#Bundespräsident

Liebe Bundesversammlung: Bitte Gauck wählen

von , 28.6.10

Am Mittwoch entscheidet die Bundesversammlung, wer in den kommenden fünf Jahren Staatsoberhaupt dieses Land sein soll. Es wäre zu einfach zu behaupten, hier ginge es um die Wahl zwischen einem Vertreter des Parteienstaats auf der einen und einem redegewandten Mitte-Intellektuellen mit Haltung auf der anderen Seite. In der Auseinandersetzung werden die Eigenschaften von Christian Wulff und Joachim Gauck überhöht und arg zuspitzt.

Richtig aber ist auch, dass die Diskussion um die Präsidentschaftskandidaten gezeigt hat, dass es hierzulande ein tief empfundenes Bedürfnis gibt, die Dinge grundsätzlicher, mutiger und herausfordernder zu diskutieren. Zugleich wird man das Gefühl nicht los, dass die Politik der Versuchung zu sehr nachgibt, zu verwalten und zu lavieren – statt zu gestalten. Sie hat, wie Richard David Precht im Spiegel formuliert, ein Problem mit Selbstbeobachtung und Versorgungsansprüchen:

In solcher Lage fehlt der Politik auch der Wille, etwas zu ändern. Das politische Führungspersonal unterscheidet sich kaum von den Bankern der Konkurswirtschaft, die noch mitnahmen, was sie kriegen konnten: ein paar letzte Privilegien, ein bisschen Machtgefühl, ein paar Versorgungsansprüche.

Das soziologische Problem der politischen Führungselite ist der Mangel an Selbstbeobachtung. Systeme werden fragil, wenn sie es nicht mehr schaffen, sich selbst mit anderen Augen zu sehen. Selbstblindheit verhindert nicht nur Innovation, sie verleitet auch dazu, den Ernst der Lage zu verkennen: in Weimar 1933 nicht anders als 1989 in Ost-Berlin.

Kurz: Es gibt eine ganz erhebliche Krise der politischen Führung in diesem Land. Man mag der politischen Führung derzeit so einiges glauben, aber nicht, dass sie “die Kraft” habe. Dieser Slogan aus dem Wahlkampf 2009 klingt heute wie eine Verhöhnung der Regierungsrealität.

Von Joachim Gauck geht zumindest die Hoffnung aus, er könnte (Teil-)Antwort auf diese Krise der Führung sein. Gauck hat in der kurzen Zeit seiner Vorstellung gezeigt, dass er reden und anregen kann. Christian Wulff hat dies nicht in annähernd gleicher Weise vermocht. Dabei geht es um Stil, Haltung und Gestaltungswille.

Das Amt des Bundespräsidenten gehört nicht den Parteien, es sollte dem besser für das Amt geeigneten der Kandidaten zukommen. Nichts anderes hat diese Demokratie verdient. Und deshalb sollten die Bundesversammlung am Mittwoch den Mut haben, Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten zu wählen.

Ein Gauck-Video:

Ein Wulff-Video (ein besseres war nicht zu finden):

Weitere Argumente in den Kommentaren sehr gerne…

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.