#Netzpolitik

10 Thesen zur netzpolitischen Diskussion: Raus aus der Hobby-Ecke

von , 24.6.10

1. ZENTRALES THEMA: NETZNEUTRALITÄT UND DIGITALE MONOPOLE

Digitale Monopole sind der Protektionismus des 21. Jahrhunderts. Darum wird Netzneutralität die zentrale netzpolitische Auseinandersetzung der kommenden fünf Jahre werden. Sie bestimmt die Richtung der Digitalisierung – ob das Netz zunehmend kommerzialisiert, monopolisiert und kontrolliert wird, oder ob sich die kreativen Kräfte des Internets in einem Rahmen von „Rights and Principles“ weiterentwickeln können.

Statt die Fehler der 1990er Jahre im Software-Bereich heute online zu wiederholen, sollte alles getan werden, um neuen Monopolen entgegenzuwirken und Raum für Wettbewerb zu schaffen. In den Bereichen Wissen, Infrastruktur, Schnittstellen und Softwarestandards, Netzzugang oder der Ausgestaltung von Endgeräten müssen Marktzutrittsbarrieren beseitigt und der Wettbewerb gefördert werden.

Dazu bedarf es einer starken Bewegung, in der unterschiedliche Akteure gemeinsam aus verschiedenen Richtungen ihre Forderungen nach einer offenen und partizipativen Netzstruktur und gesetzlich festgeschriebener Netzneutralität gegen die marktbeherrschenden Telekommunikations- und Medienunternehmen durchsetzen. Diese Bewegung existiert noch nicht, weder in Deutschland noch in Europa. Sie ist aktuell aber notwendiger denn je.

2. ZENTRALER WERT: DATENSCHUTZ

Datenschutz ist ein zentraler Wert in der digitalen Gesellschaft und eine notwendige Form staatlicher Regulierung. Das Datenschutzrecht muss endlich den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Ein moderner Datenschutz setzt den globalen Datenströmen einen verantwortungsbewussten Rahmen, orientiert sich an internationalen Standards und setzt Recht national durch.

Ziel ist es, persönliche Daten sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber der Wirtschaft effektiv zu schützen und Auskunftsrechte zu stärken.

Dem Wahn nach immer mehr Zentral- und Massenspeicherungen auf Vorrat muss entgegnet werden um diese Speicherorgien zu beenden. Die Prinzipien der Datensparsamkeit, Zweckgebundenheit und Transparenz bei der Datenverarbeitung und Technikgestaltung gelten auch heute noch. Angesichts der steigenden Bedeutung ist eine klare Verankerung des modernen Datenschutzes im Grundgesetz überfällig.

3. ÖKOLOGISCH SOZIALE EBENE DES INTERNETS

Die Digitalisierung verschiebt und erweitert die Grenzen unseres persönlichen Lebens. Digitale Angebote – ob bei Sozialen Netzwerken, kollaborativem Arbeiten oder auch der gemeinsamen Forschung – generieren individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert über die räumlichen Grenzen hinaus.

Neben dem sozialen muss auch der ökologische Mehrwert der Digitalisierung verstärkt in den Fokus gerückt werden.

Das fängt bei den Arbeitsbedingungen in der Produktion und den Entsorgungsfragen der Technik an. Aber auch Fragen des ökologischen Nutzens von Software und die Möglichkeiten, durch den Einsatz von Technik Ressourcen zu sparen, müssen intensiver diskutiert werden. Verbraucherrechte spielen dabei eine gewichtige Rolle, denn Verbraucher haben großen Einfluss. Ihre Entscheidungen darüber, wie sie konsumieren und digital arbeiten, prägen auf entscheidende Weise die Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft. Grundlage ist ein individueller Abwägungsprozess, eine Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Vor- und der Nachteile.

Es muss Anspruch unserer Wissensgesellschaft sein, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um unseren globalen Krisen im Bereich Klima und Gerechtigkeit Lösungen zu bieten. Diese Chancen sind zu groß, um sie ungenutzt zu lassen. Sie können einen stärkeren Nord-Süd Ausgleich ebenso fördern wie intelligente Angebote zur Effizienzsteigerung und Energieeinsparung.

4. URHEBERRECHT NEU AUSGESTALTEN

Das Urheberrecht spielt eine wichtige Rolle im Internet. Durch die digitale Entwicklung der letzten Jahrzehnte steht das Urheberrecht aber vor einer grundsätzlichen Akzeptanzdiskussion. Hier nur mit radikalen Extremen in der Öffentlichkeit aufzutreten, ist daher unredlich und verkennt die Vielschichtigkeit des Themas.

