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Rücktritt ist Trend: Der neue Typ von Führungspersönlichkeit im Web 2.0

von , 19.7.10

Vielleicht spiegeln die Rücktritte in diesem Jahr – Köhler, Koch, Käßmann und jetzt von Beust – eine tiefergehenden Wandel wieder: Wer weiß, wer früher schon alles zurück getreten wäre, wenn da nicht die Angst gewesen wäre, die Angst vor Gesichtsverlust (Schlagzeile: „wirft das Handtuch“), Schuldzuweisungen ( „macht den Lafontaine“), Kontrollverlust („Nachfolger kündigt Modernisierung an“), oder Bedeutungsverlust: keine Schlagzeile mehr.

Käßmann hat gezeigt, dass es gar nicht so arg weh tun muss; Koch und Beust, dass es auch geht, ohne sich als Opfer zu inszenieren, und alle drei sind zurückgetreten ohne die „Ich bin so frei“-Koketterie eines Joschka Fischer – der nicht einmal das Amt, sondern in dessen Ermangelung nach der verlorenen Wiederwahl 2005 „nur“ noch sein Abgeordnetenmandat zurückgab.

Die Rücktritte stehen für einen Trend: Chefsein wird zunehmend zu einer Erfahrung, die man auch mal hinter sich bringen kann. Das Amt ist ein Job, vielleicht ein Projekt, aber keine Identität. Interessant, solange es einen fordert; hinfällig, wenn es anfängt zu nerven; attraktiv nur, solange der Gestaltungsspielraum größer ist, als die mit dem Posten verbundenen persönlichen Einschränkungen. Eine weit verbreitete These sagt, der Mangel an Frauen in Führungspositionen resultiere auch daraus, dass viele Frauen zu klug sind, um solche Posten überhaupt anzustreben. In der Hinsicht scheinen auch die Männer klüger zu werden. Die testosterontriefenden Begriffe „Macht“ und „Karriere“ weichen auf.

Haben wir diesen Wandel dem Internet zu verdanken? Vieles spricht dafür: Das Internet hat Barrieren zwischen Menschen abgebaut. In diesem Sinn ist die Welt wirklich ein Dorf geworden. Früher war eine Kontaktaufnahme mit einem Amtsträger ein Vorgang, mit Aktenzeichen, Unterschrift und Eingangsstempel. Heute ist es ein Mausklick. Wer wichtig war, hatte einen eindrucksvoll gestalteten Briefkopf. E-Mail-Adressen dagegen kennen keine Statusunterschiede.

Blender haben es zunehmend schwer. In der halbinformellen Welt des Internets verschwimmen die Grenzen zwischen Person und Position. Alles ist kommentierbar geworden, durch jeden. Deshalb sollten das öffentliche und das private Bild irgendwie zusammen passen. Früher konnten Funktionäre öffentlich von Kooperation und Transparenz reden, und ansonsten machen, was sie wollten. Heute müssen sie letztlich meinen, was sie sagen, sonst wird es schnell peinlich. Auch kann sich ein Politiker im Zweifel nicht mehr vorgaukeln, dass es nur die böse Presse, die „veröffentlichte Meinung“ ist, die ihm ans Leder will. Was ist ein kritischer Kommentar in der Süddeutschen gegen die unzensierte Häme, die in Facebook-Statusmeldungen zum Ausdruck kommt?

Es ist somit sicher kein Zufall, dass mit Beginn des Web 2.0 auch ein neuer Typ von Führungspersönlichkeit propagiert wird. In Wirtschaft und Politik werden die Macher alten Stils, die autoritären Typen mit Hand im Jacket zunehmend abgelöst durch die – wie Dirk Baecker es schön ausdrückte – post-heroischen Führungskräfte. Das ist auch uneingeschränkt gut so. Es führt aber eben auch dazu, dass das Wort von den „neuen Aufgaben“, die man übernehmen will, keine bewerbungskorrekte Umschreibung mehr ist für einen höherdotierten Posten mit glanzvollem Titel. Die Leute freuen sich wirklich auf neue Aufgaben, und wenn die nicht geboten werden, wenden sie sich gelangweilt ab.

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