#Bundestagswahl

Steinmeier in der Kerry-Falle

von , 8.7.09

„Guttenberg überholt Steinmeier“ war Ende letzter Woche den Agenturen zu entnehmen. Der SPD-Kanzlerkandidat fiel im ARD-Deutschlandtrend nicht nur weiter hinter Regierungschefin Merkel zurück. Er wurde auch noch von Wirtschaftsminister Guttenberg verdrängt. Auch wenn solche Zustimmungstests mit Vorsicht zu genießen sind, abtun lassen sie sich nicht. Denn weniger als drei Monate vor der Bundestagswahl verharrt auch die SPD im Dauertief. Sie käme, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, auf 23 Prozent. Der parteiintern wie medial positiv aufgenommene Berliner Parteitag: kein Aufbruch sondern Rohrkrepierer. Dem Spiegel zufolge hat die Parteiführung intern bereits die Wahlziele revidiert (und auf die realistischer erscheinende Vorgabe von 30 Prozent gesenkt).

Häufig wird in diesen Monaten über den Atlantik und zu Barack Obama geschaut. Parteistrategen, Kommunikationsberater und Werber, sie alle werden sich – allen politkulturellen Unterschieden zum trotz – in den nächsten Monaten an der beispiellosen Kampagne des 44. US-Präsidenten messen lassen müssen. Langsam aber deutlich drängen sich – in diesem nach wie vor nicht wirklich zünden wollenden Wahlkampf – Parallelen zur US-Wahl 2004 auf. Vor allem, wenn man sich den stotternden SPD-Wahlkampfapparat und die Bilanz ihres im Parteiwerbersprech „FW Steinmeier“ genannten Spitzenkandidaten anschaut. Präsidentschaftskandidat der Demokraten war 2004 ein gewisser John Kerry. Und die Ausgangssituation des Senators aus Massachusetts war alles andere als schlecht: Mehr als tausend Soldaten hatten ihr Leben in einem in der US-Öffentlichkeit zunehmend umstrittenen Krieg verloren. Über eine Millionen Arbeitsplätze waren verloren gegangen. In den Tagen vor der Wahl lag die Zustimmung zur Politik des Amtsinhabers George W. Bush bei unter 50 Prozent. Kerry dagegen vertrat zu fast allen politischen Themen die Position der Mehrheit der Amerikaner. Trotzdem verlor er am Ende – zugegebenermaßen knapp, aber in einem Rennen, das er angesichts der Bilanz des Amtsinhabers hätte gewinnen müssen.

Die Gründe sind vielschichtig, vor allem wäre Kerrys Niederlage nicht ohne die von Bushs Berater Karl Rove organisierte und von den Demokraten massiv unterschätzte Mobilisierung der republikanischen Parteibasis denkbar gewesen. Nicht unterschlagen werden soll auch, dass Steinmeiers Ausgangslage als Regierungsmitglied und Herausforderer in Personalunion ungleich schwerer ist als Kerrys und dass er es mit einer sich kontinuierlich hoher Popularitätswerte erfreuenden und präsidial über den Dingen schwebenden Amtsinhaberin zu tun hat.

Trotzdem sind mit Blick auf die aktuelle Lage der SPD vor allem zwei eng miteinander verknüpfte Faktoren von Interesse. Erstens John Kerrys eklatante Kommunikationsschwäche. Inhaltlich mied er lange die direkte Auseinandersetzung mit der verfehlten Außenpolitik seines Gegners und hob stattdessen abwechselnd und ohne Fokussierung auf diverse innenpolitische Themen ab. Doch weder mit seinem protektionistische Sturmlauf gegen das „Outsourcing“ von Arbeitsplätzen noch mit dem Thema Krankenversicherung oder der Forderung nach Steuersenkungen für die Mittelklasse stieß er auf große Resonanz. Kerry hatte zwar die Fakten auf seiner Seite, war aber nicht in der Lage, ein Narrativ zu entwickeln, kohärente Botschaften davon abzuleiten und darzulegen, für welche Werte er stand. Abgehoben und spröde kamen seine Statements daher, nie gelang es ihm, sein Patrizier-Image loszuwerden. Erst recht nicht durch seine völlig missglückten Fernsehspots, die das Image des elitären Ostküstensnobs noch verfestigten und von denen man hätte glauben können, die Republikaner hätten für sie bezahlt.

