#Medienwandel

Medienkrise 2008: die Tagespresse, das Netz und die deliberative Öffentlichkeit

von , 5.12.08

Der Medienherbst 2008 ähnelt auf Déjà-vu-verdächtige Weise dem des Jahres 2001: Verlage streichen Redaktionen zusammen, Werbemärkte brechen weg, Insolvenzen werden nicht mehr ausgeschlossen. In einem zentralen Punkt jedoch unterscheidet sich die derzeitige von der letzten Krise: Waren es 2001 die Online-Bereiche, bei denen rüde gekürzt wurde, trifft es diesmal vor allem die gedruckten Seiten. Die Medienkrise 2.0 ist vor allem eine Krise der Printmedien.

Die bange Frage lautet: Haben wir es mit einem konjunkturellen oder einem strukturellen Einbruch zu tun? Werden gedruckte Medien dauerhaft geschwächt aus den erneuten ökonomischen Wirren hervorgehen? Und wenn ja, droht dadurch ein Verlust an demokratischer Öffentlichkeit?

Das Grundmuster der derzeitigen Übergangskrise hat der amerikanische Wissenschaftler Eli Noam bereits vor drei Jahren beschrieben: Die Medienindustrie ist eine typische Skalen-Industrie. Es werden große Publikationseinheiten benötigt, um die hohen Fixkosten zu finanzieren. Entwickelt sich jedoch eine neue Technologie, die neue Zugänge ermöglicht, ist es mit der Stabilität der großen Einheiten rasch vorbei. In solchen Phasen bricht ein ruinöser Wettbewerb aus, die Preise fallen ins Bodenlose, Unternehmen kollabieren – bis sich schließlich erneut eine konsolidierte Struktur der großen Einheiten herausbildet.

In genau diesem Wellental befinden wir uns derzeit. Die großen Einheiten der analogen Medienindustrie geraten angesichts erstarkender Online-Konkurrenz ins Wanken – und konkurrieren nun darum, wer in der neuen Struktur noch oben mit dabei sein wird. Dieser Prozess dauert länger als eine Konjunkturkrise. Er begann vor dieser und er wird mit ihrem Ende nicht abgeschlossen sein. Die aktuelle Misere könnte aber den entscheidenden Ausschlag geben.

Schleichend haben sich die Großen des Internets zu echten Konkurrenten für die klassischen Medien gemausert: Google erzielt hierzulande bereits einen höheren Umsatz und erreicht täglich mehr 14- bis 64-Jährige als RTL. Spiegel Online erreicht in dieser Altersgruppe täglich mehr Leser als die Süddeutsche Zeitung. Für RTL und die Süddeutsche kann dies in Zeiten forcierten Wettbewerbs nicht folgenlos bleiben.

Die Printmedien haben im Wettbewerb mit dem Internet ein doppeltes, nämlich ein Kosten- und ein Kulturproblem. Auf der einen Seite ist es horrend teuer, Tageszeitungen drucken und vertreiben zu lassen. Internetseiten kann man dagegen zu einem Bruchteil der Kosten verbreiten. Der allgemeine Nachrichtenjournalismus wird damit zum Gratisprodukt. Einen weiteren Nachteil bekommen die Printmedien nun auch im Anzeigenmarkt zu spüren. Es fällt ihnen zunehmend schwer, ihre auch technisch bedingt höheren Anzeigenpreise durchzusetzen.

Noch bedrohlicher aber für die alten Medienindustrien ist der Wandel der Informationskulturen durch das Internet. Die Menschen informieren sich online verstärkt anlass- und ereignisgetrieben. Die habituelle Nutzung von Publikationen nimmt ab. Die Nutzer reagieren auf die Informationsvielfalt mit einer Verengung ihres Interessenspektrums. Zugleich gewinnt das persönliche Umfeld als Ursprung von Informationen an Bedeutung: Nachrichten lesen über Leute, die man kennt – das betrifft dank sozialer Netzwerke zunehmend direkte Freunde und seltener Massenmedienprominente.

Aufgrund des Kostendrucks und des Kulturwandels ist der Trend von den klassischen Medien weg hin zum Internet unumkehrbar. Dabei ist zu bedenken, dass diese Entwicklung vor allem auch von Endkunden vorangetrieben wird. Es ist die Zivilgesellschaft, die sich immer häufiger entscheidet, dass das Netz ihr Informationsbedürfnis besser, effizienter und interessanter abdeckt als die klassischen Medien. Der Medienwandel gehorcht zwar auch einer abstrakten kapitalistischen Logik – zugleich aber dem Drängen der Nutzer.

