von Johannes Hillje, 12.3.16
Baden-Württemberg hat Nordrhein-Westfalen den Titel des deutschen Exportmeisters in den letzten Jahren abgenommen. Ohne den europäischen Binnenmarkt wären die Produkte des schwäbischen Fleißes aber nur schwer in saftige Gewinne umzusetzen. Über die Hälfte aller Ausfuhren gehen in EU-Länder. Die Entfremdung innerhalb der europäischen Gemeinschaft, das Schließen von Grenzen, müsste den Politikern im Ländle Angst und Bange machen. Das Ende von Schengen würde für die regionale Wirtschaft Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Wie gehen die Parteien in den Programmen zur Landtagswahl in Baden-Württemberg damit um, dass ihr Land gesünder kaum sein könnte, ihre Sauerstoffzufuhr aber akut bedroht ist? Welche Haltung nehmen die Parteien zu Europa ein – in einer Zeit, in der es manchem schwerfällt an Europa zu glauben, ohne dabei eine bessere Alternative zu haben?
Dieser Frage nähert sich dieser Artikel mit einer semantischen Analyse der Programme von CDU, SPD, Grünen, FDP, DIE LINKE und AfD. Während die Werbespots und Plakate der Parteien von üblicher Wahlkampffolklore bestimmt werden und fast keine Bezüge zur Europapolitik haben, setzen sich die Parteien in ihrer Programmatik stärker mit Europa auseinander. Das ist schon allein wegen der Mitwirkung der Bundesländer an der Europapolitik der Bundesregierung über den Bundesrat unabdingbar.
Die AfD spricht von “EU” statt “Europa”
Insgesamt spielt Europa in den Wahlprogramme eine untergeordnete Rolle. Rein quantitativ jedenfalls. Misst man den Anteil der sprachlichen Referenzen zu Europa oder der EU am Gesamttext der Wahlprogramme, so kommt keine Partei über eine Quote von 0,2%. Die CDU hat mit 0,2% den höchsten Anteil von Europa-Referenzen, DIE LINKE ist mit 0,09% Schlusslicht. Diese Anteile klingen jedoch kleiner als sie eigentlich sind. Bei der SPD liegt die Europa-Quote bei 0,14%, während der “Bund” und “Bundes-“ zu 0,23% und “Baden-Württemberg” zu 0,9% im Wahlprogramm vorkommen. Die sprachliche Hierarchie der politischen Ebenen ist bei allen anderen Parteien gleich aufgebaut: Baden-Würrtemberg vor Bund vor Europa. Soweit, so naheliegend.
Ein interessantes Detail: Als einzige Partei benutzt die AfD mehrheitlich den technischen und eher negativ konnotierten Terminus “EU” als von “Europa” zu sprechen. Damit lässt sich einfacher das Feindbild von den Technokraten in den Institutionen, die uns unserer nationalen Souveränität berauben, zeichnen.
Aufschlussreich ist die qualitative Dimension der Sprache über Europa in den Wahlprogrammen. Damit ist gemeint mit welchen Adjektiven und Substantiven Europa beschrieben wird. CDU, SPD und Grüne positionieren sich in ihren Programmen pro-europäisch. Ihre Manifeste enthalten ein Hauch von emotionaler Symbolik, wenn sie Baden-Württemberg “im Herzen von Europa” und gleichzeitig als Antriebsmotor für den Kontinenten einordnen. CDU und SPD beziehen sich explizit auf das Modell “Europa der Regionen”. Damit meinen sie jedoch eher eine stärkere Zusammenarbeit von europäischen Regionen als einen stärkeren föderalistischen Aufbau der EU.
Baden-Würrtemberg europäischer oder Europa baden-würrtembergischer machen?
Die Grünen haben von allen Parteien die pro-europäischeste Haltung, auch jenseits wirtschaftlich-pragmatischer Gründe. Europa wird über das definiert, was derzeit nicht die größte Triebfeder vieler europäischer Regierungen ist: Gemeinsam europäische Werte. Die Grünen fordern zudem eine Vertiefung der EU. Abgesehen von diesem Punkt, steht die SPD den Grünen in ihrem europafreundlichen Ton in nichts nach. Einen markanten Unterschied gibt es zwischen CDU und Grünen: Zwar vertreten beide Parteien grundsätzlich eine pro-europäische Haltung, doch schauen sie aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf Europa: Die CDU betont stets die Interessen Baden-Württembergs, denen man in Europa “Gehör verschaffen”, die man “einbringen” will. Darunter mischt sich auch Kritik an Europa. Etwa an fehlendem Verständnis in Brüssel für regionale Gegebenheiten oder an der EU-Bürokratie. Die Grünen wollen dagegen “Europa in Baden-Württemberg eine starke Stimme geben”. Kritik an Europa: Fehlanzeige. Der Unterschied zwischen schwarz und grün liegt also darin, dass die CDU Europa baden-württembergischer machen will und die Grünen Baden-Württemberg europäischer machen wollen.
Die AfD bleibt ihrer europaskeptischen Haltung treu. Man kann der Partei sogar eine ausgesprochene EU-Feindlichkeit attestieren. Europapolitik wird konsequent negativ attribuiert, als “sinnlos”, “verfehlt”, “willkürlich” und “kontraproduktiv” beschrieben. Die EU-Bürokratie wird als abstraktes Feinbild gezeichnet. Durch ihr drohe uns “Entmachtung” und “Abhängigkeit”. Ein starker Nationalstaat und eine schwache Europäische Union stehen als Gegenentwurf dahinter.
Die FDP und DIE LINKE sprechen in ihren Wahlprogramme am wenigsten von Europa. Das verwundert insbesondere bei den Freidemokraten, da ihre Forderungen zu ihrem Schwerpunktthema Innovationsförderung ein vereintes und funktionierendes Europa als Fundament voraussetzen. DIE LINKE weist Europa ausschließlich eine institutionelle Bedeutung zu, in dem Europa nur im Zusammenhang mit Institutionen und Behörden wie z.B. dem Europäischen Gerichtshof oder der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen genannt wird. An einer Stelle rutscht der Partei ein unfreundliches “Technokraten” raus. Das beschreibt ihre von institutioneller Kritik geprägte Europahaltung wohl am besten.
Fazit: CDU, SPD, Grüne erzählen die Geschichte von Baden-Würrtemberg als Motor in Europa, der ohne Europa nicht laufen könnte (Grüne), aber andererseits so gut läuft, dass er in Europa mehr zusagen haben sollte (CDU). FDP und DIE LINKE scheinen Politik machen zu wollen, ohne dabei groß an Europa denken zu müssen. Die AfD schimpft nach bewährtem Muster und denkt das Ländle in einem schädlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Brüsseler Besatzungsmacht.
Dieser Beitrag ist zuerst unter der Überschrift “Europa im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg” auf dem neuen Blog von Johannes Hillje, RettetDieWahlen.eu, erschienen.
Sprachliche Konstruktionen der Wahlprogramme in der Übersicht:
Möchten Sie regelmäßig über neue Texte und Debatten auf Carta informiert werden? Folgen (und unterstützen) Sie uns auf Facebook und Twitter.