Wulff oder Gauck? Wie man ein verdammt guter Politiker wird.

von , 21.6.10

„In einem kraftvollen Drama sind der Protagonist und der Antagonist gleich gut motiviert und einander ebenbürtig. Ein Konflikt kann sich nur entwickeln, wenn sich die Figur entwickelt.“ — James N. Frey, „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“

Frank Schirrmacher stellt in der F.A.S. die wichtigsten Bedigungen auf, das Publikum (bzw. die Wähler) bei Laune zu halten:

1. Sie sollten immer auf der Suche nach Hindernissen für Ihre Figuren sein. Die Spannung wird dadurch erhalten, dass die Hauptfigur über die volle Distanz geht, trotz der zahlreichen Hindernisse, die der Autor ihr in den Weg legt.

2. Wenn alle Erwartungen der Leser hinsichtlich einer Figur erfüllt werden, wenn es keine Widersprüche oder Überraschungen bei der Figur gibt, dann haben Sie eine stereotype Figur. Geben Sie Ihrer Figur Schuldgefühle, oder lassen Sie sie auch einmal scheitern.

3. Die Hauptfigur muss schwere Sünden oder große Qualen oder große Leidenschaften ertragen haben.

4. Die Hauptfigur muss ein Leben gehabt haben. Der Leser hat das deutliche Gefühl, dass sie längst da war, bevor der Roman begonnen hat.

Wer das liest, der erkennt: Wulff scheidet aus. Aber nicht aus politischen, sondern aus literarischen Gründen. Der Mann hatte keinen Skandal, war nicht verhaltensauffällig, hat kein Amt im Stich gelassen, allenfalls ist er geschieden, was aber jeder Romanheld heutzutage ist.

Um dann die Medien zu kritisieren, die die Dramatisierung des politischen Betriebs befeuern:

Das ist, im Zeitalter der Echtzeitpolitik via Fernsehen und Internet, keine politische Frage, sondern eine ästhetische, ja eine literarische. Politik wird jetzt als Fortsetzungsroman beschrieben, dank der Nachrichtenportale im Netz, die wiederum vom Fernsehen gefüttert werden, das wiederum von Politikern genährt wird. Jörg Marx hat auf seinem Blog vorgerechnet, dass es zurzeit im Wochendurchschnitt 33 Politik-Talkshows mit durchschnittlich 112 Talkgästen im deutschen Fernsehen gibt. Es werden Geschichten erzählt, mal winzige Fragmente, mal ganze Epen, man schaue nur an einem beliebigen Wochenende auf „Spiegel online“.

Wenn die, die ihm jetzt sein ungebrochenes Leben vorwerfen, erkennen würden, dass die Generation der Babyboomer, der Geburtsjahrgänge 1955–1970, einer Fabel folgt, die mit allen Gesetzen der Literatur bricht: Ihr Leben begann mit einem Happy End und kommt jetzt erst an einen harten, wirklich schweren Anfang, den Anfang, vor dem das ganze Land steht.

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