Die zunehmende Einengung des Urheberrechts auf ein Abschottungsrecht hemmt Kreativität und behindert Wissenschaft und Forschung. Der Trend zu längeren Schutzfristen und alleiniger kommerzieller Verwertung muss umgekehrt werden. Es bedarf der Abwägung und Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Interessenlagen.

Gleichzeitig gilt auch hier die Nutzerorientierung. Denn Recht ist stets auch eine Frage von Interessen. Es beruht nicht allein auf historischer Entwicklung sondern bedarf einer Bewertung unter den aktuellen Gegebenheiten. Einseitigkeit gefährdet hier grundsätzlich die Akzeptanz. Wir brauchen daher einen fairen Ausgleich, der berechtigte Interessen anerkennt und keine massiven Eingriffe in Privatsphäre und Rechtsstaatlichkeit nach sich zieht. In diesem Rahmen müssen auch Modelle der Pauschalvergütung genauso wie eine Verkürzung von Schutzfristen diskutiert werden.

5. DER WERT VON DATEN UND DIE INFORMATIONELLE SELBSTVERTEIDIGUNG

Datensicherheit ist ein weiterer wichtiger Wert in der digitalen Gesellschaft. Diese sollte aber kein politisches Konzept werden. Denn Datensicherheit als politisches Mantra zu verkaufen, birgt die Gefahr, dass damit neue politische Legitimationen für intensivere Kontrolle des Datenverkehrs von staatlicher oder auch institutioneller Seite geschaffen werden.

Die Sicherheit beim Umgang mit den eigenen Daten muss daher im Vordergrund stehen und sollte bei jedem einzelnen beginnen. Der mit mehr Leben zu füllende Begriff der Medienkompetenz spielt hier die zentrale Rolle. Die Vermittlung entsprechender Kompetenzen muss früh im Kindesalter beginnen und zentraler Bestandteil von Bildungsprogrammen bis ins hohe Lebensalter sein.

Dabei muss neben der informationellen Selbstbestimmung die informationelle Selbstverteidigung gestärkt werden, denn sie ist manchmal die letzte Möglichkeit, sich aktiv zu widersetzen und die informationelle Selbstbestimmung zu wahren. Die Möglichkeit das Internet anonym nutzen zu können, muss daher weiterhin sichergestellt werden. Das ist immer wichtiger, da immer mehr Firmen und Organisationen Daten sammeln, nutzen und verwerten.

Persönliche Daten werden heute zur digitalen Währung für auf den ersten Blick kostenfreie Angebote. Man bezahlt nicht mehr mit Geld, sondern mit seiner Privatsphäre. Man wird dazu verleitet, immer mehr Daten von sich und anderen preiszugeben, ohne zu wissen, was damit geschieht, wie man diese löschen kann. Daten müssen endlich einen angemessenen realen Wert zugeschrieben bekommen. Sie dürfen nicht länger als freie und besitzerlose Güter behandelt werden. Datenschutzverstöße sind keine Bagatellen. Sie missachten den Wert von Daten und die Würde der Menschen, denen diese Daten gehören bzw. betreffen.

6. DAS INTERNET ALS ORT DER TEILHABE

Das Internet ist ein offenes Medium. Es birgt die Chance auf mehr Transparenz und Beteiligung an demokratischen Prozessen. Die Frage, wie Deutschland zu einer OpenDemocracy weiterentwickelt werden kann, sollten Wissenschaft und Zivilgesellschaft zeitnah gemeinsam mit der Politik beantworten. Dialog und Transparenz sind der Anfang.

Es muss darüber hinaus um Mitwirkung und Mitgestaltung gehen. Die Teilhabe am Internet ist eine zentrale Voraussetzung dafür – sowohl, was den Zugang als auch die Möglichkeiten der selbstbestimmten Nutzung angeht. Der freie und offene Zugang zum Internet ist ein Grundrecht und Teil öffentlicher Daseinsvorsorge. Eine digitale Spaltung der Gesellschaft muss verhindert werden. Denn ohne Internetzugang wird man schnell vom sozialen und ökonomischen Leben im 21. Jahrhundert abgehängt.

7. NATIONALES DENKEN ÜBERWINDEN

Nationale Kleinstaaterei ist im Internet zwecklos und zum Scheitern verurteilt. Stattdessen müssen internationale Gremien und Diskussionsräume gestärkt werden. Vor allem dort können Zukunftsfragen des Internets und die damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen perspektivisch diskutiert und gemeinsam weitergedacht werden. Auch die deutsche Bundesregierung muss diese Erkenntnis endlich gewinnen, diesem Ansatz den nötigen Respekt zollen und daran intensiv mitwirken.

