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Aktion #Klehranlage: Interview mit Markus Kompa und Thomas Stadler

von , 14.6.12

Ende Mai hat die Aktion Klehranlage im Netz die Runde gemacht. Binnen zweier Tage kamen durch Crowdfunding die Mittel zusammen, um den teuren Klageweg bis zum Bundesverfassungsgericht finanziell zu sichern: Markus Kompa war von der Pressekammer beim Landgericht Hamburg verurteilt worden, die Verlinkung auf einen Filmbeitrag des ZDF-Verbrauchermagazins WISO durch einen embedded link zu YouTube zu unterlassen.

Gegen den eigentlichen Vorwurf [..] scheint der gute Mann ja gar nicht vorzugehen. Offensichtlich hatte der Klehr-Anwalt also den Auftrag, irgendwas zu finden, womit man Kritiker gängeln kann. Der Kollege darf stolz auf sich sein. (Kompa)

Es geht um die umstrittene Linkhaftung und die sonderbare Einrichtung des fliegenden Gerichtsstands (§32 ZPO), der die Verhandlung vor dem Kläger voraussichtlich wohlgesonnenen Gerichten ermöglicht. Eine weitere Frage ist die Anwendung des Laienprivilegs, das für Blogger eigentlich gilt. Dazu habe ich Markus Kompa und Thomas Stadler per eMail einige Fragen gestellt.
 

Markus, du bezeichnest die Entscheidung des LG Hamburg als “Schandurteil”. Worin liegt für dich die Schande?

Markus Kompa: Die Schande liegt vor allem darin, dass das rechtsirrige Urteil zu Selbstzensur und zu Einschüchterung durch Anwälte führt, weil nunmehr weniger Leute Verlinkung auf Youtube-Videos riskieren werden. Und die Ignoranz, welche die Hamburger Pressekammer der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit und der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entgegenbringt, ist einfach nur peinlich. Die Unverfrorenheit der Hamburger Landrichter, mit der sie eine offensichtlich zu Unrecht ergangene einstweilige Verfügung durch kreative Rechtsanwendung decken, ist eine Beleidigung für jeden Juristen.

Soll nach eurer Meinung mit dem Urteil eher der Jurist Kompa Mores gelehrt werden, oder will man ganz allgemein Blogger abschrecken?

Markus Kompa: Die Hamburger Landrichter der Zivilkammer 24 gehen gegen jeden scharf vor. Obwohl ich von den Anwälten wohl am lautesten den Vorsitzenden Richter Herrn Buske kritisiert habe, war die Arbeitsbeziehung seitens der Kammer stets professionell, ich habe dort für Mandanten schwierige Fälle gewonnen. Die Motive der Hamburger sind rätselhaft.

Thomas Stadler: Ich spekuliere ja ungern über die Motivation von Gerichten und glaube eigentlich nicht, dass sich das spezifisch gegen Markus Kompa richtet, denn dafür gibt es zu viele merkwürdige Urteile aus Hamburg. Was den konkreten Filmbeitrag, auf den Markus Kompa verlinkt hatte, angeht, gibt es beim LG Hamburg auch noch zwei weitere Verfahren, nämlich gegen das ZDF und gegen Google (YouTube).

Mein Eindruck ist einfach der, dass sich bei der 24. Zivilkammer des LG Hamburg eine meinungsfeindliche Rechtsprechung etabliert hat und dass man sich davon auch von den zahlreichen Entscheidungen des BVerfG und des BGH, die in eine andere Richtung weisen, nicht abbringen lässt.

Für Otto Normalblogger sind solche Urteile nicht verständlich, wenn von vornherein damit zu rechnen ist, dass sie kassiert werden. Die Kosten für Folgeklagen kann sich kaum jemand leisten, viele Blogs haben schon nach einer Abmahnung dicht gemacht. Was müsste sich ändern, damit der im Normalfall juristisch unerfahrene Blogger nicht ständig existenzbedrohende Strafzahlungen und/oder Prozesskosten fürchten muss?

Markus Kompa: Als erstes müsste das Problem auf Hamburg eingedämmt werden, in dem man den “fliegenden Gerichtsstand” nur bei örtlichem Sachbezug gewährt. Es wäre sachgerecht, wenn der Verletzte an seinem Wohn- oder Geschäftssitz zusätzlich klagen kann, eine Allzuständigkeit von Hamburg für Internetfälle ist jedoch grotesk. Hierzu müsste man § 32 ZPO ähnlich ändern, wie dies gerade für den E-Commerce von der Justizministerin angestrebt wird. Zweitens sollte das Landgericht Hamburg der Zivilkammer 24 die Zuständigkeit für Persönlichkeitsrecht entziehen. Es gibt auch am Landgericht Hamburg Richter, die mit den Eskapaden der letzten Jahre nicht einverstanden sind.

