#Crouch

Postjournalistenblues

von , 16.8.09

Der österreichische Journalist – pardon – der gewesene österreichische Journalist Michel Reimon hat mit seinem Blog betathoughts einen interessanten Gedanken in die Debatte gebracht. (Okay, Norbert Bolz hat diesen Gedanken auch schon gehabt, aber das vergessen wir jetzt mal, denn der Bolz’sche Gedanke war nicht so fundiert.)

Vielleicht, sagt der gewesene Journalist Michel Reimon, sollten wir nicht nur von einer post-modernen Gesellschaft reden, sondern das unscheinbare Wörtchen „post“ auch auf alle sonstigen Errungenschaften anwenden, die wir in unseren Sonntagsreden so gerne hochleben lassen. Vielleicht, sagt Reimon, leben wir ja längst in nach-demokratischen Zeiten. Und wenn das so ist, dann leben unsere Medien natürlich in nach-journalistischen Zeiten. Dann ist das, was uns täglich als Journalismus serviert wird, nur noch ein Spielchen zum Zeitvertreib – ein lärmendes, aufgeregtes, bisweilen sehr vergnügliches Überdecken der wahren Zustände. Dann ist Journalismus nicht mehr das mächtige Mittel der Aufklärung, sondern das vernebelnde Instrument postdemokratischer Verklärung.

Den Hintergrund für Reimons provozierende These vom Postjournalismus bildet die von dem britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch 2004 publizierte Behauptung, die Gesellschaften des Westens befänden sich seit 20, 30 Jahren – spätestens seit der „gefälschten“ US-Wahl zugunsten George W. Bushs – in einer post-demokratischen Phase. Die westlichen Demokratien funktionierten zwar formal noch wie Demokratien (es gibt weiterhin Wahlen, es gibt weiterhin Gewaltenteilung), aber die eigentlichen Entscheidungen fallen in außerparlamentarischen Zirkeln. Eine Armada aus wirtschaftsnahen PR-Profis, Beratern, Think Tanks, Stiftungen, Instituten, Spin-Doctors, Meinungsforschern und Post-Journalisten inszeniere den demokratischen Prozess fürs Volk: ein Bühnenstück, mehr nicht.

Die Wirtschaft habe sich den Staat nämlich untertan gemacht. Sie benutze ihn für ihre Sonderinteressen und sauge ihn immer stärker aus (was in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise – siehe die wachsende Staatsverschuldung – besonders gut zu sehen ist). Crouch: „Je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zulässt, dass diese Menschen in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände den Staat – mehr oder minder unbemerkt – zu einem Selbstbedienungsladen machen.“ (Crouch spricht hier natürlich vor allem von den britischen Zuständen).

Die Medien, deren Aufgabe es wäre, diese Entwicklung aufzudecken und in Frage zu stellen, werben stattdessen für mehr Duldungsstarre. Sie sind Teil der Ent-Demokratisierung geworden. Medienunternehmen, so Crouch, sind “heute ein Teil des kommerziellen Sektors”, eine Sparte der Unterhaltungsindustrie. Sie befindet sich in den Händen von Oligarchen; Crouch nennt an vorderster Stelle die Herren Berlusconi und Murdoch.

In der Postdemokratie sei der demokratische Prozess zu einem manipulativen Spiel unter Eliten verkommen. Wahlkampf- und Medieninszenierungen seien die Sinnbilder dieses Spiels. Beide würden deshalb von einem wachsenden Teil der Bevölkerung abgelehnt: Wahlenthaltung und Medienenthaltung bedingen einander.

Das könnte der tiefere Grund sein, warum das Netz bei Politikern und Journalisten so oft ungebremste Wut auslöst.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.