#Fernseh-Duell

Wahlkampf 2.0, in Hessen keine Spur

von , 5.12.08

Vor allem Roland Koch hat derzeit die Rolle des Spielverderbers inne, und sie scheint ihm zu gefallen. Bereits am Tag der Parlamentsauflösung ließ die hessische CDU per Brief an die Verantwortlichen des Hessischen Rundfunks mitteilen, dass der geschäftsführende Ministerpräsident „in diesem Wahlkampf nicht für ein Duell zur Verfügung“ stehe. Über die – durchaus etwas merkwürdige – Begründung, eine Rücksichtnahme auf den potenziellen Koalitionspartner FDP, wurde in den folgenden Tagen viel geschrieben. Die SPD beeilte sich, dem politischen Gegner „Feigheit“ zu unterstellen, der Spitzenkandidat der Grünen, Tarek Al-Wazir nutzte die Lage zur Selbstnominierung für ein Duell – mit Roland Koch. Die FDP wertete dessen Vorstoß als Gag, allein die Linkspartei meldete sich bislang nicht zu Wort. Ein veritables Debatten-Durcheinander, oder, um es mit der Mundart-Übersetzung des Klassikers „Streit um Asterix“ zu sagen: Was e Gefuddel!

Der Hessische Rundfunk als „Veranstalter“ reagierte verhalten bis enttäuscht, dennoch bleiben zwei Termine im Vorfeld der Wahl (8. und 15. Januar) reserviert – dort können sich die Spitzenvertreter aller im Landtag vertretenen Parteien beteiligen. So zumindest ist der Stand im Augenblick, dem Vernehmen nach (vgl. Twitter) wird hinter den Kulissen noch verhandelt – doch das Wohl und Wehe des Formats hängt allein von der Bereitschaft der Kandidaten ab.

Die Lage in Hessen illustriert den Zustand des in Deutschland noch immer stiefmütterlich behandelten Formats der Fernsehdebatte: noch zu Jahresbeginn wurde nach dem großen Reichweitenerfolg des „Duells“ zwischen Roland Koch und Andrea Ypsilanti der Durchbruch gefeiert, seitdem galt die choreografierte Auseinandersetzung der Spitzenkandidaten als neuer Standard auch auf Landesebene. Nun droht gerade in Hessen, wo am 20. Januar diesen Jahres immerhin 400.000 Menschen die Debatte verfolgten (bundesweit wird die Zahl der Zuschauer mit 1,5 Millionen angegeben), ein Ausfall des populären Redewettstreits und damit ein Rückfall in die Zeit der Elefantenrunden längst vergangener Jahre.

Es lohnt ein näherer Blick auf die verfahrene Situation: aus der Perspektive der Kandidaten sind die Manöver von Durchsichtigkeit gekennzeichnet – der CDU-Verweis auf „Mehrheitskonstellationen“ und „Rücksichtnahme“ auf den potenziellen Koalitionspartner FDP kaschiert mehr als unzureichend den Wunsch, den wenig bekannten Kontrahenten Thorsten Schäfer-Gümbel von einer prominenten Plattform fernzuhalten. Die erwartbare, aber relativ plumpe Reprise der SPD verdeutlicht das natürliche Interesse an der großen Showbühne. Die Grünen sind mit ihrer forschen, aber wenig überzeugenden Forderung nach Doppelduellen zwischen Tarek Al-Wazir und Koch sowie Schäfer-Gümbel und dem FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn über das Ziel hinaus geschossen. Die Linkspartei könnte die Lage noch etwas unübersichtlicher machen, denn nach dem Einzug in den Landtag ist der Anspruch auf öffentlich-rechtliche Sichtbarkeit parlamentarisch legitimiert – noch vor Jahresfrist hatte der HR den Zugang zu prominenten TV- und Hörfunksendungen verwehrt.

Die von wenig Esprit geprägte Diskussion unter den Landespolitikern verdeutlicht, dass noch ein breites Unverständnis darüber herrscht, wie die Diskussion um eine Debatte produktiv für die eigene Kampagne genutzt werden könnte. Die günstigsten Voraussetzungen hierfür haben SPD und Linkspartei, denen hohe Reichweiten in jedem Fall in die Hände spielen würden, nahezu unabhängig von Inhalt und Verlauf etwaiger Sendungen. Die Enthaltsamkeit der Linkspartei in der Debattenfrage verwundert daher umso mehr – zumindest die Forderung nach einer Runde der „kleinen Parteien“ wäre zu erwarten. Schwieriger ist die Lage für die Grünen und die FDP: beide Parteien können in den Umfragen zwar Zugewinne verzeichnen und liegen nun deutlich oberhalb der 10-Prozent-Marke, doch rechtfertigt diese Positionierung keineswegs die Teilnahme an einem Duell der Spitzenkandidaten um das Ministerpräsidentenamt – und eine Gegenüberstellung „auf Augenhöhe“ käme für Al-Wazir und Hahn – am Ende noch mit einem Vertreter der ungeliebten Linkspartei – einem Verkauf unter Wert gleich. So durchschaubar das Hauptmotiv für die Duell-Absage aus dem CDU-Lager auch sein mag, so sehr lädt die ablehnende Haltung zu weiteren Spekulationen ein. Selbst wenn eine Debattenverweigerung zwar nicht ganz untypisch für Amtsinhaber ist, so ist die Argumentation eine eher unglückliche – eine „Position der Stärke“ sieht anders aus. Ganz nebenbei wirkt diese Argumentation wie das späte Eingeständnis einer Niederlage gegen Andrea Ypsilanti, es verrät ein diffuses „Duell-Unbehagen“ beim geschäftsführenden Ministerpräsidenten.

