#Biopolitik

transmediale.11 in Berlin: Das Netz als Handlungszone sichtbar machen

von , 27.1.11

Die transmediale 2011 trägt den Titel “RESPONSE:ABILITY”, den man als eine Art Wortspiel sehen kann. Welchen Akzent sehen Sie dabei stärker: Responsability (Verantwortung) oder die Fähigkeit, Antwort zu geben (Dialog, Vernetzung)?

Markus Huber: Wir erleben heute eine zunehmende Hybridisierung von technisch generiertem Informationsraum und physischem Realraum. Denn die gegenwärtige Qualität mobiler Kommunikationstechnologien, Echtzeitmedien und Lifestreams eröffnen neue, hochdynamische soziale Handlungsräume zwischen on- und offline. Der Titel RESPONSE:ABILITY bezieht sich einerseits auf diese Verflüssigung der Grenzen. Die Fähigkeit, sich in einem solchen kulturellen, medialen Umbruch zurechtzufinden, Wissen und Informationen zu organisieren und dieses Potential auch für individuelle politische Entscheidungsprozesse nutzen zu können, ist ein zentraler Aspekt für die transmediale.11. Unsere Verantwortung als Nutzer und Akteure des Webzeitalters sehe ich weniger darin Antworten zu geben. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, in einer hochdynamischen sozialen und ökonomischen Umwelt handlungsfähig zu bleiben. RESPONSE:ABILITY ist also auch ein Aufruf neue Wege zu gehen, Handlungsweisen zu erproben und Fragen zu stellen.

Wir sind alle schon längst Cyborgs, sagte die Anthropologin Amber Case im Dezember 2010 auf einer TED-Konferenz. Hat Sie recht?

Markus Huber: Das ist eine interessante Frage. Der Cyborg ist ja bis heute eine faszinerende Phantasie. Ein Schnittstellen-Körper halb Mensch halb Maschine, der unsere physischen Fähigkeiten steigert und in die Welt ausdehnt. Heute erleben wir in der Tat eine ganz andere technologisch-biologische Verflechtung, die im mentalen, kognitiven Bereich verortet ist. Die Einbindung der virtuellen Dimension unseres Körpers – Affekt, Emotion, soziale Kommunikation, Kollaborationsfähigkeit – rückt immer stärker in den Mittelpunkt. Man könnte heute also von einem mentalen Cyborg sprechen, der mit der Entwicklung hin zu einer postfordistischen Informationsgesellschaft entsteht. Wir haben uns vom Fließband und der Anbindung des Menschen an den Maschinenkörper verabschiedet. Charlie Chaplins Modern Times war ja eine sehr frühe, aber bis heute faszinierende Analyse dieser Mechanismen. Heute ist unsere individuelle Kommunikationsfähigkeit zum entscheidenden sozialen, ökonomischen und politischen Kriterium geworden.

Darum wird es auch in der transmediale Konferenz BODY:RESPONSE gehen. Die zentrale Frage der Konferenz lautet: Wie gehen wir mit diesem Prozess der Auflösung eindeutiger Körper- und Identitätskonfigurationen um, die – durch die neue Qualität mobiler Medien und Echtzeitnetwerke ausgelöst – zu einer solchen Verschiebung im Denken des Humanen führen? Welche neuen psycho-ökonomischen und biopolitischen Machtwirkungen entstehen hier im ökonomischen und politischen Umfeld und wie reagieren wir darauf?

Wo steht die deutsche Cyborg-Debatte? Warum tut sich dieses Thema hierzulande so schwer, während etwa ein Thilo Sarrazin mit seinen Thesen wie aus der Vergangenheit mühelos die Schlagzeilen und Bestsellerlisten stürmt?

Markus Huber: In anderen Ländern ist diese Debatte in der Tat stärker ausgeprägt. Ich glaube das hat u.a. damit zu tun wie Technologie kulturell verstanden, akzeptiert und angewendet wird. In den USA etwa ist die Diskussion viel stärker ausgeprägt. Mit ein Grund hierfür ist sicherlich der sehr dominante militärisch-technische Komplex, der biologische, kybernetische Forschung, universitäre Einrichtungen, aber auch Popkultur und Filmindustrie mit einbezieht. Auch Japan – führend im Bereich der Kybernetik- und Roboterentwicklung – ist ein interessantes Beispiel. Wir alle kennen  die enthusiastische Manga- und Anime-Kultur, in der technologisch geprägte urbane Utopien mit spirituellen Vorstellungen von Körper und Geist zu einem alltäglichen kulturellen Medium verschmelzen. Hier sehe ich die herausragende Bedeutung der transmediale solche unterschiedlichen Formen der kulturellen Aneignung von Technologie und die damit entstehenden Debatten zu provozieren.

