von Robin Meyer-Lucht, 28.10.08
Das ZDF hat eine wuchtige neue Geschichtsdoku-Serie produziert. Diesmal geht es nicht um die Berliner Luftbrücke, die Bombardierung von Dresden oder das Stauffenberg-Attentat. Diesmal sind gleich “Die Deutschen” insgesamt dran. Die zehnteilige Serie behandelt zentrale Stationen der deutschen Geschichte im sattsam bekannten Emodoku-Stil.
Franziska Augstein schreibt in der SZ, das Doku-Drama “Die Deutschen” sei eigentlich eine “Doku-Disco” – derart einpeitschend sei die Musik, derart flirrend die Bilder. Das deutsche Geschichtspersonal werde auf das Niveau von “Gestalten aus Vorabendsendungen” reduziert. Jochen Hieber notiert für die F.A.Z.: “Wer illusionistisch illustrierte Geschichtsbücher nicht mag und historische Romane nicht zu seinen Lieblingslektüren zählt, kann auch auf „Die Deutschen“ im ZDF verzichten.”
Soweit, so vorhersehbar. Das ZDF produziert eine weitere kitschige Geschichtsdoku-Serie und findet dafür wenig Applaus in der überregionalen Presse.
In diesem Fall wollte es das ZDF jedoch genau wissen. Fünf Jahre arbeitete der Sender an der fünf Millionen Euro teuren Produktion. Die Erwartungen waren vorab erheblich. Auf mindestens drei oder vier Millionen Zuschauer wurde intern spekuliert. Das ZDF will die Serie vor allem auch als Unterrichtsmaterial verstanden wissen und erarbeitete mit dem Verband der Geschichtslehrer (VGD) ein sendungsbegleitendes PDF. Es wurde ein multimedial hochpoliertes Online-Zusatzangebot geschaffen. Mit “Die Deutschen” sucht das ZDF auch den großen Befreiungsschlag als multimediale Bildungsanstalt, oder sagen wir: digitale Volkshochschule.
Und: Es gelang – zumindest in den Augen des ZDF. Die erste Folge von “Die Deutschen” sahen am Sonntagabend 6,5 Millionen Zuschauer. Fast noch mehr freute die ZDF-Führung aber, dass sogar das avisierte jüngere Publikum eingeschaltet hatte. In der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen wurde eine Quote von 16,5 Prozent erreicht – statt der sonst üblichen 8,3 Prozent auf diesem Sendeplatz.
Die Presseabteilung des ZDF verbreitete am Montagvormittag die entsprechende Triumphmeldung. Das interessante Detail, wie viel Zuschauer zwischen 14 und 24 dabei waren, fehlt wenig überraschend.
Auch an der Redaktion des heute journals ging der erhebliche Erfolg der hauseigenen Produktion nicht vorbei. Auch blieb ihr nicht verborgen, dass für die zweite Folge am Dienstag noch publizistische Schützenhilfe von Vorteil wäre – gegen die starke Konkurrenz von “CSI Miami” auf RTL.
Und so widmete das ZDF heute journal am Montagabend viereinhalb Minuten seiner Sendezeit dem Erfolg der hauseigenen Produktion. Claus Kleber und sein Team lieferten eine beeindruckende audiovisuelle Anreicherung der am Vormittag verbreiteten PR-Meldung seines Hauses ab. Mit “Die Deutschen” habe das ZDF “gestern Abend etwas riskiert”, so Kleber in seiner Anmoderation. Und das Publikum habe dieses “anspruchsvolle Programm mit offenen Armen, Augen und Ohren aufgenommen – vor allem die Jungen.”
Es folgt ein Beitrag, der den Eindruck vermittelt, das ZDF sei wie eine Infobombe in das deutsche Unterrichtswesen eingefahren. Dank ZDF sei unter deutschen Teenagern “das Geschichtsfieber ausgebrochen”. Als Beweis werden Bilder von Mittelstufenschülern einer 35 Kilometer von Mainz entfernen Schule gezeigt, die jubeln dürfen, dank ZDF endlich Spaß am Geschichtsunterricht zu haben.
