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Amazon: “Die Mitarbeiter sollen sich wertgeschätzt fühlen”

von , 21.2.13

Deutschland, im Frühjahr 2014. Der Skandal um die Behandlung von Logistik-Mitarbeitern bei Amazon, ausgelöst durch eine ARD-Reportage, liegt eine Weile zurück – und bei Amazon hat sich seitdem einiges geändert. Was genau und warum – dazu habe ich Amazon-Chef Jeff Bezos befragt …

Jeff, vor gut einem Jahr wurdet ihr hart und völlig zu Recht dafür kritisiert, wie ihr mit Mitarbeitern, insbesondere Leiharbeitern in Deutschland, umgeht. Inzwischen hat sich das geändert. Wie würden Sie heute das Verhältnis von Amazon zu seinen Mitarbeitern beschreiben?

Der Mensch muss stets Zweck sein und nie Mittel. Das gilt auch für die Wirtschaft. Denn ohne Menschen gäbe es keine Wirtschaft, also ist die Wirtschaft das Mittel und der Mensch der Zweck.

Was heißt das konkret? Was ist Ihre Aufgabe als Unternehmer, wenn Sie Ihre Mitarbeiter nicht mehr nur als Kostenfaktoren sehen?

Die Aufgabe eines Unternehmers ist es, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter in ihrer Tätigkeit einen Sinn sehen. Diese Menschen sehe ich nicht als Kostenfaktor. Sie sollen kreativ und schöpferisch sein, dafür trage ich als Unternehmer Verantwortung. Die Mitarbeiter sollen sich wertgeschätzt fühlen.

Ihr Umgang mit Kunden war ja schon immer vorbildlich. Gilt das nun also auch für den Umgang mit Mitarbeitern?

Ein Unternehmer muss nicht nur seine Kunden verstehen, sondern alle beteiligten Menschen. Dazu gehören seine Mitarbeiter, seine Kunden und auch seine Partner wie Vermieter oder Lieferanten.

Einer der Kritikpunkt damals war, dass vor allem die Leiharbeiter bespitzelt und kontrolliert wurde. Hat sich das geändert?

Sie kennen sicher auch den Ausspruch, der Lenin zugeschrieben wird: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Wenn ich diese Philosophie bei meinem Unternehmen anwenden würde, könnte ich gar nicht mehr ruhig schlafen. Ich bin der Auffassung, man muss in die Menschen investieren und ihnen etwas zutrauen, so dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine Grundfrage, ob man den Menschen kontrollieren oder ihm Verantwortung übertragen will. Meiner Meinung nach ist jeder verantwortungswillig und auch verantwortungsfähig. Damit habe ich ein ganz anderes Menschenbild als Lenin.

Druck und Kontrolle führen also nicht zum Erfolg?

Wenn Unternehmen mit solchen Methoden Erfolg haben, dann nicht wegen, sondern trotz dieser harten Maßnahmen.

Aber kann sich ein Unternehmen wie Amazon in einer umkämpften Branche wie dem E-Commerce so ein Menschenbild überhaupt leisten?

Wenn man ein Geschäft langfristig erfolgreich betreiben will, kommt man meiner Meinung nach um so eine Einstellung nicht herum. Vor allem im Handel sind wir ja darauf angewiesen, dass sich alle gegenseitig helfen, denn wir leben in einer totalen Arbeitsteiligkeit. Das heißt, dass immer jemand etwas für mich leistet und ich etwas für jemand anderen leiste. Wir sind zum Beispiel darauf angewiesen, dass die Lieferanten pünktlich die Ware anliefern, so dass wir wiederum unseren Kunden pünktlich die Ware anbieten können. Somit muss ich immer die Bedürfnisse beider Seiten im Blick haben.

Nochmal zurück zu den Mitarbeitern. Leih- und Zeitarbeiter werden bei Ihnen inzwischen nicht mehr wie Menschen zweiter Klasse behandelt, oder?

Man muss sich mit jedem Mitarbeiter auf Augenhöhe bewegen. Alle unsere Mitarbeiter sollen sich bemühen, miteinander so ins Gespräch zu kommen, dass sie sich gegenseitig verstehen und respektieren. Ein Lehrling soll dabei nicht anders behandelt werden als ein Kollege aus der Geschäftsleitung. Es geht um den Dialog und nicht darum, gehorsam Befehle auszuführen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Hach, manchmal ist halt der Wunsch Vater des Gedankens. Alle Antworten stammen – natürlich – nicht von Jeff Bezos. Ich habe sie aus O-Tönen (hier, hier und hier) von Götz Werner, Chef der Drogeriemarktkette dm, zusammengestellt, der früher gerne als weltfremder Wohlfühl-Unternehmer belächelt wurde. Seit der Pleite des Anti-Werner-Modells Schlecker hat sich das ein bisschen geändert. dm hat weltweit über 40.000 Mitarbeiter und macht knapp 7 Milliarden Euro Umsatz.

