#Alexander Kluge

Oase im Netz: Digitale Essays

von , 19.3.13

Mikrotext vertreibt digitale Essays zu Themen, die im Netz diskutiert werden. Bisher besteht das Programm aus zwei Texten, einer davon ein Essay von Alexander Kluge über digitale Öffentlichkeiten. Er ruft darin auf, neue kleine “Oasen” zu gründen – Websites, Verlage, Bands etwa. Dabei gehe es nicht mehr um die Einzelstimme, sondern darum, viele relevante Stimmen zu versammeln. Wichtig sei, “dass man den Muskel ‘eigenes Interesse’ inmitten der Fülle des Nichteigenen strapaziert”, schreibt Kluge. (Rezension von David Pachali auf iRights.)

Mikrotext könnte solch eine digitale Oase im Sinne Kluges sein. Wir haben mit Nikola Richter über ihr Konzept gesprochen.

Nikola Richter

Nikola Richter (Foto: Carsten Meltendorf)

Wie funktioniert mikrotext: Alle drei Monate erscheinen zwei Texte?

Nikola Richter: Ja, alle drei Monate werden bei mikrotext zwei einzelne E-Books veröffentlicht, die sich auf ein gemeinsames, aktuelles Thema beziehen, und die auch Produktionsbedingungen von Text im Netz mitzudenken versuchen, also neue literarische Formate. Das Thema des im März erschienenen Frühlingsprogramms ist “Freiheit im Netz”. Das nächste Programm erscheint im Juni als Sommerprogramm. mikrotext befreit sich von dem klassischen Verlagsrhythmus, der nur zwei Programme pro Jahr anbietet, sondern geht mit den vier Jahreszeiten.

Was ist das Verlagsprofil, welchen Themen widmest Du Dich?

Nikola Richter: Die Themen sollen aktuell und geistig anregend sein. Ich schaue danach, was meine Social Media-Bekannten diskutieren. Sie denken und schreiben nicht nur im deutschsprachigen Raum, so dass ich hoffentlich auch bemerke, was auch übernational von Relevanz ist.

Auftakt ist ein Essay von Alexander Kluge,“Die Entsprechung einer Oase”. Kannst Du etwas über den Entstehungsprozess, den Inhalt sagen?

Nikola Richter: Ich hatte die Möglichkeit, mit Alexander Kluge eine halbe Stunde zu telefonieren, und wollte ihn nach seiner Meinung zu digitalem Kulturkonsum fragen. Ratschläge geben, das gefiel ihm nicht, aber er fing an, über seine Beziehung zur jüngeren Generation nachzudenken, über die Bedingungen von kultureller und künstlerischer Produktion und über das Lesen am Bildschirm.

Ich ließ ihn reden. Wie einige Vertreter anderer Generationen kann er druckreif sprechen. Das war sehr beeindruckend. Nach einer halben Stunde sagte er: So das reicht. Nachdem ich den Mitschnitt protokolliert und leicht bearbeitet hatte, telefonierten wir noch einmal; und da sagte er: “Mit Ihnen arbeite ich gerne wieder zusammen!”, was mich sehr freute.

Er las mir lateinische Sätze vor, von denen einer auch in dem Essay auftaucht, und wollte alles zum Format E-Book wissen. Er hat einen wahnsinnig wachen und neugierigen Geist. Witzigerweise fragten mich Lektoren traditioneller Verlage auf der Leipziger Buchmesse, ob ich für den Essay so genannte B-Lizenzen gekauft hätte, weil sie sich nicht vorstellen konnten, wie ein neuer Verlag an einen neuen Text eines bekannten Autors kommt. Sie dachten, es sei irgendein alter Text aus seiner Schublade. Aber: Es sind seine Gedanken vom 23. Dezember 2012, an dem Tag telefonierten wir.

Das zweite E-Book-Single heißt “Der klügste Mensch im Facebook” – Statusmeldungen des Syrers Aboud Saeed. Worum geht es darin?

Nikola Richter: Es versammelt Facebook-Statusmeldungen des 30-jährigen syrischen Autors Aboud Saeed, ausgewählt und übersetzt von Sandra Hetzl. Der Autor arbeitet als Schmied, lebt bei Aleppo im Norden des Landes in einer Kleinstadt mit seiner Mutter und Geschwistern zusammen und erschreibt sich seit zwei Jahren seine “persönliche Revolution” auf Facebook mit Anekdoten, Aphorismen, Dialogen aus dem Alltag, schwarzem Humor, Theorie über Facebook.

Mittlerweile ist er in der arabischen Facebookwelt eine Berühmtheit. Aber auch ein Literaturkritiker des Tagesspiegels, Andreas Schäfer, rief nach der Lektüre aus: “Lest dieses Buch! Es ist der Hammer!” Jetzt hoffe ich auf den ersten Facebook-Bestseller. “Der klügste Mensch im Facebook” ist übrigens Aboud Saeeds erstes Buch.

Gibt es ein Geschäftsmodell, wird der Verlag künftig erweitert?

Nikola Richter: Ich möchte mich lieber auf ein kleines, genau ausgewähltes Programm konzentrieren, als jetzt gleich über Erweiterungen nachzudenken. An Masse krankt meines Erachtens auch der klassische Buchmarkt. Wer soll das alles lesen? Aber wir haben vor, Aboud Saeed bald auch auf Arabisch und auf Englisch herauszubringen. Der E-Book-Markt ist ja global, warum sollten wir nur eine Sprache anbieten?

Sind E-Books generell eine Chance für kleine Verlage?

Nikola Richter: Sie sind eine Chance für alle Verlage, je nach Verlagskonzept kann das E-Book eine Erweiterung des Verlagsprogramms sein. Man darf nicht denken, dass mit E-Books alles ganz einfach ist, denn auch wenn der Vertrieb erst mal billiger ist, weil der materielle Buchvertrieb wegfällt, muss viel mehr Arbeit in das Marketing und die Pressearbeit und die Arbeit mit social media gesteckt werden. Es ist wie beim Bloggen: Wenn niemand weiß, dass da draußen mein Buch oder Blog ist, dann ist es nonexistent.

Lassen sich die Erfahrungen der Musikbranche mit Plattformen wie iTunes, dass die Nutzer lieber einzelne Songs als komplette Alben kaufen, auf den digitalen Buchhandel übertragen? Also lieber kurze Formate, die wenig kosten, statt langer Romane?

Nikola Richter: Übertragen lassen sich die Erfahrungen wahrscheinlich nicht, es geht ja um eine andere Kunstform, aber natürlich experimentieren Verlage, aber auch Amazon bereits mit dem Vertrieb von so genannten Serials, also Einzelteilen von Romanen, die man als Leser abonnieren kann. Ich persönlich glaube, dass jedes Medium auch ein eigenes Medienverhalten ausprägt, dass man also andere – vielleicht kürzere – Formate fürs Lesen auf dem Lesegerät braucht und nicht einfach die normalen Verlagsinhalte ins E kippen kann.

 Alexander Kluge: Die Entsprechung einer Oase
Aboud Saeed: Der klügste Mensch im Facebook

Nikola Richter ist Journalistin, Autorin und Bloggerin und lebt in Berlin.

 

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