Thomas Stadler: Ich denke auch, dass man den fliegenden Gerichtsstand zwar nicht abschaffen, aber einschränken sollte, so wie Markus es gesagt hat. Dass ein Münchener Arzt einen Rechtsanwalt aus Münster vor dem LG Hamburg verklagt, ohne, dass es überhaupt einen Bezug zum Gerichtsort Hamburg gibt, sollte nicht möglich sein.

Das kann natürlich nicht verhindern, dass es auch an anderen Gerichten zu meinungsfeindlichen Entscheidungen kommt. Insbesondere aus Köln, aber auch aus Berlin kommen ja ebenfalls des öfteren merkwürdige Urteile. Man wird es letztlich nicht verhindern können, denn ich stelle speziell im Äußerungsrecht immer wieder fest, dass die Instanzgerichte meinungsfeindlicher bzw. persönlichkeitsrechtsfreundlicher entscheiden als der BGH und das BVerfG. Fast jeder Einzelfall ist anders, weshalb es nicht immer hilft, wenn man schon dutzende Vorlagen aus Karlsruhe hat.

Im Fall von Markus hat sich das LG HH ja auch formal an der Dogmatik des BGH zur beschränkten Haftung des sog. mittelbaren Störers orientiert. Danach haftet nur derjenige, der zumutbare Prüfpflichten verletzt hat. Dem LG Hamburg hat es dafür allerdings schon gereicht, dass Markus wusste, dass Klehr gegen den Filmbeitrag des ZDF rechtlich vorgeht. Das hätte ihn nach Ansicht des LG HH dazu verpflichtet, eigene Recherchen anzustellen und u.a. beim Kläger nachzufragen.

Die Rechtsauslegung ist an einem bestimmten Punkt immer wertend und wir erleben es deshalb immer wieder, dass diese Wertungen sehr unterschiedlich ausfallen.

Wer kritisch bloggt, wird also mit einem gewissen Abmahn- und Prozessrisiko leben müssen.

Das führt ja direkt zum Bild des Bloggers in der Öffentlichkeit: Einerseits werden Blogger als nachrangige Möchtegern-Journalisten betrachtet, andererseits werden, wie hier, ausgesprochen journalistische Tätigkeiten wie Recherche und Interview vorausgesetzt. Wann kann man sich denn auf das Laienprivileg berufen? Hätte es nicht auch für Markus gelten müssen?

Thomas Stadler: Ich hatte mich vor dem LG Hamburg für Markus ja ganz konkret auf das Laienprivileg berufen. Das LG HH thematisiert das im Urteil gar nicht, hat aber im Termin gesagt, dass Markus ja Medienanwalt ist, ein Blog für Medienrecht betreibt und deshalb nicht als Laie zu betrachten sei.

Markus Kompa: Das Laienprivileg spielt meiner Beobachtung nach in der Hamburger Pressekammer keine erkennbare Rolle. Was in Karlsruhe konzeptioniert wird, hat in Hamburg allenfalls periphere Bedeutung. Bei Bloggern werden im Vergleich zu professionellen Medien manchmal die Streitwerte gesenkt, aber der Haftungsmaßstab für Inhalte wird nicht relativiert. Vorliegend war nicht zu erkennen, was an dem Video hätte problematisch sein sollen.

Mit Laie ist dann also gar nicht Laie auf dem Gebiet der Berichterstattung gemeint, sondern ganz allgemein jemand, der nicht beruflich oder aufgrund der semiprofessionellen Ausübung eines Hobbys “irgendwie” mit einem Thema zu tun hat?

Thomas Stadler: Eine gute Frage. Was sich das LG HH dazu überlegt hat, weiß ich nicht, nachdem man es noch nicht einmal für nötig befunden hat, sich im Urteil damit auseinander zu setzen. Ich vermisse im Urteil übrigens eine Auseinandersetzung mit den meisten meiner schriftsätzlichen Ausführungen.

Man hat lediglich die Argumentation mit der Paperboy-Entscheidung aufgegriffen – die ich selbst übrigens auch nicht für wirklich überzeugend halte. Man greift also nur das vielleicht schwächste Argument auf, um das dann ausführlich zu widerlegen und setzt sich mit den anderen Argumenten erst gar nicht auseinander. Das ist vermutlich auch Bestandteil der hanseatischen Begründungstechnik.

Markus, du hattest zu Beginn der Aktion Klehranlage schon angeregt, eventuelle Überzahlungen als Grundstock für eine Bloggerhilfe zu verwenden:

Ich schlage jedoch alternativ vor, Überschüsse in eine längst überfällige Stiftung oder einen Verein zu überführen, welche die Abwehr von querulatorischen Eingriffen in die Meinungsfreiheit im Internet in vergleichbaren Fällen finanzieren.