Gleiches gilt für die Bereiche Strafverfolgung und Durchsetzung internationaler Übereinkünfte. Wenn es um Fragen des Internets geht, muss auch in diesen Bereichen zwingend international und nicht länger regional gedacht werden. Internet Governance unter Einbeziehung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft kann die verfehlte nationale Strategie der letzten Jahre in der Netzpolitik endlich umkehren und ganzheitliche Ansätze dem Stückwerk entgegensetzen .

8. KLARE NETZPOLITISCHE LINIE

Das Kompetenzgerangel und die unklaren Verantwortlichkeiten schwächen das netzpolitische Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland – sowohl im Inland als auch im Ausland.

Bislang scheint Netzpolitik lediglich das Hobby einiger Bundesminister zu sein. Diese Situation verkennt die gewachsene Bedeutung des Internets und des IT-Standorts Deutschland. Es bedarf klarer Verfechter und vor allem einer kohärenten politischen Linie, um der Aktualität der Fragen und den Herausforderungen gerecht zu werden. Die Form ist dabei weniger bedeutend – ob Staatsminister, Beauftragter oder Staatssekretär; Wichtig ist, dass Kaffeeservice der Kaffeekränzchen endlich abzuräumen und politisch voranzukommen.

9. EUROPAS STÄRKE STÄRKEN

Europa gewinnt als Entscheidungsraum zentraler netzpolitischer Fragen zunehmend an Bedeutung und muss daher auch Teil der netzpolitischen Diskussion hierzulande werden. Aktuell geht es um den weiteren Umgang mit der Vorratsdatenspeicherung, Verhandlungen der SWIFT- und ACTA-Abkommen, die Reform der Telekommunikationsregulierung, die Abkommen zur Weitergabe von Passagierdaten an Drittländer und das Eintreten für einen fairen Wettbewerb.

Das alles sind zentrale Zukunftsfragen, die alle Menschen betreffen. Deutschland muss hier seine aktuelle Vorreiterrolle bei vielen dieser Diskussionen nutzen, eine führende Stellung in der europäischen Diskussion um die informationelle Selbstbestimmung einnehmen und sich beispielsweise für ein starke und moderne europäische Datenschutzrichtlinie einsetzen. Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit sowie Transparenz und demokratische Legitimation der politischen Entscheidungen müssen dabei im Mittelpunkt stehen.

Hier kommt dem Europaparlament die Verantwortung zu, sich für diese Werte und Verfahren noch stärker einzusetzen. Kommission und Rat werden nach wie vor zu oft als Hintertür benutzt und sind damit auch Einfallstor für Lobbyisten, um unliebsame und unpopuläre Entscheidungen jenseits der einzelstaatlichen Öffentlichkeiten herbeizuführen.

10. TECHNISCHE ENTWICKLUNG POLITISCH EINHOLEN

Die Komplexität und Flexibilität des Internets und die rasante technische Entwicklung stehen starren politischen Strukturen gegenüber. Die meisten politischen Entscheidungsprozesse sind nicht auf die permanent neuen Herausforderungen des Internets eingestellt. Das ist bedauerlich, da hier wertvolle Zeit verloren geht.

Gleichzeitig hat die Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz gezeigt, dass übertriebener Aktionismus zu schlechter Qualität von Gesetzen und Prozessen führt. Der Druck und die Notwendigkeit, endlich zu handeln und entsprechende Gesetzte zu verbessern, ist im Bereich Netzpolitik enorm. Es bedarf hier zeitnah transparenter Verfahren, grundsätzlicher Prinzipien und gemeinsamer Werte. Es müssen Wege aufgezeigt und sich auf gemeinsame Wegmarken verständigt werden. Sonst wird sich der Frust erhöhen. Handeln statt Reden – das ist die Devise.

Gastbeitrag von Malte Spitz. Er ist Mitglied des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen.

Zu diesem Thema hat Malte Spitz gleichzeitig einen Gastbeitrag auf Zeit Online veröffentlich: “De Maizières Käseglocke“:

… der Eindruck drängt sich auf, als sei es nach der Zeit des Ignorierens, der des Über- und Unterschätzens des Internets, nun die Zeit, in der der Innenminister versucht, sich sein eigenes Internet backen zu wollen.

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