehrern aus den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern zu beobachten war. Dabei sind das durchweg gute, positive Typen, die den digitalen Wandel verantwortungsvoll durchdenken und hier zu Lande wenig von dem revolutionären Missionsdrang getrieben werden, der die google-, Facebook- und Uber-Gründer auszeichnet. So harmlose Scharmützel wie die um Uber und Mytaxi zeigen, dass sie die Zustimmung der Gesellschaft brauchen. Wenn ihnen die Art des Politikbetriebes nicht gefällt, können sie ihn ändern. Die Piraten waren ein erster Anlauf. Das Scheitern eines Startups war noch nie ein Grund, es nicht aufs Neue zu versuchen. Das gilt auch in der Politik.

Denn der Weg in die digitale und globalisierte Zukunft ist nicht aufzuhalten, das könnte nicht einmal eine französische Präsidentin Le Pen und erst Recht nicht die AfD. Aber sie können ihn zum Schaden der Bürger nachhaltig verlangsamen. Vermutlich werden diese Wahlen noch nicht als Signal für einen Neuanfang ausreichen. Vielleicht braucht es dafür erst die Bundestagswahlen. Schade um die verlorene Zeit.

 


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