#Barack Obama

Blamage ist Teil der Recherche: Online-Wahlkampf ist kein Plug & Play-Produkt

von , 20.5.09


Der Medienbetrieb verlangt nach schnellen Urteilen. Einer neuen Regierung wird mittlerweile nach 100 Tagen der Prozess gemacht, den Superwahlkampf will man offenbar schon mehr als 100 Tage vor dem Wahltermin abschließend bewerten.

Und die Jury hat gesprochen: Parteien blamieren sich im Internet, schrieb die Tageszeitung schon vor einiger Zeit. Die FAS berichtet in der vergangenen Ausgabe in qualvoll-liebevoller Länge über die belanglosen Twitter Feeds der Kandidaten: 140 Zeichen heiße Luft. Ebenfalls am Wochenende schrieb die NZZ: Obamas Funke zündet nicht im deutschen Internet. Noch Fragen?

500 Millionen Dollar, 13 Millionen Email-Adressen, 2 Millionen Netz-Aktivisten, ein paar Milliarden Klicks. Die großen Zahlen, die der Obama-Wahlkampf produziert hat, wirken wie ein numerischer Werbespot für Öffentlichkeitsarbeiter jeder Art: Jeder will dieses Produkt, diese Wunderwaffe. Nur herrschen bei Strategen und Politikern in Berlin mittlerweile berechtigte Bedenken, dass die meinungsstarken alten Medien jedes Experiment in den neuen Medien sofort hämisch kommentieren, jeden Testballon abschießen, bevor er seine Reiseflughöhe erreicht.

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Experiment, Work-In-Progress, das halbfertige Beta-Dasein gehören zum Wesen des Webs dazu.

Der digitale Schatten von Obamas ist lang. Neben dem Online-Riesen wirken selbst virtuelle Volksparteien wie Zwerge. Aber wie sinnvoll ist es überhaupt, die beiden Wahlkämpfe nebeneinander zu stellen? Und warum folgt dem Verweis auf Ausmaß und Neuartigkeit der Obama-Kampagne nicht die Beschreibung der ermöglichenden Faktoren? Man muss nicht erwarten, dass jeder Bericht über Obama den technologisch-historischen Kontext seiner Kampagne herausstellt, aber ein kleiner Verweis auf den Bodensatz der politischen Blogosphäre, die soziale Bewegung gegen George W. Bush, das politische Talent und die phänobiographische Singularität des Kandidaten wären für den Leser sicher hilfreich für die Einordnung der präsentierten Fakten. Der Online-Experte und Politologe Christoph Bieber (der hier im Blog schreibt) beschwerte sich kürzlich über diese eindimensionale Vergleichdebatte, auf welche der Politik 2.0-Diskurs in Deutschland reduziert werde.

Ein treffendes Wort, wie ich finde, das auch meine eigenen Erfahrungen deckt. Optimismus, Neugier und Gelassenheit ist in den Augen von vielen Journalisten offenbar keine akzeptable Haltung. Kürzlich gab ich einer großen Berliner Zeitung ein 40-minütiges Interview zum Thema Politik 2.0, betonte insbesondere die spezielle amerikanische Situation, berichtete von ermutigenden Beispielen, bat um differenzierende Darstellung des Themas, nur um auf die Aussage: Viele wollen Obama kopieren, laufen aber Gefahr sich lächerlich zu machen. Dass diese Gefahr nicht aus der Unfähigkeit der Anwender entsteht, sondern zu einem großen Teil von der Skepsis und Häme der Medien ausgeht, verschwieg der Kollege mal lieber.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich habe die digitalen Bemühungen der deutschen Politiker auch schon kommentiert, zum Beispiel hier und hier, und nicht jeder Satz war positiv und ermutigend: die generelle Skepsis, ja Feindschaft gegenüber dem Online-Experiment, die in den TAZ-FAS-NZZ-Artikeln aufscheint kann ich mir nicht erklären (vielleicht sollte man als Journalist, bevor man konstatiert, dass sich eine altehrwürdige Institution im Internet blamiert, noch kurz reflektieren, wie sich das eigene Medium in neuen System schlägt).

Experiment, Work-In-Progress, das halbfertige Beta-Dasein gehören zum Wesen des Webs dazu. Dazu kommt: Scheitern ist im luftleeren Raum des Internets, ohne Schwerkraft, Reibungsfaktor, Materialverschleiss, viel billiger als in der Realität. Das erfolgversprechendste Prinzip für die Suche nach der nächsten Killer-Applikation heißt Trial-and-Error. Die Blamage ist Teil der Recherche.

Politik 2.0 ist kein Plug and Play Produkt. Mybarackobama.com kann nicht mit Apfel C und Apfel V über den Atlantik kopiert werden, aber mit der Struktur importiert man noch nicht das Nutzungsverhalten. Vielleicht sollten die Medien sich weniger auf Politiker und ihre digitalen Übungen konzentrieren, sondern auf die Menschen in den angeschlossenen Wohnzimmern und Einfamilienhäusern:

Das Publikum ist der interessanteste Untersuchungsobjekt im Web 2.0. Wie nutzen sie das neue Medium? Und zu welchem Zweck? Welche Themen gelangen über digitale Medien in das gesellschaftliche Bewusstsein? Es gibt einiges zu erzählen: Im Streit um die Internet-Sperren artikulierte sich die Netzwerk-Öffentlichkeit zum ersten Mal so laut- und meinungsstark, dass es für das Establishment nicht mehr möglich war, sie zu überhören.

Der Widerstand wurde, wie die meisten hier wissen, vor allem über Blogs und Twitter verbreitet. Auch wenn man es in FAS und TAZ nicht glaubt: 140 Zeichen sind viel Raum. Und die One-2-Many-Tools des Web 2.0 sind für Bürger manchmal interessanter und wichtiger als für Politiker.

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