#Brexit

Altes Geschwurbel im Faktencheck

von , 7.7.16

In einem Artikel auf CARTA mit dem Titel „Von alten Säcken und jungem Geschwurbel“ wirft mir der Autor Klaus Vater vor, mit erfundenen Argumenten zum Generationenkonflikt zu hetzen. Er bezieht sich dabei auf zwei Beiträge von mir in ZEIT Online über den Generationenkonflikt bei Brexit und die von Alten dominierten Bürgerproteste sowie auf mein soeben erschienenes Buch „Alte-Säcke-Politik – Wie wir unsere Zukunft verspielen“.

Dumm nur für jemanden, der so gern Methodenkritik betreibt: Quasi alle seine Aussagen halten einem Faktencheck nicht stand. Das ist schon seltsam, denn wer anderen vorwirft, nicht sauber mit Zahlen und Quellen zu arbeiten, sollte etwas mehr darauf achten, selbst sauber zu argumentieren. Aber der Reihe nach:

 

Falschaussage: Es gebe keine Belege für das Abstimmungsverhalten zu Brexit nach Altersgruppen.

Vater beruft sich auf einen (nicht verlinkten oder sonst näher beschriebenen) Artikel in der FAS, demzufolge es „keine belastbaren statistischen Daten über die Altersverteilung beim Brexit-Referendum” gebe: „Exit Polls und aussagereife Analysen im Anschluss an den Brexit gibt es nicht.“

Das ist falsch. Zwar gibt es in Großbritannien tatsächlich keine exit polls (Umfrage am Ausgang der Wahllokale) wie in Deutschland, aber es gab durchaus valide und verlässliche Umfragen, die teils auch nach Altersgruppen aufgeschlüsselt waren. Zudem zeigen Auszählungen der tatsächlichen Wählerstimmen, dass in Wahlbezirken mit hohem Rentneranteil auch der Anteil der Brexit-Gegner am höchsten war.

Die Quellen hatte ich übrigens in meinem Artikel verlinkt, nur hat Herr Vater diese offensichtlich ignoriert.

 

Halbwahrheit: Pauschale Kampfbegriffe seien die Grundlage meiner Argumentation.

Vater moniert, ich arbeite „stets und ständig“ und obendrein „überwiegend“ mit „pauschalen Begriffen, mit Kampf- und Gegnerschafts-Begriffen“.

Stimmt einerseits: Denn in einer Gesellschaft mit Millionen Individuen braucht man Pauschalisierungen, um überhaupt irgendwelche Aussagen zu treffen. Genauso wie man sagt: „Mehr Männer als Frauen sind der Meinung, dass …“ Es handelt sich dabei um statistische Wahrscheinlichkeiten, nicht um eine biologische Determination des Individuums.

Und ja: Ich verwende auch Zuspitzungen, wie „die Gestrigen“. Wenn eine Gruppe sich in großer Mehrheit nationale Grenzbäume zurückwünscht, halte ich es für angemessen, sie als gestrig zu bezeichnen.

Interessant: Vater verwendet selbst pauschalisierende Kampfbegriffe und packt gegen „die Feministinnen“ aus, die doch sonst überall aufschreien. Nun bin ich selbst Feminist (definiert als: „the advocacy of women’s rights on the grounds of political, social, and economic equality to men“ – insofern einfach Artikel 3 des Grundgesetzes) und weiß nicht, ob Herr Vater einen generischen Feminin verwendet hat, oder nur gegen die weiblichen Feministinnen stänkert. Sicher aber ist, dass er hier selbst einen pauschalierenden Kampf- und Gegnerschafts-Begriff verwendet – eine „Methode“, die er mir vorwirft.

 

Seltsame Aussage: Der „fiktive“ Gründinger „würde“ dies oder jenes sagen.

In mehreren Absätzen lässt sich Vater darüber aus, was „der fiktive Gründinger” vielleicht sagen „würde“. Er kritisiert mich also für Aussagen, die er frei erfindet und mir in den Mund legt. Aha.

 

Falschaussage: Die Alten haben früher mehr gearbeitet als die heute junge Weicheier-Generation!

Vater rechnet vor, dass die heute Alten viel mehr gearbeitet hätten als die heute Jungen. Die von ihm bemühte Statistik zeigt allerdings nicht die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf der gesamten (erwerbsfähigen) Bevölkerung, sondern die durchschnittliche Arbeitszeit pro Arbeiter.