Die aktuelle Krise ist Katalysator dieses Medienwandels. Sie zeigt, dass die technologische Konfiguration, welche die klassischen Medien und ihren Journalismus hervorbrachte, sich ihrem Ende zuneigt. Mit den Tageszeitungen droht dabei ein zentraler Teil bundesrepublikanischer Öffentlichkeitskultur verloren zu gehen. In der jungen deutschen Demokratiegeschichte gab es immer Tageszeitungen – Printmassenmedien und diskursive Öffentlichkeit lassen sich kaum noch getrennt denken. Im Gegenteil: Die Qualitätstitel der Tagespresse gelten vielen als beinahe ideale Inkarnation einer deliberativen Öffentlichkeit. Der Status Quo des Tageszeitungswesen gerät so zum normativen Fixpunkt, von dem ab sich alle Online-Entwicklung als Verlustgeschichte manifestiert.

Diesem normativen Kurzschluss sollte man jedoch auf keinen Fall erliegen. Er ist nicht nur ahistorisch: In der Zeit ihrer massenhaften Durchsetzung galten Tageszeitungen selbstverständlich auch als Indikatoren eines oberflächlich-populistisches Impulses von zweifelhafter Wertigkeit. Ein solcher Schluss droht sich vor allem zu einer wenig förderlichen Selbstblockade auszuwachsen. Dabei zeigt die neutrale Betrachtung: Das Internet ist die über weite Teile klar überlegene Technologie zur Verbreitung journalistischer Inhalte und zur Herausbildung einer deliberativen Öffentlichkeit. Als zugangsoffener, universaler, vernetzter und kostengünstiger Medienträger vermag es Diskurse und Positionen viel besser und in höherer Komplexität abzubilden, als es das klassische Mediensystem je vermochte. Dass letzteres vor allem auch vermachtet ist, häufig mutlos, unoriginell, überheblich und absurd ineffizient, wird in der Debatte gerne verdrängt.

Das Internet mag als Kommunikationsraum noch immer beängstigend chaotisch und fragmentiert wirken. Stellvertretend für so viele erkennt auch Jürgen Habermas hier nur zersplitterte “Zufalls”-Öffentlichkeiten, denen es an Synthesemechanismen fehlt. Er hat dabei womöglich sogar zu einem erheblichen Teil Recht. Eine solche Position aber verkennt den Charakter der Übergangssituation und die Zeichen einer wachsenden Strukturierung.

Im Netz bildet sich langsam, aber in zunehmender Geschwindigkeit eine neue vernetzte Informationsökonomie von Journalismus und gesellschaftlicher Kommunikation heraus. In dieser neuen Konstellation spielen spezialisierte Angebote auf der einen und große Aggregatoren auf der anderen Seite eine entscheidende Rolle. Öffentlichkeit entsteht in einer neuen Verschaltung von Publikationen und Filtern.

Wie genau die neuen digitalen Austauschverhältnisse aussehen werden, ist noch immer kaum auszumachen. Der klassische Journalismus war um das Prinzip des Distributionsoligopols organisiert, das mit Hilfe berufsständischer Normen verwaltet wurde. Das Internet reist die um den Journalismus errichteten kulturellen Wände ein. An die Stelle tritt ein neues System von Selbstständigkeit und Selbstökonomisierung.

Man ist als Journalist zunehmend auch dafür verantwortlich, dass die Abrufzahlen der eigenen Texte stimmen. Man könnte auch sagen: Das System der Klick-Ökonomie bricht in die journalistische Lebenswelt ein. Die neuen Freiheitsgrade müssen durch neue kulturelle Verabredungen domestiziert werden. Hierzu bedarf es der gesellschaftlichen Auseinandersetzung – und letztlich auch all der Bedenkenträger.

Was jetzt zu tun ist, ist unschwer zu erkennen. Selbst Habermas merkt an, man müsse die Voraussetzungen, auf die sich die pessimistische Diagnose in Sachen Internet stützt, noch einmal in Ruhe prüfen. Es sei schließlich nicht ausgemacht, dass eine deliberative Öffentlichkeit zwingend eine klassisch massenmediale sein müsse. Und aus ökonomischer Sicht stellte Eli Noam schon vor drei Jahren in Aussicht: Den Verlagen bleibt nichts anderes übrig, als sich auf eine papierlose Zukunft vorzubereiten.

Dieser Artikel erschien im Original in der Wochenzeitung Freitag in der Ausgabe vom 5.12.2008.

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