#Comic

Wichsen in der Südsee

von , 22.1.13

Neulich las ich “Tim und Struppi im Kongo”. Zum ersten Mal übrigens, denn ich habe Tim und Struppi als Kind nie gelesen. Als ich klein war, gab es Asterix-Kinder und Tim-und-Struppi-Kinder, und ich war eben ein Asterix-Kind. Ich las also zum ersten Mal “Tim und Struppi im Kongo”. Vielmehr wollte ich es lesen, denn nach ungefähr vier Seiten erfasste mich Würgreiz.

Nicht nur, dass Tim einen Menschenaffen erschießt, ihm die Haut abzieht und diese dann als Verkleidung selber trägt. Das allein wäre mir — zumal bei einem Comic für Kinder — schon anstößig genug, aber das, was mich wirklich schaudern ließ, war die Darstellung der afrikanischen Bevölkerung.

Tim war ja auf seinen Reisen schon in vielen Ländern: er war bei den Russen, den Tibetern, in Südamerika, Osteuropa, China und dem Nahen Orient. Aber kein Volk wurde so einfältig dargestellt wie die dunkelhäutigen Eingeborenen.

“Tim und Struppi im Kongo” war zu viel für mich. Wie “Onkel Toms Hütte” im Übrigen auch. Konnte ich beides nicht zu Ende lesen, weil meine Galle beim Lesen himmelwärts nach der Freiheit drängte.

Und bei beiden Geschichten finde ich es grundfalsch, wenn Kinder und Jugendliche das unkommentiert zu lesen bekommen, weil ihnen ein Bild von farbigen Menschen vermittelt wird, das ich für gefährlich erachte.

Ein Comicheft kann man natürlich viel schwerer bereinigen als ein Buch, in dem man einige Worte durch andere ersetzt. In einem Comic gehen Text und Schrift Hand in Hand, und man wird wohl kaum auf die Idee kommen, einen Comic umzeichnen zu wollen.

Aber der Idee, in irgendeiner Form auf solche “historischen” Menschendarstellungen zu reagieren, sie Kindern und Jugendlichen nicht unkommentiert vorzuwerfen, kann ich durchaus etwas abgewinnen.

Just in diese Gedanken hinein poppte die öffentliche Diskussion um die Ankündigung des Thienemann-Verlags, verfängliche Wörter aus Kinderbuchklassikern wie “Die kleine Hexe” oder “Räuber Hotzenplotz” zu streichen. Als verfänglich gelten schwierige Begriffe, die von der Mehrzahl der Menschen heute als verletzend empfunden werden, wie z.B. “Neger” oder “Zigeuner”. Aber auch der veraltete Begriff “wichsen”, der über die Jahre eine gewisse Bedeutungsverschiebung erfahren hat, soll gestrichen werden. Der Oetinger-Verlag machte bereits vor einigen Jahren bei “Pippi Langstrumpf” aus dem “Negerkönig” einen “Südseekönig”.

Mein Sensor für political correctness ist nicht besonders fein eingestellt, im Zweifelsfall finde ich den Inhalt oder auch die Haltung hinter einer Äußerung wichtiger als ihre Form. Außerdem: irgendeiner fühlt sich immer verletzt, immer, und man kann einfach nicht auf alle Rücksicht nehmen, wenn man irgendwann einmal zum Ziel kommen will.

Bücher sind außerdem seit jeher Spiegel ihrer Zeit gewesen, wertvolle historische Dokumente, die viel über die jeweilige Epoche, gesellschaftliche Werte und Normen aussagen, kleine Zeitfenster, durch die man in die Vergangenheit gucken kann. Eine authentische, dieser Epoche entsprechende Sprache gehört für mich dazu.

Meine erste Reaktion war also ein ziemlich ambivalentes “Hmpf!” und ich ging nachdenken.

Folgendes kam dabei heraus:

Grundsätzlich unterscheide ich zwischen aus heutiger Sicht verletzenden Begriffen und solchen, die einfach nur veraltet und/oder wenig gebräuchlich sind.

 

Etwas Altes

Machen wir’s kurz: finde ich falsch.

