von Ilja Braun, 31.3.14
Ist ein eBook ein Buch? Wenn eine solche Frage von Juristen gestellt wird, wie am Mittwoch auf einer Veranstaltung des kölner forum medienrecht, geht es natürlich nicht um das Wesen der Dinge. Sondern darum, ob für eBooks dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen gelten wie für gedruckte Bücher. Es geht also um die Buchpreisbindung, die Frage nach der Möglichkeit des Weiterverkaufs gebrauchter eBooks und darum, ob Bibliotheken elektronische Bücher genauso verleihen dürfen wie gedruckte.
Auf all diese Fragen gibt es unterschiedliche, um nicht zu sagen: umstrittene Antworten.
Vor nunmehr zwei Jahren hat sich der Europäische Gerichtshof in seinem bekannten Used-Soft-Urteil mit ganz ähnlichen Fragen beschäftigt, allerdings im Hinblick auf Software.
Es ging um die Frage, ob überschüssige Volumenlizenzen (also Lizenzen aus Firmen-Gesamtpaketen einer Software) „gebraucht“ weiterverkauft werden dürfen. Ja, lautete die Antwort der europäischen Richter, und die Begründung, knapp zusammengefasst: Wenn man zeitlich unbegrenzte Nutzungsrechte einräumt, ist das von der Art des Rechtsgeschäfts dasselbe wie ein Verkauf. Und bei einem Verkauf gilt der sogenannte Erschöpfungsgrundsatz. Der Händler hat über die Weiterverbreitung der einmal in den Handel gebrachten Ware nicht mehr mitzureden. Seine Rechte daran haben sich erschöpft.
Sind eBooks etwas anderes als Software?
Jetzt die Preisfrage: Gilt das auch für eBooks? Denn wäre dies der Fall, bräuchten zum Beispiel öffentliche Bibliotheken, um eBooks zu verleihen, keinen Lizenzvertrag mit den Verlagen mehr. Sie könnten ein einzelnes eBook kaufen und es so oft verleihen, wie sie möchten – zumindest seriell, also nacheinander, sodass es nicht zu einer Vervielfältigung der im Umlauf befindlichen Dateien kommt. Wäre dies gewährleistet, etwa durch einen Kopierschutz, bräuchten sie jedoch keine Genehmigung der Verlage mehr.
In der Praxis sehen die Bibliotheken das aber nicht so und fragen die Verleger lieber vorher, weiß der Urheberrechtler Karl-Nikolaus-Peifer.
Prof. Karl-Nikolaus Peifer ist Lehrstuhlinhaber für Medienrecht an der Uni Köln. Er glaubt, dass die Entscheidung des EuGH durchaus auf eBooks und andere Medienprodukte übertragbar ist. Der Erschöpfungsgrundsatz in der europäischen Software-Richtlinie sei derselbe wie in der Infosoc-Richtlinie, die für Bücher und andere Medienprodukte gilt.
Dass ein eBook keine Software sei, bedeute deshalb nicht, dass man die Entscheidung des EuGH in diesem Bereich einfach ignorieren könne. Peifer distanziert sich damit von einer Entscheidung des Landgerichts Bielefeld, das eine parallele Anwendung auf Hörbücher verneint hatte. Eine Vergütung müssten die Bibliotheken den Rechteinhabern für die Online-Ausleihe aber trotzdem zahlen, wie sie es ja mit der Bibliothekstantieme auch heute schon tun.
Im Grunde ist die Vorstellung, eBooks gedruckten Büchern gleichzustellen und anzuerkennen, dass bei ihrem erstmaligen Verkauf die sogenannte Erschöpfung eintritt, gar nicht so revolutionär. Sie wäre nur die Konsequenz daraus, dass Dateien als Handelsgüter materiellen Gütern auch sonst weitgehend gleichgestellt sind.
Anders gesagt: Man kann nicht auf der einen Seite das geistige Eigentum genauso gut schützen wollen wie ein materielles Gut, auf der anderen Seite aber den Konsumenten den freien Umgang mit käuflich erworbenen Gütern verbieten, nur weil sie immateriell sind. Genau darum geht es bei der Frage nach Weiterverkauf oder Bibliotheksleihe.
Koalitionsvertrag macht Bibliotheken Versprechen
Dass all dies gerade jetzt wieder diskutiert wird, ist kein Zufall. In ihrem Koalitionsvertrag (S. 93) hat die neue Regierung nämlich festgeschrieben, dass sie prüfen wird, „ob den öffentlichen Bibliotheken gesetzlich das Recht eingeräumt werden sollte, elektronische Bücher zu lizenzieren.“ Allerdings ist das nur ein Prüfauftrag, was bedeutet, dass am Ende auch alles bleiben kann, wie es ist. Was in diesem Fall kein unwahrscheinliches Szenario ist.
Jörg Meyer, Geschäftsführer von Divibib, einem Onleihe-Anbieter, wäre es am liebsten, die Große Koalition würde die Bibliothekstantieme einfach auf e-Books ausdehnen, sodass diese von öffentlichen Bibliotheken genauso verliehen werden könnten wie gedruckte Bücher: seriell, also immer schön nacheinander. Mit diesem Angebot habe Divibib schon heute eine „theoretische Reichweite von 49 Millionen Einwohnern“ und sei zudem ein „Totengräber der kommerziellen Mietmodelle“.
