#Angela Merkel

Agonie um Schloss Bellevue

von , 28.1.12

Der Präsident klammert sich an die Hoffnung, sich im Amt zu rehabilitieren. Als ließe sich moralische Autorität on the job erwerben. Doch was bleibt ihm auch anderes übrig? Ein Rücktritt käme für den 52-Jährigen einem Eingeständnis seines politisch-moralischen Scheiterns gleich. Und anders als beim gefallenen Messias aus Oberfranken, Karl-Theodor Guttenberg, wäre ein politisches Comeback für den 52-jährigen Wulff ausgeschlossen. Endstation Großburgwedel.

Doch was macht die Kanzlerin? Sie hält offiziell zu Wulff und fährt nicht schlecht damit: Ihre Beliebtheitswerte zeigen steil nach oben, in den einschlägigen Rankings hat sie die SPD-Schwergewichte Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück hinter sich gelassen. Vergessen scheint ihr Anteil an der Misere. Schließlich war sie es, die das höchste Amt im Staat zum Gegenstand ihres persönlichen Nutzenkalküls machte, indem sie ihren innerparteilichen Rivalen dorthin wegbeförderte. Es passt ins Bild, dass ihr die Situation in Schloss Bellevue nicht sonderlich zu pressieren scheint. Mit einem großangelegten „Zukunftsdialog“ mit Bürgern und Experten will sie sich nun rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2013 selber als über den Parteien schwebende „Ersatzpräsidentin“ positionieren.

Genau hier, in ihrem Desinteresse gegenüber dem Amt, seiner Bedeutung und seinen Potentialen, liegt das Problem. Der Präsident ist für Merkel nur relevant, insofern er ihr nicht in die Quere kommt. Wulffs Affären mögen peinlich sein, doch Fremdschämen war ihre Sache nie. Ganz in ihrem Sinne dürfte sein, dass das angezählte Staatsoberhaupt seine Rolle als Hüter der Verfassung und Wächter über den politischen Prozess in Zukunft nur zurückhaltend interpretieren wird. Christian Wulff – ein Präsident von Gnaden der Kanzlerin. Die Väter des Grundgesetzes hatten sich das anders vorgestellt.

Schon wird darüber diskutiert, ob das Amt des Bundespräsidenten überflüssig geworden sei. Ist es nicht. Denn politische Führung erschöpft sich nicht im Krisenmanagement oder der Exekution von Sachzwängen, wie sie die Kanzlerin praktiziert. Auch geht es nicht darum, die Menschen mittels inszenierter Dialogveranstaltungen „abzuholen“. Um die Vielfalt sachlicher Herausforderungen anzugehen und der Glaubwürdigkeitskrise demokratischer Institutionen zu begegnen, bedarf es einer nachhaltigen, nicht instrumentellen Kultur der Verständigung. In der Organisation entsprechender Diskurse – beispielsweise über die Zukunft Europas, die im Zuge der Energiewende anstehenden Modernisierungsaufgaben und soziale Gerechtigkeit in Zeiten wachsender Ungleichheit – liegen heute Notwendigkeit und Potential des Amtes begründet, nicht in seinen beschränkten formalen Kompetenzen. Die „Aktualität des Moralischen“, so hat es Oskar Negt formuliert, besteht darin, Lernprozesse zu organisieren, in denen sich sachliche Kompetenz mit Orientierung verknüpft.

Qua Amt und Person kann und will Angela Merkel dies nur bedingt leisten. Ein präsidialer Regierungsstil ersetzt noch keinen Präsidenten. Doch Christian Wulff wird von der Moral in Zukunft schweigen müssen.

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