Hast du mittlerweile schon Zeit zum Nachdenken gefunden, wie das am besten zu organisieren wäre?

Markus Kompa: Ja, ich prüfe gerade verschiedene Vorschläge.

Zunächst möchte ich mich bei allen Klehranlegern für die Solidarität bedanken! Ich werde zunächst denjenigen, die mehr als die vorgeschlagenen 20 Euro überwiesen haben, eine Reduktion ihrer Einlage anbieten, weil ja der eigentliche Prozess schon finanziert ist. Viele der Überweisenden aber hatten spontan im Feld für den Überweisungszweck angegeben, dass der Eingang für einen Verein oder eine Stiftung verwendet werden soll. Mit der unerwarteten Verwaltung von ca. 1.400 Klehranlegern bin ich im Moment ein bisschen überlastet und muss mir noch ein sinnvolles Verfahren überlegen, um allen zeitnah gerecht zu werden.

Eine entsprechende Stiftung ist überfällig, da sich Privatleute derartige Rechtsstreite nicht leisten können, denn sie werden nicht durch die Rechtsschutzversicherungen abgedeckt. Ich habe in der Vergangenheit unvermögende Mandanten enttäuschen müssen, weil der Rechtsweg aus Hamburg heraus nicht zu finanzieren war. Prozesse sind daher meistens in der Pressekammer zu Ende. Auch Prozesskostenhilfe bekommt man nur bei hinreichender Erfolgsaussicht, über die jedoch die gleichen Richter der Hamburger Pressekammer befinden, was im Regelfall natürlich zur Ablehnung führt. Weil die Hamburger die Rechtsprechung aus Karlsruhe nahezu ignorieren, ist es wichtig, solche Prozesse durchzuziehen. Unklar ist im Moment, wie die Entscheidung über förderungswürdige Verfahren laufen soll.

Letzte Frage. Nein, jetzt kommt nicht, “Wie schätzt ihr die Aussichten ein, in Karlsruhe zu gewinnen?” – gut natürlich, ihr würdet es ja sonst nicht angehen.
Aber wagt bitte für die Carta-Leser einen Ausblick: Wie schätzt ihr die politische Entwicklung ein? Wird das Medien- und IT-Recht in Bezug auf die freie Meinungsäußerung absehbar bloggerfreundlicher, bleibt es gegen alle Widerstände beim Status quo, oder wird es vielleicht sogar noch verschärft?

Thomas Stadler: Die Frage ist zunächst die nach dem Vergleichsmaßstab. Bloggerfreundlicher als das was das LG Hamburg entscheidet, wird das Medien- und IT-Recht sicherlich werden, weil der BGH und das BVerfG in aller Regel meinungsfreundlicher entscheiden als viele Instanzgerichte.

Man wird sich aber vermutlich auch als Blogger damit abfinden müssen, dass man immer wieder mit Abmahnungen zu rechnen hat, wenn man sich kritisch äußert. Denn es gibt derart viele unterschiedliche Einzelfälle, so dass auch eine meinungsfreundliche Grundtendenz in der Rechtsprechung keine Garantie dafür bietet, nicht in Anspruch genommen zu werden.

Grundsätzlich bin ich allerdings optimistisch, dass es zu keiner Verschärfung kommen wird, sondern im Gegenteil Fehlentwicklungen, wie die in der Hanseatischen Rechtsprechung, auf die Dauer immer wieder korrigiert werden.

Markus Kompa: Langfristig wird sich für die Haftung für fremden Content das von Karlsruhe favorisierte Konzept “notice & takedown” durchsetzen. Haftung kann erst ab Kenntnis sinnvoll sein, was den Hamburgern in etlichen Einzelentscheidungen ins Stammbuch geschrieben wurde.

Es ist wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis endlich § 32 ZPO eingedämmt werden wird, wie es Fachliteratur und Teile der Rechtsprechung fordern, andeutungsweise übrigens auch der BGH. Die Piratenpartei hat die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands sogar in ihrem Grundsatzprogramm.

Im materiellen Äußerungsrecht bestünde eigentlich kein Bedarf, etwas zu ändern, wenn sich die Gerichte an der Rechtsprechung aus Karlsruhe orientieren würden. BGH und BVerfG sind insoweit ganz überwiegend vernünftig und tragen der Meinungsfreiheit in den meisten Fällen Rechnung.

Markus und Thomas, ganz herzlichen Dank, dass ihr euch trotz Arbeit, Presseanfragen und Fußball-EM Zeit für die Antworten genommen habt. Vor allem: Viel Erfolg im weiteren Verfahren!
 

Zum Thema: FAQ zur Aktion Klehranlage, Bericht von Telemedicus, Interview bei Radio Fritz vom 2. Juni (bei 25:57)

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