#Globalisierung

Zwangssteuern und Bürgerfreiheit: Sloterdijk vs. Kirchhof

von , 4.1.10

Ein Philosoph philosophiert über Kapitalismus und die moderne Einkommensteuer (FAZ vom 10. 6. 2009): Peter Sloterdijk spricht von der De-Solidarisierung in der Gesellschaft, wenn die Transferempfänger stetig zu- und die sie finanzierenden Steuerzahler stetig abnehmen. Der moderne Steuerstaat sei kleptomanisch in seinem durch Zwangssteuern generierten Umverteilungsansinnen. Ein Staatsrechtler antwortet (FAZ vom 7. 11. 2009): Paul Kirchhof – im freundlichen „benign neglect“ der Sloterdijkschen Provokation – verteidigt die Zwangssteuer als Preis der individuellen Bürgerfreiheit, die der Staat garantiere.

Der Staat muß die Freiheit der Bürger schützen, aber ebenso muß die Freiheit der Bürger vor dem Staat geschützt werden. Hier liegt der Graben zwischen Kirchhof und Sloterdijk: Zwangssteuern als Preis für Bürgerfreiheit bedrohen diese, wenn dem Staat jede Freiheit zugestanden wird, diesen Zwangspreis hoheitlich zu überhöhen – zum Beispiel in Form konfiskatorischer oder überdehnt progressiver Steuersysteme zum Zwecke der Umverteilung. Dann will er die Freiheit der Bürger paternalistisch schützen, indem er ihnen diese kraft hoheitlichen Zwangssteuermonopols wieder nimmt.

Damit ist das Verhältnis zwischen (Steuer-)Bürger und Staat angesprochen. Traditionell herrscht das Denken in Kategorien des Zwangsopfers und nicht in den durch freiwillige Tauschhandlungen inkorporierten Wertäquivalenzen zwischen dem „Opfer“ an den Staat und den Staatsleistungen an den „Opfernden“. Es gibt keinen engen Bezug zwischen Staatsleistung und Steuerbeitrag., weil der Staat den „Preis für die Freiheit“ der Bürger monopolistisch setzt und sich in keinerlei Abhängigkeit bringen und mit keinen Rechtspflichten gegenüber den Bürgern belasten will.

Deshalb ist die Zwangssteuer kein echter „Preis“ für die garantierte Bürgerfreiheit, wie Kirchhof dies in verbaler Marktanalogie ausdrückt. Denn Preise auf Märkten, die ja subjektive Wertschätzungen indizieren, sind das Ergebnis freiwilliger Tauschbeziehungen, also der zwangsfreien Äquivalenzbeziehung im Tausch zwischen Handelspartnern.

So sind Freiwilligkeit und Wertäquivalenz die Besteuerungsparadigmen, die eher zu Sloterdijk passen. Er huldigt damit nicht dem traditionellen Staatsverständnis, das den Staat als eine hierarchisch über den Bürgern stehende Institution ansieht, die mit einem Entscheidungs- und Durchsetzungsmonopol gegenüber ihren Bürgern ausgestattet ist und deren Legitimation aus „externen“ Bewertungsmaßstäben abgeleitet wird, die von den „internen“ Bürgerpräferenzen losgelöst sind (organische Staatsauffassung).

Vielmehr steht Sloterdijk eher einem Staatsverständnis nahe, das den Staat als einen freiwilligen Zusammenschluß von Bürgern versteht, durch den sie gemeinsame Vorteile erschließen wollen (verfassungsökonomische Staatsauffassung). Die freiwillige Ermächtigung des Staates zum öffentlichen Leistungsangebot bedeutet dann, daß das Verhältnis zwischen Bürger und Staat im Rahmen einer Beziehung zwischen Prinzipal und Agent grundsätzlich auf die gleiche Ebene gestellt wird wie das zwischen Individuen untereinander. Und das impliziert Freiwilligkeit in den Steuerzahlungen für Staatsleistungen, die im Urteil der Steuerbürger diesen Zahlungen gegenüber prinzipiell wertäquivalent sind.

Wenn die staatlichen Funktionsträger den steuerlichen Umverteilungsmechanismus – zum Beispiel aus Ideologie oder aus Wiederwahlgründen – in einer Intensität überdrehen, die bei den überproportional Belasteten die Wertäquivalenz zwischen – im Kirchhofschen Sinne – Preis und staatlicher Freiheitsgarantie zerstört, dann mündet dies in einer Entsolidarisierung zwischen den Belasteten und den Nutznießern der Umverteilung: Erstere plädieren für freiwillige Steuern oder nehmen Exit-Optionen aus der Zwangsbesteuerung wahr, indem sie – legal oder illegal – die Steuerbemessungsgrundlage ins Ausland oder in die Schattenwirtschaft verlagern. Letztere präferieren Zwangssteuern für die anderen und wählen diejenigen Politiker, die ihnen versprechen, daß die Steuersätze der steuerbelasteten Minderheit höher sind als die der – zum großen Teil keine Steuern zahlenden – transferempfangenden Mehrheit, der sie selbst als Wähler angehören.