Dass Sprache sich im Laufe der Jahre verändert, dass manche Wörter in Vergessenheit geraten und andere neu erfunden werden, ist normal und richtig. Ich finde es zum Beispiel relativ super, dass ich heute statt “knorke” “Endlaser” sagen kann. Aber ich halte es für einen Riesenunterschied, ob Worte einfach langsam und freiwillig aus der Sprache herausdiffundieren, oder ob Verlage verfügen, dass bestimmte Worte in Büchern nicht mehr vorkommen dürfen/sollen. Das eine ist ein natürlicher Prozess, das andere ein aktives Ausrotten.

Ich kannte als Kind nur eine Bedeutung von “wichsen”, nämlich die sexuelle. Bücher haben mir beigebracht, dass man das Wort noch anders verwenden kann, Bücher haben also meinen Sprachschatz erweitert. Ich benutze das Wort “wichsen” in seinen anderen Bedeutungen nicht oft, aber hin und wieder tue ich es doch und ich finde es jedes Mal knorke – pardon! – Endlaser, dass meine Sprache so wunderbar vielfältig ist.

Indem Verlage solche Begriffe zukünftig aus Büchern streichen, beschneiden sie aktiv die Sprache. Sie nehmen Kindern aktiv die Möglichkeit, die Vielfalt der Sprache kennenzulernen. Sie sorgen aktiv dafür, dass Worte in Vergessenheit geraten. Denn sie bieten ja keine neuen Worte für “wichsen” an, das Wort wird einfach durch andere, bereits bestehende Begriffe ersetzt.

Die Anzahl der aktiv verwendeten Begriffe reduziert sich durch solche Kürzungen um 1, da beißt die Maus keinen Faden ab.

 

Etwas Beleidigendes

“Neger” ist beleidigend, das habe ich verstanden. Ich will nicht verhehlen, dass es ein gewisser Weg bis zu diesem Bewusstsein war, denn ich hatte als Kind eine Negerpuppe, fast größer als ich, die ich heiß und innig liebte. Es brach mir fast das Herz, als mir irgendwann jemand sagte “Hier, das kannste aber nicht sagen!”, und es war für mich schwer einzusehen, warum die Form wichtiger war als die Haltung. Heute ist das natürlich anders und heute sehe ich durchaus die Notwendigkeit, Kindern bei bestimmten Begriffen so etwas wie eine Anleitung mitzugeben, damit sie sie nicht unreflektiert verwenden.

Aber Bücher umschreiben? Ersatzlose Streichung von schwierigen Begriffen? Womöglich sogar inhaltliche Verfälschung?

Finde ich schwierig.

Warum denn nicht zwei Versionen herausbringen, eine Originalfassung und eine modernisierte? Oder warum nicht ein Vorwort, eine Art Hinweis hineinschreiben?

“Obacht, dieses Buch bedient sich einer Sprache, die aus heutiger Sicht kritische Begriffe enthält. Diese Begriffe sind im zeitlichen Kontext zu sehen und sollen in keiner Form beleidigend oder verletzend sein. Sie geben die Gedankenwelt des Autors und seiner Epoche wieder und stellen keine Wertung dar. Eltern werden darauf hingewiesen, dass die Begriffe und ihre zeitliche Einordnung Kindern und Jugendlichen ggf. erläutert werden sollten.”

Oder irgendwie so ähnlich.

Auf diese Weise geht der zeitliche Kontext nicht verloren, der Einblick in eine Welt mit einem anderen gesellschaftlichen Wertesystem, anderen Umgangsformen, einem anderen Selbstbild, einer anderen Einordnung in der Völkergemeinschaft bleibt erhalten. Eltern können sich frei entscheiden, ob sie ihrem Kind das Originalwerk vorlesen, oder eine geglättete, modernisierte Fassung.

Ich glaube, eine sprachbereinigte Welt ist nicht automatisch eine bessere Welt. Man kann sich vollkommen politisch korrekt ausdrücken und trotzdem Rassist sein.

Einen kritischen und aufklärenden Umgang mit schwieriger Sprache finde ich deshalb besser als die bloße Zensur.

Gerade durch die Betonung der Besonderheit dieser Wörter kann ein Bewusstsein geschaffen werden. Ein Bewusstsein dafür, was Rassismus ist, zum Beispiel, oder dafür, dass Worte anderen wehtun können und dass es deshalb wichtig ist, sich nicht wie die Axt im Walde auszudrücken.

Und ein solches Bewusstsein macht die Welt ganz sicher ein klitzekleines Bisschen mehr Endlaser.
 

Crosspost von Fuck you, I’m human.

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