Doch wer kann nun diesen gordischen Debattenknoten lösen? Der HR scheinbar nicht, viel zu defensiv und beinahe ratlos wirkt die Ankündigung von zwei unspezifischen Allparteienrunden. Eine öffentliche Thematisierung im Sinne einer „Debatte vor der Debatte“ um Teilnehmer, Konstellationen und Formate ist bislang ausgeblieben. Eine gute Chance dazu hat der HR bereits vergeben: bei der Hessentrend-Umfrage von Anfang Dezember hätte ein Stimmungsbild zur Debattenfrage in der Bevölkerung zumindest Hinweise für eine solche Diskussion liefern können. Auch ein offensives Kommunizieren unterschiedlicher Formate wäre denkbar, um für Bewegung zu sorgen: anstelle eines starren, verregelten TV-Duells nach dem Muster des Vorjahres wäre ein „weicheres“ Townhall-Format mit Studiopublikum und weniger direkter Konfrontation zwischen den Kandidaten womöglich das konsensfähigere Modell.

Die Aufteilung der fünf Spitzenvertreter in zwei Sendungen wäre indes nicht allzu schwierig – trotz der Verluste im SPD-Lager ist der Vorsprung auf FDP und Grüne in den Umfragen noch groß genug, um Thorsten Schäfer-Gümbel als einzigen – wenn auch wenig aussichtsreichen – Spitzenkandidaten mit einer Chance auf den Einzug in die Staatskanzlei zu identifizieren. Auf dem Debatten-Reißbrett würde daraus folgendes resultieren: zunächst eine Dreierrunde zwischen Tarek Al-Wazir, Jörg-Uwe Hahn und Willy van Ooyen am 8. Januar, zehn Tage vor der Wahl. Als Format hierfür würde sich das klassische press panel eignen, bei dem die Fragen von einem oder zwei Journalisten an die Kandidaten gestellt werden. Drei Tage vor der Wahl, am 15. Januar, könnte dann eine Debatte im Townhall-Stil folgen, bei der sich Roland Koch und Thorsten Schäfer-Gümbel unter Anleitung eines Moderators ausgewählten Zuschauerfragen stellen. Zur weiteren „Entschärfung“ und „Beschleunigung“ beider Formate könnten kurze Einspielfilme die wesentlichen Wahlthemen sowie Agenda der Kandidaten erläutern – jede Minute Sendezeit ohne Gelegenheit zur kontroversen Auseinandersetzung wäre dabei im Sinne zögerlicher oder unsicherer Teilnehmer.

Doch vermutlich wird es dazu nicht kommen, denn seit der Einführung der „Kanzlerduelle“ zur Bundestagswahl 2002 ist der wesentliche Systemfehler dieses weltweit populären Formates der Mediendemokratie nicht beseitigt worden: in Deutschland entscheiden allein die Vertreter von Politik und Medien über Inhalte, Formate und Ablauf von Fernsehdebatten. Der zuletzt in den USA wieder deutlich gemachte Anspruch der Öffentlichkeit auf den prominent inszenierten Schlagabtausch unter Aspiranten auf ein Regierungsamt ist in Deutschland schlicht und einfach nicht durchsetzbar. Ohne regelsetzende Instanz, wie sie in den USA mit der Commission on Presidential Debates (http://www.debates.org) vorhanden ist, und ohne öffentliche Debatte über das Format sind Schlupflöcher für debattierunwillige Kandidaten vorprogrammiert. Leidtragende sind dabei die Wählerinnen und Wähler in Hessen – gerade in einem derart kurzen Landtagswahlkampf, der noch dazu zur Kurskorrektur und Neu-Positionierung in einer Situation des politischen Stillstands genutzt werden muss, können verdichtete Kommunikationssituationen wie Fernsehdebatten sehr wohl hilfreiche Informationen zur Wählerbildung liefern.

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