Was sollte denn falsch sein an Sloterdijk, wenn er in der Nähe dieser Perzeption die De-Solidarisierung innerhalb der Gesellschaft des modernen Steuerstaates skizziert? Wir können sie doch realiter beobachten und beklagen sie öffentlich. Da hilft auch keine Kritische Theorie der Frankfurter Schule (Honneth), die diese prinzipielle Wahrnehmung zwar bestätigt, aber die Begründung aus zu wenig denn zu viel Umverteilung herleitet , also durch sozialismusaffine Umverteilungsaxiomatik in gewohnter realitätsabgewandter Empörung abzuwehren sucht.

Aber Freiwilligkeit und Wertäquivalenz im Austausch von Staatsleistungen gegen Bürgerzahlungen setzen reale „Steuerpreise“ voraus, die ein Bewerten dieser Leistungen ermöglichen, also das Preisleistungsverhältnis staatlichen Tuns in den Fokus nehmen. „Steuern als Preise“ für Staatsleistungen nach dem Äquivalenzprinzip zu fixieren ist kein leichtes Unterfangen und bedingt die prinzipielle Ausschlußmöglichkeit der Nichtzahler von der Nutzung dieser Leistungen. Bei vielen Staatsleistungen, die eigentlich eher zu den privaten Gütern zählen, ist sie gegeben.

Aber bei echten öffentlichen Gütern ist dies nicht der Fall: Innere Sicherheit zum Beispiel steht allen Bürgern zu und nicht nur den dafür zahlenden. Ist aber – jede beliebige – Umverteilung in diesem Sinne ein öffentliches Gut? Sloterdijks Aufforderung zur Freiwilligkeit des Steuerzahlens identifiziert ihn eindeutig in seinem Urteil: Nein, der heutige Sozialstaat mit seiner politisch verordneten Umverteilungsnorm kann keinen für alle verbindlichen öffentlichen Gutscharakter beanspruchen. Man kann sich aber freiwillig zu ihm oder einem anderen Sozialstaatsentwurf bekennen und dann auch für ihn bezahlen. Reine Almosenmentalität? Keineswegs, wenn neben das Motiv des Altruismus die Ratio hinzutritt, daß ein gewisses Maß an Umverteilung dem gesellschaftlichen Frieden dient und deshalb auch ökonomisch produktiv sein kann.

Dem Freiwilligkeitspostulat Sloterdijks kommt die internationale Entwicklung entgegen: In einer globalisierten Welt der offenen Rechts- und Steuersysteme, die international im institutionellen Wettbewerb stehen, muß sich jedes nationale Arrangement der Umverteilung als im internationalen Vergleich relativer Vorteil für diejenigen Steuerzahler bewähren, die die politisch diktierte heimische Umverteilung bezahlen sollen. Andernfalls können sie ihre politische Loyalität kündigen und die Exit-Option in andere Steuerrechtsetzungsgebiete wählen. Hier liegt einer der Gründe für die in der Tendenz wohl kaum aufzuhaltende Entwicklung vom Steuer- zum Gebührenstaat: Mehr Freiwilligkeit und Wertäquivalenz in den Gebühren anstelle von Zwang und Nichtäquivalenz in den Steuern fördern die Loyalitätsoption des freiwilligen Bleibens und Bezahlens.

Globalisierung impliziert mithin den Trend zur Abwahl des Zwangs und zur Beförderung der Freiwilligkeit: Steuerzahler, die nicht abwandern, obwohl sie es könnten, bekennen sich implizit freiwillig zur Umverteilungsnorm des politischen Zuhause. In diesem Sinne wirkt die Globalisierung anti-kleptomanisch, sie entmonopolisiert die politischen Gestaltungsräume zur zwangsverordneten Umverteilung und befördert diejenige Umverteilung, die sich aus dem Institut der Freiwilligkeit entwickelt. Deshalb trägt die Globalisierung eher den Namen Sloterdijk denn Kirchhof.

Dieser Gastbeitrag von Prof. Dr. Wolf Schäfer erschien zuerst bei Wirtschaftliche Freiheit – Ordnungspolitischer Blog.

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