Auch Frank-Walter Steinmeier hat Schwierigkeiten, seinen Ideen, Werten und Visionen Ausdruck zu verleihen und die deutschen Wähler davon zu überzeugen, dass das Land einen Wechsel braucht. In einem an überzeugenden Interpretationen der  Misere und mitreißenden Zukunftsentwürfen ohnehin armen Wahlkampf wirken seine Auftritte häufig entweder leidenschaftslos oder inszeniert. Vor allem aber hat der Kandidat sein Thema, seine Erzählung noch nicht gefunden, weswegen er es mit unzähligen Einzelproblemen versucht. Doch was Souveränität und Überblick vermitteln soll, verfängt nicht, da auch Angela Merkels Kompetenzwerte hoch sind. Es wirkt schlimmstenfalls erratisch und wahltaktisch motiviert (Karstadt).  Es fehlt der schlüssige Überbau, der die Menschen wieder für die Sozialdemokratie begeistern würde.

Fest steht: es ist ein Trugschluss, zu glauben, man schärfe das soziale Profil der SPD, wenn man einem erwachsenen Arbeitslosen vor laufenden Kameras in Feudalfürsten-Manier verspricht, sich für ihn um einen Job zu kümmern, wie Steinmeier es bei Anne Will tat. Durchschaubar und verfehlt wirkt auch Steinmeiers Hinweis auf die bescheidenen Verhältnisse seiner Herkunft, vor allem wenn er seinem Gegenüber auf der Betroffenheitscouch und dem Fernsehpublikum vorab sinngemäß erklärt: „Sie werden vielleicht denken, ich könne mich nicht in Ihre Lage hineinversetzen“ und so bestehende Vorurteile erst aktiviert. Bill Clintons „I feel your pain“ mag zwar pathetisch gewesen sein, aber man nahm es ihm ab.

Natürlich hängt Steinmeiers Spielraum und letztlich auch sein Abschneiden stark vom Zustand seiner Partei ab. Die SPD befindet sich, allen Jubel- und Klatschorgien auf dem Berliner Parteitag zum Trotz,  nachwievor in einer Identitätskrise. Das Wahlprogramm: ein Potpourri, das aktuelle Herausforderungen und Probleme benennt. Es fehlen Konzepte und eine politische Sprache, die der Erosion der sozialdemokratischen Wählerkonstellation Einhalt gebieten könnten, die das klassische, gewerkschaftlich orientierte SPD-Klientel mobilisieren und gleichzeitig jene urbane Milieus überzeugen, die in Heerscharen zu den Grünen und in Teilen zur FDP abwandern.

Womit wir beim Thema Organisation und Strategie wären, dem zweiten großen Problem der Kerry-Kampagne. Nach seiner Nominierung arbeiteten sein Team und das Democratic National Committee (DNC), die nationale Organisation der Demokratischen Partei, lange Zeit aneinander vorbei. Statt einen wirklich gemeinsamen Wahlkampf zu führen, wurden Gelder und Ressourcen verschwendet und parteiinterne Kleinkriege ausgefochten. Zu keinem Zeitpunkt gelang es John Kerry, die verschiedenen Lager zu befrieden und sich etwa die Loyalität der Anhänger Howard Deans, seines parteiinternen Rivalen bei den Vorwahlen, zu sichern. So nahm es kein Wunder, dass Kerry, getrieben von verschiedenen Interessen und am Schluss so gut wie gar nicht mehr auf Rat hörend, keine klare kommunikative Linie entwickelte. Seine Aussage „I actually did vote for the $87 billion before I voted against it” war symptomatisch für eine Kampagne, der es nie gelang, dem Attacken der Republikaner zu begegnen, in die Offensive zu gehen und wirkliche Wechselstimmung zu erzeugen. Der Mangel an Strategie und Koordination in seiner Kampagne hatte sich auf sein Image niedergeschlagen.