Der Haken bei der Sache: Viele Verlage spielen nicht mit und weigern sich schlicht, eBooks an Digibib zu verkaufen. Entsprechend klein ist der Bestand, entsprechend unattraktiv das Angebot. Dennoch ist Meyer optimistisch, dass es auf diese Weise gelingen würde, Amazon, Skoobe, paper c’ und Co. aus dem Feld zu schlagen. Ob das stimmt, sei dahingestellt – dass ein Anbieter wie Digibib, der mit öffentlichen Bibliotheken kooperiert, durch die Verweigerungshaltung vieler Verlage einen Wettbewerbsnachteil gegenüber kommerziellen Konkurrenten hat, deren Budget für den Rechteerwerb zudem größer ist als der Topf der öffentlichen Bibliotheken, liegt jedoch auf der Hand.
Ich leih dir mal mein eBook
Umso wichtiger, dass das Kölner Forum Medienrecht auch PolitikerInnen zusammengetrommelt hat, um ihnen auf den Zahn zu füllen: Wie hältst du’s mit dem Erschöpfungsgrundsatz? Denn nicht nur bei den Bibliotheken, auch bei der privaten Endnutzung knirscht es zunehmend. Wenn Leserinnen und Leser beispielsweise feststellen, dass sie ihre Bücher nicht von einem Gerät auf das andere übertragen können, greifen sie schnell zu illegalen Quellen, bei denen es solche Restriktionen nicht gibt. Braucht man für solche Probleme nicht eine Lösung?
Am einfachsten hat es Halina Wawzyniak von der Linken. Sie kann sich zurücklehnen und auf den Gesetzentwurf ihrer Fraktion zur „Ermöglichung der privaten Weiterveräußerung“ aus der letzten Legislaturperiode verweisen. Da steht drin, dass Nutzer ein unabdingbares Recht bekommen sollen, eBooks gebraucht weiterzuverkaufen oder privat zu verleihen, fertig und gut.
„Wenn ich meiner WG-Mitbewohnerin ein eBook leihen will, geht das nur, wenn ich ihr ihr den ganzen Reader überlasse“, beklagt sich die Netzpolitikerin. Und weist darauf hin, dass ein Verleihen oder Weiterverkaufen schließlich keine öffentliche Zugänglichmachung sein müsse. Vielmehr sei eine Punkt-zu-Punkt-Übertragung per eMail möglich. Das eBook lande also nicht in einer Tauschbörse, sondern werde lediglich im privaten Rahmen von einer Person zur anderen weitergegeben.
Soll Amazon eine Second-Hand-Abgabe zahlen?
So einfach geht es aber nicht, findet Tabea Rößner von den Grünen. Es sei schließlich ein Unterschied, ob man ein gedrucktes Buch weitergebe, das irgendwann ganz zerfleddert sei, oder eine verlustfreie digitale Kopie. Ermögliche man den Second-Hand-Handel mit Dateien, entstehe ein Zweitmarkt, der den Erstmarkt unattraktiv mache. „Dann müssen die Preise in die Höhe gehen, und damit habe ich als Kulturpolitikerin ein Problem“, so Rößner.
Sie schlägt vor, darüber nachzudenken, ob man nicht eine Plattform wie Amazon zur einer Abgabe pro weiterverkauftem eBook verpflichten kann. Oder ob eine Preisdifferenzierung denkbar wäre. Ein eBook, das man weiterverkaufen darf, wäre dann teurer als eines, das nur im eigenen Account genutzt werden kann.
„You have to take the bitter with the sweet“, argumentiert hingegen Günter Krings von der CDU. Die elektronische Nutzung bringe gewisse Einschränkungen mit sich, was etwa das private Verleihen oder die Weiterveräußerung betreffe. Sie habe aber andererseits auch klare Vorteile: dass man nämlich ein und dasselbe Buch von verschiedenen Geräten aus nutzen könne – oder auf einen Cloud-Account zugreifen, wenn man sein eigenes Gerät nicht mal dabei habe.
Bedarf für gesetzgeberisches Handeln sieht er lediglich bei Firmen-Insolvenzen. Wenn ein Unternehmen wie Amazon pleite gehe, müsse es möglich sein, trotzdem noch auf die dort erworbenen Mediendateien zuzugreifen. Wie das funktionieren soll, so lange die AGB behaupten, dass kein Eigentum, sondern nur ein zeitlich begrenztes Zugangsrecht erworben werde, bleibt allerdings offen. Zumal Krings selbst meint, es bestehe „ein legitimes Interesse des Verkäufers“, derartige Geschäfte „nicht so zu gestalten wie einen Kaufvertrag.“
Lieber weniger Freiheit als proprietäre Systeme
Jonathan Beck aus dem gleichnamigen Verlag meint ohnehin, die ganze Diskussion um den Weiterverkauf von eBooks sei nur vorgeschoben. In Wirklichkeit gehe es darum, die Preisbindung für e-Books zu unterlaufen. „Niemand hätte Probleme mit dem informellen Teilen, das wir auch aus der analogen Bücherwelt kennen“, so Beck. Aber der Preis, den man zahlen müsste, wollte man dies ermöglichen, ohne die Interessen der Rechteinhaber zu übergehen, seien geschlossene, proprietäre Softwaresysteme. Anders sei sonst eine Kontrolle über die Verbreitung nicht zu gewährleisten.
Unter dem Strich eine durchaus erhellende Diskussion. Zu befürchten ist allerdings, dass sie in Zukunft noch eine ganz andere Dimension bekommen wird: wenn nämlich sowieso jeglicher Inhalt in die Cloud abwandert. Die Kontrolle der Nutzung dürfte dann kein Problem mehr darstellen. Aber ob es in der Cloud noch öffentliche Bibliotheken geben wird?