von Wolfgang Michal, 4.6.09
Vor einem halben Jahr habe ich hier eine Flatrate für Journalismus vorgeschlagen. Warum, so die Frage, sollte E-Journalismus nicht ähnlich finanziert werden können wie Rundfunk? Über eine Monatsgebühr? Erhoben bei den Zugangsprovidern? Das führte – wie zu erwarten – zu heftigem Stirnrunzeln. Auch die Pawlowschen Abwehrreflexe – „Zwangssystem“, „digitaler Sozialismus“ – funktionierten prima. Doch möglicherweise muss man heute etwas unvoreingenommener und differenzierter über dieses Thema diskutieren. Denn einige Entwicklungen deuten darauf hin, dass wir uns auf eine Kosten-Pauschale für bestimmte Internet-Inhalte zu bewegen.
1. Die Herstellung komfortabler & mobiler Lesegeräte (Kindle, E-Reader, iPhone) hat den bisherigen Vorteil der Printprodukte (die man überall lesen konnte) zunichte gemacht. Und nach der gelungenen Durchsetzung alternativer TV- und Musik-Rezeption (YouTube, iTunes etc.) entwickeln jetzt mehr und mehr Start-Ups einfache Möglichkeiten, Texte per Download zu vertreiben bzw. zu verkaufen.
2. Im Netz findet eine Professionalisierungsdebatte statt. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Beteiligten über ihre Existenzsicherung im Internet nachzudenken beginnen. Schon in den achtziger Jahren krempelte eine Professionalisierungs-Debatte die alternativen Stadtzeitungen um. Anschließend machte die „taz“ den gleichen Prozess durch, nun erfasst sie die Blogs. Recherchieren, journalistisches Handwerk, Text-Qualität werden in einem Ausmaß eingefordert, wie das vor wenigen Monaten noch undenkbar war. Diese Professionalisierungsdebatte wird die Kostenlos-Kultur erstmals von innen heraus infrage stellen.
3. Die von den Verlagen angestoßene Urheberrechtsdebatte hat zu einem unbeabsichtigten Nebeneffekt geführt: zu einem neuen Selbstbewusstsein der Urheber. Diese werden künftig stärker bestimmen wollen, wo und wie sie ihre Werke veröffentlichen. Das heißt, es werden sich zahlreiche Direktvermarktungs- und Filesharing-Modelle etablieren, die neben den herkömmlichen Verlagen existieren: Autoren-GmbHs, Autoren-Genossenschaften, Gemeinschaftsblogs, Internet-Magazine, Text-Sharing-Plattformen etc. Mit der Emanzipation der Urheber wächst natürlich auch der Wunsch, ergänzende gesetzliche Regelungen für die neuen Veröffentlichungsformen zu finden.
4. Der härter werdende Kampf für die Freiheit im Netz macht vielen Netzpolitikern klar, dass die beiden Ziele Qualitätssicherung und Datenschutz nur zu erreichen sind, wenn Nutzung und Bezahlung von Inhalten so „bürgerfreundlich“ geregelt werden, dass nicht jeder Klick und jeder Downloadvorgang gespeichert werden muss. Diese grundlegende Einsicht könnte – angesichts des publizistischen, politischen und rechtlichen Drucks auf das Internet – das Umdenken in Richtung Globallizenz, Flatrate oder Abo beschleunigen.
5. Seit die Renditen sinken, denken viele Verleger erneut über Abo-Modelle für Internet-Angebote nach. Anders als früher kommen heute jedoch größere Einheiten ins Spiel. Nicht mehr der Zugang zu einzelnen Artikeln (Micro-Payment), sondern der Zugang zum ganzen Produkt oder zur Produktfamilie soll vom Nutzer erworben werden können: Holtzbrinck würde ein Holtzbrinck-Abo anbieten, Springer ein Springer-Abo, Gruner & Jahr ein Gruner & Jahr-Abo. Damit hätten die Abonnenten Zugang zu allen Angeboten des jeweiligen Konzerns – per Computer, E-Reader oder Smartphone. Joshua Benton vom „Nieman Journalism Lab“ prophezeite während des diesjährigen Reporter-Forums im Hamburger „Spiegel“-Haus, dass der Anteil des kostenlosen Online-Journalismus in den kommenden fünf Jahren stark zurückgehen werde – zugunsten von Bezahlmodellen. Doch die Einführung von Verlags-Abos ohne Absprache der Medienhäuser untereinander ist mit hohen Risiken verbunden. Jeder wird sagen: „Hannemann Döpfner, geh du voran!“
6. Unter dem Druck der Verleger-Lobby beginnt auch die Politik, sich zu positionieren. So zeigt die Forderung der Verleger nach politischem Flankenschutz (in Form eines neu zu schaffenden Leistungsschutzrechts) erste Wirkung: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die bisher dem Flatrate-Gedanken aufgeschlossen gegenüber stand, lehnt eine pauschale Vergütung für urheberrechtlich geschützte Internet-Inhalte inzwischen ab. Denn eine Pauschal-Vergütung (welche die bisher unerlaubte Nutzung von geschützten Inhalten legalisieren würde) macht ein spezielles Leistungsschutzrecht überflüssig.
7. Die Kostenpauschalen für Abos und Flatrate werden bereits durchgerechnet. Gehen die Befürworter der Kultur-Flatrate von 5 bis 15 Euro an monatlichen Kosten aus, so nennt Frau Zypries nun stolze 50 Euro. So viel kostet auch das Monats-Abo einer guten Tageszeitung oder das Fußball-Paket des Bezahlsenders Premiere Sky. Das heißt, ein Internet-Nutzer, der zu mehreren Abo-Angeboten Zugang möchte, käme schnell auf 100 Euro und mehr pro Monat. Da wäre die Flatrate günstiger. Doch die Grünen sind bislang die einzige Partei, die sich für eine Kultur-Flatrate stark machen. Die in ihrem Auftrag vom „Institut für Europäisches Medienrecht“ erstellte Studie kommt zu dem Schluss, dass eine Flatrate nicht nur verfassungsrechtlich machbar, sondern im Interesse der Künstler sogar geboten ist. Ganz ähnlich argumentierte der renommierte französische Urheberrechtler André Lucas.
Die Kultur-Flatrate hat es (im Gegensatz zum Abo) allerdings schwer, unvoreingenommen diskutiert zu werden, da viele Medien in diesem Konflikt Partei sind und viele Internet-Nutzer an ihrer Kostenlos-Interpretation von „freier“ Information festhalten. Hinzu kommt, dass manche Netz-Apologeten glauben, Angriffe auf die Nutzer-Freiheiten auch in Zukunft durch pure Cleverness abwehren zu können. Ich fürchte aber, sie werden die Interessen derjenigen, die den Netzmarkt unter sich aufteilen wollen, nicht mehr lange gegeneinander ausspielen können. In Zukunft wird es nicht mehr um die Frage gehen, ob die Nutzung bestimmter Netzinhalte bezahlt werden muss, es wird nur noch um die Frage gehen: wie? Abo oder Flatrate? Auf diese Grundsatz-Entscheidung läuft es hinaus.