#Datenschutz

LiquidFeedback in der Piratenpartei: Datenschutz, Transparenz und das private Politische

von , 9.8.10

Die Einführung von LiquidFeedback als internes Abstimmungsinstrument für die Weiterentwicklung des Parteiprogramms der Piraten wurde am Donnerstag aufgrund von Datenschutzbedenken vom Vorstand für einige Wochen verschoben. Lesenswert ist als Einführung dazu der Artikel von Torsten Kleinz bei heise online.

In der Diskussion um Transparenz und Datenschutz zeigt sich damit ein ganz grundsätzlicher Gegensatz:

Frank Rieger, Datenschutzaktivist und CCC-Sprecher, erkennt hinter den Datenschutzbedenken bei Teilen der Piraten eine Furcht vor Transparenz. Seines Erachtens ist die Einführung von Liquid Democracy für die Partei existenziell: Ohne sie werden die Piraten “nur eine langweilige Nischenpartei bleiben, die irgendwann wieder in der zersplitterten Versenkung verschwindet.”

[F]alls die Piraten daran scheitern diese innerparteiliche dynamische, transparente Entscheidungsfindung zu etablieren, ist eine der wesentlichen Chancen auf eine grundlegende Renovierung des politischen Systems in Deutschland vergeben worden. Der Vorbildcharakter für andere Parteien ist enorm.

Kristian Köhntopp führt dazu aus:

Wenn ich jemandem meine politische Macht delegiere, dann will ich wissen, wer das ist. Dann will ich vertrauen können. Vertrauen ist die Hoffnung, daß das Verhalten einer Person in der Vergangenheit ein ungefähres Maß für das Verhalten dieser Person in der Zukunft ist. Es setzt voraus, daß die Vergangenheit offengelegt wird (Transparenz), daß die Aktionen und Abstimmungen dieser Person unter einer Identität erfolgt sind (Verkettbarkeit) und daß diese Übersicht vollständig ist. Weil das so ist, ist anonyme politische Betätigung ein Widerspruch in sich – das Politische ist das Gegenteil des Privaten.

Michael Seemann findet, die Transparenz-Befürworter machten es sich zu leicht, wenn sie argumentieren, dass das Politische eben nicht Privatsache sei und Mandatsträger offen legen sollten, wie sie in der Vergangenheit abgestimmt haben. (Dabei muss man bedenken, dass der Mandatsträger-Begriff im System durch die Möglichkeit der Delegation einzelner Stimmen sehr weit gefasst ist.)

[Einige Piraten] wollen nicht für bestimmte Öffentlichkeiten politisch transparent werden oder fühlen sich derart, dass sie sich politisch in der Öffentlichkeit nicht frei entfalten können. Wo – wenn nicht in der Politik – ist der gesellschaftliche Druck auf das Individuum am gefährlichsten? Wer diese Bedenken nicht ernst nimmt, für den dürfte Datenschutz an sich überflüssig sein.

Es ist doch so, dass eine einfache Trennung von privat und öffentlich nicht mehr gibt. Jeder hat bestimmte Privatheiten gegenüber bestimmten Öffentlichkeiten. Das Politische zum Job, der Job zur Familienangelegenheiten, die Familie zum Spaß im Freundeskreis und all das nochmal Reverse. Die Grenze, die wir Privat und Öffentlich nennen, ist in Wahrheit ein Fraktal gewesen und erst durch das Internet bekommen wir das zu spüren. Wer in dieses komplexe Gebilde wieder mit dem Trennmesser den klaren Definitionsschnitt vollziehen will, wird der Sache nicht gerecht.

Die netzpolitische Szene komme also nicht daran vorbei, zu entscheiden, was durch Datenschutz überhaupt geschützt werden sollte. Sie müsse die zunehmend schwierige Trennung der einzelnen Rollen eines Menschen durch deren Zusammenführung im Netz – und damit den Konflikt zwischen Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungsfindungsprozesse und eventuell daraus folgenden Einschränkungen der Privatsphäre – diskutieren.

Letztlich ist es doch eine Wertentscheidung, die Seemann für sich– ebenso wie Frank Rieger und Kristian Köhntopp – mit der Präferenz für Transparenz getroffen hat. Der Parteivorsitzende Jens Seipenbusch sieht hingegen bei einer “unverbindlichen Vorbereitungsplattform” nachvollziehbare Entscheidungen nicht als höchste Priorität.

Netzpolitik.org hat ihn unter anderem gefragt, wie der perfekte Datenschutz für das LiquidFeedback-System aussehen könnte:

Jens Seipenbusch: Es kommt auf den Anspruch an, den man an das System hat. Mit dem Anspruch, dass diese Software verlässliche und maximal nachvollziehbare Sachabstimmungen ermöglicht, muss man einige Punkte des Datenschutzes opfern. Der bisher von der Partei per Bundesparteitagsbeschluß geäußerte Anspruch hingegen, nämlich diese Software als letztlich unverbindliche Vorbereitungsplattform für einen Programmparteitag zu nutzen, läßt sich sehr wohl mit höherem Datenschutz vereinbaren. Das Motto ‘transparenter Staat statt gläserner Bürger’ wird halt schwierig, wenn man einerseits sehr stark direktdemokratisch agieren will und andererseits die innerparteiliche Willensbildung fälschlicherweise als Teil staatlichen Agierens definiert.

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