Ein paar wütende Anmerkungen von mir:

Das Leben ist kein Ponyhof, das Arbeitsleben schon gar nicht. Es ist legitim, Zeitarbeiter einzusetzen, um beispielsweise die Auftragsflut im Weihnachtsgeschäft stemmen zu können. Pakete für Amazon zu packen, ist sicher keine wahnsinnig anspruchsvolle Tätigkeit, die überragend honoriert werden muss. US-Unternehmen sind nicht generell böse. Große Unternehmen auch nicht. Kleine, lokal tätige Unternehmen sind nicht generell gut. Und Kunden, die sich über schnelle Lieferungen und gute Preise freuen, sind nicht schuld daran, wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter ausbeutet. Das mal generell vorweg.

Um all das geht es beim “Fall Amazon” meines Erachtens nicht. Es geht um die Frage, wie ein Unternehmen (und die Manager, die es leiten) generell mit seinen Mitarbeitern umgeht. Ob es, kurz gesagt, Menschenfreund oder Menschenfeind ist, Philanthrop oder Misanthrop, ob ihm die Mitarbeiter etwas bedeuten oder ob sie ihm – Entschuldigung – scheißegal sind.

Die Frage kann ein Außenstehender nicht beantworten. Die Frage können wir auch nach der sehenswerten ARD-Dokumentation über Amazon nicht beantworten, jedenfalls nicht, was das Unternehmen als Ganzes angeht. Wir können dank der ARD-Recherche aber einigermaßen sicher sein, dass Teile des Amazon-Managements zur Scheißegal-Fraktion gehören, zumindest was den Umgang mit Leiharbeitern in manchen Logistik-Zentren angeht. Hier werden Menschen als Arbeitsmaterial benutzt, bespitzelt und drangsaliert. DAS KOTZT MICH AN.

Das ärgert mich vor allem, weil ich ein großer Fan von Amazon bin, und zwar aus ähnlichen Gründen wie Felix Schwenzel:

 

“amazon behandelt kunden wie könige und kaiser. amazon schreit in der werbung nicht rum, dass es billig sei, es ist einfach billig und gibt Kosteneinsparungen konsequent an kunden weiter. amazon nimmt fast immer alles ohne rumzumaulen zurück (…). amazon ist für viele waren die ich gerne kaufe die einzige quelle: zum beispiel englischsprachige DVDs, günstige bücher in originalsprache.”

 

Ich ergänze: Amazon ist dank der vielen Produktbewertungen durch Kunden eine grandiose Recherche-Plattform und dank der vielen Händler ein toller, riesiger Marktplatz.

Ich fühle mich als Kunde nicht im Geringsten dafür verantwortlich, wie Amazon mit seinen Mitarbeitern umgeht. Ein neunmalkluger Vorwurf, den ich mehrfach im Web gelesen habe, lautet: “Ja, was regt ihr euch auf? Wer billig bei Amazon einkauft, ohne Porto zu zahlen und mit Lieferung am nächsten Tag, braucht sich über Ausbeutung der Mitarbeiter nicht zu wundern.” Schwachsinn! Um es deutlich zu sagen: Das Geschäftsmodell von Amazon würde garantiert ganz wunderbar auch mit einer philanthropischen Einstellung gegenüber den Mitarbeitern funktionieren. Genauso schwachsinnig ist übrigens der Vorwurf, Amazon würde die Verlage mit Horror-Konditionen knechten, ins Dunkel treiben und ewig binden. Natürlich hat Amazon bessere Konditionen als eine kleine Dorfbuchhandlung. Aber glaubt etwa jemand, die großen Ketten wie Thalia oder Hugendubel würden anders vorgehen? Große Mengen im Einkauf gleich gute Konditionen, so einfach ist das.

Aber: Dass ich dafür nicht verantwortlich bin, heißt nicht, dass es mir egal ist! Ich erwarte, dass Amazon dort, wo es nötig ist, den Umgang mit seinen Mitarbeitern ändert. Ich finde es gut, dass Medien, Kunden und Politik Druck aufbauen und beteilige mich gerne mit diesem Blogbeitrag daran (wobei ich mir der homöopathischen Bedeutung dieses Beitrags im Klaren bin). Und ich erwarte, dass Amazon seine unglaublich schlechte, dilettantische, amateurhafte Kommunikation verändert: Erst auf Anfragen von Journalisten nicht reagieren, dann sprachlos sein angesichts der Empörungswelle im Web, dann spröde die Trennung von den kritisierten Subunternehmen per Pressemitteilung kommunizieren … Leute, Leute, Leute.

Amazon, ihr steht unter verschärfter Beobachtung. Ich erwarte nicht, dass ihr zum globalen Internet-Pendant von dm werdet. Aber ich erwarte Besserung.

Crosspost von Christian Buggischs Blog

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