Filme und Videos werden auf der transmediale eine große Rolle spielen: Rund 60 Aufführungen wird es geben. Wo bleiben demgegenüber Computer-Spiele und virtuelle Welten? Würden diese nicht besser zu einem Zukunfts-Szenario passen als das sehr klassische Medium “Film”?

Markus Huber: Als Festival, das nunmehr seit 24 Jahren existiert und seinen Anfang in der Berlinale nahm (als Teil des Internationalen Formus des Neuen Films), begreifen wir das Filmprogramm natürlich als wichtigen Bestandteil unserer Geschichte, die wir weiterführen und neu kontextualisieren wollen. Denn der transmediale geht es nicht allein um die Präsentation neuester technologischer Errungenschaften, sondern um die Wechselwirkung, die zwischen technischer Entwicklung und ihrer gesellschaftlichen Anwendung entsteht. Mit dem internationalen Wettbewerb, den die transmediale ausschreibt und, der uns mit über 70 Ländern in der Welt verbindet, zeigt sich, dass verschiedene Kulturen und Regionen – entsprechend der unterschiedlichen Möglichkeiten des Zugangs und der jeweiligen Aneignung – bestimmte Technologien stärker im Alltag verankert sind als dies bei uns in Europa oder Deutschland der Fall ist. So benutzen die Inuits im polaren Norden Kanadas das Fernsehen als Technologie, um in einem Serienformat ihre kulturelle Tradition zu vermitteln und zu bewahren.

Aber natürlich spielen gerade Computer-Spiele eine immer stärkere Rolle. In unserem Programm widmen wir uns daher in mehreren Workshops, Ausstellungen und einer großen Diskussionsrunde diesem Bereich. Hintergrund ist die Partnerschaft mit Ludic Interface, einem neuen europäischen Studiengang, der sich der Analyse und Entwicklung spielerischer Schnittstellen widmet und ab 2012 geöffnet sein wird. Als Gäste haben wir u.a. die kanadische Programmiererin und Spiele-Entwicklerin Heather Kelley.

Die transmediale vergibt auch eine Reihe von Awards, darunter den Open Web Award für freie bzw. offene Technologien. Auf der “Short List” steht mit Thimbl ein Microblogging-Dienst aus Deutschland, der auf die Ursprünge des Web in seiner dezentralen und offenen Form verweist. Sehen Sie in solchen Projekten und ihrer möglichen Prämierung eine Chance auf Breitenwirkung (“Durchbruch”) oder stellen die Awards der transmediale eher auf eine Wahrnehmung in der Politik ab?

Markus Huber: Ja, über den Open Web Award freuen wir uns sehr. Durch unsere Kooperation mit Mozilla konnten wir diesen Preis endlich realisieren. Die nominierten Projekte zeigen, auf welche unterschiedliche Weisen wir offene Technologien nutzen können und welche Möglichkeiten der Bildung, Selbstermächtigung und Gestaltung darin liegen. Wir sind von der Kreativität und den Möglichkeiten des open web und offener Technologien überzeugt und begreifen das durchaus als ein politisches Statement. Ebenso wichtig ist es aber, die damit einhergehende Haltung, nämlich sich zu beteiligen, mitzugestalten und Einfluss zu nehmen, in die Breite zu entwickeln. Das bedeutet auch, diesen Projekten die Möglichkeit und Plattform zu geben, um sie weiterzuentwickeln.

Wird es Livestreams von Veranstaltungen der transmediale geben?

Markus Huber: In der Tat werden wir das Programm per Livestream übertragen. Das Thema “Live” ist ja ein wichtiger Bestandteil des Programmes der transmediale.11. Dabei geht es aber nicht nur um eine programmatische Entscheidung, sondern auch um die Möglichkeiten des freien Zugangs und der Partizipation an der künstlerischen, technischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die die transmediale führt. Viele Interessierte können nicht zum Festival anreisen, möchten aber dennoch an den Diskussionen teilnehmen. Sie können den Livestream verfolgen und über Twitter bzw. Facebook kommentieren und ganz neue, spannende Diskussionen und Ideen anregen.

Vielen Dank für das Gespräch. Veranstaltungsort ist das Haus der Kulturen der Welt (Berlin).

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