Barack Obama hat aus diesen Fehlern gelernt. Weite Teile der DNC (politische Abteilungen, Wahlkreis- und Mobilisierungsexperten) zogen nach den Primaries von Washington nach Chicago, wo der Jungsenator aus Illinois seine Zentrale hatte. Anstelle zerfaserter Strukturen stand eine schlagkräftige, integrierte und voll auf den Kandidaten ausgerichtete Organisation mit einer gemeinsamen Strategie. Natürlich unterscheiden sich die deutschen Volksparteien, was ihre Tradition, ihre Organisation und ihren programmatischen Anspruch angeht, von ihren US-Pendants. Das strategische Vakuum, das in der SPD in den vergangenen Jahren entstanden ist, erklärt dies aber noch lange nicht. Es fehlt ein operatives, von den verschiedenen Machtzentren der SPD anerkanntes Führungszentrum, das integrierend wirkt, koordiniert, wo nötig diszipliniert und – wichtiger noch – mobilisiert, indem es der Maxime „Mehr Demokratie wagen“ auch innerparteilich wieder eine Bedeutung gibt.

Politische Führung im Sinne von Leadership erschöpft sich nicht in formalen Hierarchien, straffer Steuerung und Machterhalt, sondern basiert auf zwei Akteuren: den Führenden und seinen (potentiellen) Anhängern. Erst der imaginäre Pakt, den beide schließen, macht den Führenden zum Führenden und die Anhänger zu Anhängern. Ein Leader in demokratischen Systemen gewinnt seine Follower also nicht ein für alle Mal, sondern hat diese ständig von seiner Führungsleistung zu überzeugen und zu mobilisieren. Ohne Zweifel ist: Franz Müntefering und Kajo Wasserhövel „können Wahlkampf“. Im Unterschied zu Steinmeier verfügen sie über Stallgeruch und die Erfahrung vergangener Schlachten. Doch der Erfolg der Vergangenheit kann auch zum Hemmschuh werden – zumal dann, wenn weniger mit als lediglich für den Spitzenkandidaten Wahlkampf gemacht wird. Zweieinhalb Monate vor der Wahl hat man den Eindruck, als würden Steinmeier die Schuhe des SPD-Kanzlerkandidaten noch nicht passen. Sie sind ihm nicht zu groß, sondern sie sind einfach nicht auf ihn zugeschnitten. Der aggressive, stark auf Abgrenzung von den anderen Parteien statt auf eigene Positionen setzende Europawahlkampf jedenfalls passte nicht zum Image des Außenministers. Und nach einem doch im Wesentlichen national geprägten Europawahlkampf so zu tun, als habe das das Abschneiden nichts mit Steinmeier zu tun oder als hätte es ihn nicht beschädigt, macht die Dinge nicht besser.

Grundlegende Reparaturen sind bei laufendem Motor und in der Hektik eines Superwahljahres schwer möglich. Will sie gesellschaftlich anschlussfähig bleiben, wird die SPD perspektivisch nicht um sie herum kommen, ganz unabhängig vom Wahlausgang. Nach dem Europawahldesaster scheint zumindest realisiert worden zu sein, dass die Abstimmung zwischen Außenministerium und Willy-Brandt-Haus verbesserungswürdig ist. Mit der Berufung von Thomas Steg zu seinem Sprecher und Medienberater greift Steinmeier nun stärker in die Wahlkampfführung ein. Ob sich das Ruder in den verbleibenden zweieinhalb Monaten noch wird rumreißen lassen, ist mehr als zweifelhaft. Auch in Zeiten der Wirtschaftskrise entstehen aus der populären Kritik an Privatisierung und Deregulierung nicht automatisch Stimmen für die seit über zehn Jahren regierende SPD. Das vielbeschworene „neue“ sozialdemokratische Jahrzehnt – es hat wahrscheinlich längst begonnen. Die offene Frage ist, welche Rolle die SPD mittelfristig darin spielen wird.

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