Das ist ein feiner, aber entscheidender Unterschied. Denn in den 1960ern, als die Ehefrauen noch nicht breit erwerbstätig waren, blieben die zuhause und kümmerten sich um den Haushalt. Heute gehen auch die Frauen einer Erwerbsarbeit nach. Die Erwerbsarbeitszeit pro Paar hat sich dadurch erhöht. Hans Bertram, emeritierter Professor für Soziologie an der Humboldt Universität zu Berlin und der vielleicht angesehenste Familienforscher des Landes, sagt:

Die Berufstätigen von heute haben viel weniger Zeit für sich, als ihre Eltern früher hatten. Die Männer der Nachkriegsgeneration haben im Schnitt noch 48 Stunden pro Woche gearbeitet. Das war allerdings auch die gesamte Zeit, die eine Familie der Arbeitswelt zur Verfügung stellte. Heute beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit einer verheirateten Mutter mit ein bis zwei Kindern etwa 30 Stunden. Der Ehemann arbeitet im Schnitt 42 Stunden. Die von Ihnen als Weicheier bezeichneten Menschen sind also gemeinsam 72 Stunden berufstätig. Weil sich diese Arbeitszeit auf zwei Erwachsene verteilt, steigt der Organisationsaufwand im Familienalltag.“ (Hervorhebung durch mich.)

Zwar ist dank Technik (wie Waschmaschine und Geschirrspüler) der Aufwand für die Haushaltsarbeit gesunken. Aber:

„Die Arbeitszeit für eine Hausfrau ist von 32 Stunden pro Woche in den sechziger Jahren auf heute 17 Stunden gesunken, weil zum Beispiel die Wäsche nach dem Waschen nicht mehr aufgehängt, sondern in den Trockner geworfen wird. Allerdings arbeiten auch die Männer mehr im Haushalt mit, früher waren es vier Stunden pro Woche, heute sind es neun. Der tatsächliche Freizeitgewinn fällt also insgesamt etwas kleiner aus.“

Heute jüngere Paare arbeiten also mehr als jüngere Paare zu früheren Zeiten.

 

Nicht-Aussage: Dein antikes Sprichwort ist vielleicht gar keins!

 In meinem ZEIT-Artikel zitierte ich eine antike griechische Lehre:

„Eine Gesellschaft wird stark, wenn die Alten die Bäume pflanzen, in deren Schatten sie niemals sitzen werden.”

Das stört Vater und er versucht zu beweisen, dass es dieses Sprichwort vielleicht gar nicht gab. Mag ja sein, okay. Er zitiert allerdings nur ein paar Quellen, in denen das Sprichwort ebenfalls als alte griechische Lehre ausgegeben wird. Ist also vielleicht doch richtig.

 

Falschaussage: Die Mehrheit der älteren Schweizer habe beim Volksentscheid 2013 für den Familienartikel gestimmt.

Vater schreibt, in meinen ZEIT-Artikel sei einiges „unwahr“. Sein Beispiel:

„So behauptete Gründinger, in einer Volksabstimmung in der Schweiz im März 2013 über die Förderung öffentlicher Kinderbetreuung (dem so genannten Familienartikel) habe die Mehrheit der Jüngeren dafür, aber die Mehrheit der Alten dagegen gestimmt“.

Diese Aussage sei, so Vater: „Einfach nicht wahr; anders: schlicht erfunden.“ Denn: Insgesamt habe eine Mehrheit „von knapp 55 Prozent für den Familienartikel“ gestimmt.

Nun sagt aber das Votum von 55 Prozent noch nichts über die Verteilung der Ja- und Nein-Stimmen über die Altersgruppen aus. Tatsächlich haben nämlich fast drei Fünftel der Jungen (und Mitteljungen) unter 40 für den Familienartikel gestimmt, gut die Hälfte der Älteren aber dagegen, wie eine Wahlanalyse des Netzwerks Kinderbetreuung ergibt (eine detaillierte Aufschlüsselung des Abstimmungsverhaltens innerhalb der Gruppe der unter-40jährigen liegt leider nicht vor).

Die Aussage von Herrn Vater, dass meine Aussage „nicht wahr; anders: schlicht erfunden“ sei, ist also selbst „nicht wahr; anders: schlicht erfunden“.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

 


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