Wie konstruiert und gestellt der Beitrag ist, lässt sich allein daran erkennen, dass die Schüler hier angeblich im Computerraum Geschichte büffeln – anders ließ sich das Thema offenbar nicht bebildern.
Geschichtsunterricht im Computerraum – natürlich mit der ZDF-Doku “Die Deutschen”
Auf den Beitrag folgt ein Studiogesprächssmalltalk von Claus Kleber mit Guido Knopp. Kleber weist dabei noch einmal auf das “großartige Online-Angebot” hin und lobt die Serie als “die besten Stories aus 1000 Jahren”. Zum Abschluss des Gesprächs reicht Kleber effektvoll sein Laptop an Knopp weiter – ein grandioses Schmierentheater in Sachen ZDF-Multimediaimage.
Muss man noch erwähnen, dass Kleber im Verlauf des Beitrags allein zweimal auf die Sendezeit der zweiten Folge von “Die Deutschen” hinwies – wohl kaum.
Die Sache wäre nicht so peinlich, wenn es nicht so gestellt wäre. Der ZDF-Online-Auftritt zu “Die Deutschen” ist eher mäßig. Die dort verfügbaren PDFs (zumindest die vom Autor vorgefundenden) sind lieblos, schlecht layoutet und pädagogisch wenig überzeugend. Zum Wert der Serie selbst schreibt Augstein: “Als Unterrichtsmaterial – auch als solches ist die Serie gedacht – eignen sich die Folgen von ‘Die Deutschen’ nicht.”
Das ZDF machte sich selbst zum Thema, weil statt einer überraschend zwei Millionen Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren eine Doku geschaut haben. Für ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ist das echter “Nachrichtenwert”, wie er gegenüber CARTA betont: “Hier wurde wertvolle Informationszeit für einen wertvollen Berichterstattungsgegenstand (Deutsche Geschichte und ihre multimediale Beschreibung) genutzt.”
Muss man sich über solch ein Verhalten des ZDFs aufregen? Nein, überhaupt nicht. Das ZDF bewegt sich hier im deutschen TV-Mainstream. Überall und ständig wird in Nachrichtensendungen auf nachfolgende Sendungen und Ereignisse aus dem hauseigenen Rechtepaket hingewiesen. Damit haben die Privatsender angefangen – und die öffentlich-rechtliche Seite hat in Sachen redaktionelle On-Air-Promotion schnell dazu gelernt.
Aber bedauern sollte man das Verhalten des ZDF. Wie glaubwürdig ist eine Sendeanstalt, in deren Verwaltungs- und Fernsehrat über 40 Berufspolitiker sitzen, die ihre eigenen PR-Mitteilungen im heute journal versendet. Wer glaubt da noch, dass es bei anderen hauseigenen Begehrlichkeiten nicht ähnlich läuft. Seine Immunität gegenüber PR im Allgemeinen weist Journalismus am besten durch Immunität gegenüber überzogener PR aus dem eigenen Haus nach. Diesen Nachweis hat das ZDF hier leider versäumt.
Quellennachweis: Die Screenshots stammen aus der ZDF-Mediathek. Hier kann man sich das heute journal vom Montag auch noch einmal anschauen.
Anmerkung: Der Autor möchte kurz erwartbarer Kritik an diesem Text entgegentreten. 1. Er sei auf einem Auge blind und würde nur die öffentlich-rechtlichen Anbieter kritisieren. Dazu möchte er feststellen, dass er das Privatfernsehen genau wie Günther Oettinger findet und daher eine Auseinandersetzung über Privat-TV für fast aussichtslos hält. 2. Der Autor solle sich nicht über PR echauffieren, wo er sich doch als Berater und Journalist in einem ständigen Rollenflikt befände. Hierzu ist zu sagen, dass dieser Konflikt besteht und möglichst offen kommuniziert wird – und zudem hoffentlich nicht auf die Urteilsfähigkeit durchschlägt.