#Freifunk

WLAN-Störerhaftung: Böse daneben

von and , 4.5.15

Der Rechtswissenschaftler Thomas Elbel will den Text “Böses Netz” in der Süddeutschen Zeitung (SZ) falsch verstehen. Statt wie in der Einleitung angekündigt mit angeblichen “Klischees und Fehlwahrnehmungen” in der Debatte um die Störerhaftung aufzuräumen, argumentiert er zielsicher am Kern des Problems vorbei, bedient sich dabei selbst zahlreicher Klischees und verfällt, offenbar ohne es zu bemerken, in Widersprüche. Nicht nur ignoriert er vielleicht unwissentlich, dass es in dem SZ-Artikel vor allem um eine Auseinandersetzung mit der Visions- und Planlosigkeit in der Netzpolitik der Bundesregierung geht, bei Lichte betrachtet argumentiert er auch für die vollständige Abschaffung offener Funknetzwerke. Eigentlich schade, denn eine konstruktive Beschäftigung mit dem Thema wäre eigentlich wichtig.

Falsche Vergleiche, Fehlwahrnehmungen und fehlendes Know-How bei der Haftungsprivilegierung

Um gleich mit Elbels erster Fehlannahme aufzuräumen: Christian Heise, der Autor des SZ-Artikels, hat nichts gegen das in vielen Bereichen sinnvolle Konstrukt der Störerhaftung, aber er hat etwas gegen die WLAN-Störerhaftung – so und nicht anders kommt es in seinem Text auch zum Ausdruck. Trotzdem wollen wir uns die Mühe machen und uns näher mit Elbels Argumentation auseinandersetzen.

Den größten Raum nehmen Elbels Ausführungen zum Konstrukt der Störerhaftung ein. Extensiv und in leicht altväterlichem Tonfall legt er dar, in welchen Rechtsbereichen haftungsrechtliche Institute existieren, die seiner Ansicht nach mit der WLAN-Störerhaftung verwandt oder vergleichbar sind. Damit möchte er das Argument, die WLAN-Störerhaftung sei ein rein zivilrechtliches Konzept, widerlegen. Das gelingt ihm allerdings nicht wirklich, muss er doch selbst zugestehen, dass etwa die straf- oder gefahrenabwehrrechtlichen Haftungstatbestände gänzlich anderen Voraussetzungen und Rechtsmechanismen unterliegen als die WLAN-Störerhaftung.

Auch der Vergleich mit § 7 StVG hinkt gewaltig, da sich der Gesetzgeber explizit dafür entschieden hat, beim Betrieb eines KfZ einen speziellen Tatbestand zu schaffen, der eine strikte Halterhaftung vorsieht. Auch hier muss Elbel einräumen, dass es sich um eine besonders strenge Form der Gefährdungshaftung handelt, deren Maßstab aus guten Gründen weitaus schärfer ist als bei anderen auf Schadensersatz gerichteten Anspruchsgrundlagen. Schließlich geht es hier typischerweise um Schäden an besonders schutzwürdigen Rechtsgütern wie Leib und Leben. Um den Geschädigten nicht obendrein das Insolvenzrisiko des Halters aufzubürden, besteht hier folgerichtig auch eine gesetzliche Versicherungspflicht für KfZ-Halter. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass er den Betrieb eines KfZ als besonders gefährlich ansieht und hat deshalb einen Interessenausgleich auf Haftungsebene geschaffen.

Konsequenterweise müsste Elbel also eigentlich fordern, eine (verbindliche) Internethaftpflicht für Anschlussinhaber einzuführen und parallel eine strenge “Halterhaftung” für Anschlussinhaber zu installieren. Genau das ist bislang weder geschehen, noch ist es von irgendjemandem vorgeschlagen worden – ganz im Gegenteil. In der E-Commerce-Richtlinie hat der EU-Gesetzgeber Dienstleister, die anderen den Zugang zum Internet ermöglichen, explizit von jeglicher Haftung für das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer freigestellt. Das verwundert wenig, da erst die Haftungsprivilegierung dafür sorgt, dass diese Dienstleistung überhaupt rechtssicher angeboten werden kann.

Am ehesten mit der WLAN-Störerhaftung vergleichbar sind die von Elbel leider nur kursorisch angesprochenen allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Wer eine Gefahrenquelle eröffnet und sie nicht ordnungsgemäß absichert, haftet für die Schäden, die anderen daraus entstehen. Dies gilt allerdings nur für Schäden, die spezifische Folge der geschaffenen Gefahren sind. Öffnet beispielsweise der Eigentümer eines Privatweges diesen für die Allgemeinheit, so muss er dafür sorgen, dass der Weg gefahrlos genutzt werden kann. Weist der Weg etwa Schlaglöcher auf, so muss der Eigentümer ihn entsprechend absichern, um nicht dafür zu haften, dass zum Beispiel jemand bei der Benutzung des Weges stolpert und sich ein Bein bricht. Nicht haftbar wäre der Eigentümer jedoch für Schäden, die durch ein deliktisches Verhalten Dritter entstehen – würde also jemand bei der Benutzung des Weges Opfer einer Straftat, so würde niemand auf die Idee kommen, den Eigentümer des Weges dafür in Anspruch zu nehmen.

Übertragen auf den Betrieb eines offenen Funknetzes würde das bedeuten, dass der Betreiber allenfalls für Schäden haftbar wäre, die aus einer fehlerhaften Konfiguration seines Routers entstehen, nicht hingegen für Schäden, die durch das deliktische oder strafbare Verhalten der Nutzer verursacht wurden. Und genau für eine derartige Rechtslage in Bezug auf freies WLAN argumentiert Heise in seinem SZ-Artikel.

Ähnlich verfehlt ist auch Elbels Hinweis auf die Rechtslage in den USA. Tatsächlich haben die Rechteinhaber versucht, dort so etwas wie die WLAN-Störerhaftung zu etablieren und Anschlussinhaber in die Pflicht zu nehmen. Bislang sind sie mit diesem Ansinnen allerdings krachend gescheitert. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sich Elbel für seine Ansicht zur Rechtslage in den USA ausgerechnet auf die Website einer Anwaltskanzlei beruft, die natürlich ein vitales Interesse daran hat, ihren Mandanten Angst zu machen, um Beratungsmandate zu bekommen. Die Rechtsrealität in den USA ist eine ganz andere.

Geradezu erheiternd wird Elbel, wenn er im Rahmen seiner strafrechtlichen Ausführungen konstatiert, “kein vernünftiger Mensch würde […] behaupten, die Störerhaftung helfe bei der Aufklärung von Straftaten”. Ob ihm bewusst ist, dass er damit Bundeswirtschaftsminister Gabriel, zahlreichen bundesdeutschen Innenpolitikern und nicht zuletzt der gesamten Bundesregierung Unvernunft attestiert, wäre interessant zu erfahren. Schließlich wurde nicht nur in der Digitalen Agenda, sondern auch bei der Vorstellung des Entwurfs für ein Telemedienänderungsgesetz immer wieder betont, statt einer bedingungslosen Abschaffung der WLAN-Störerhaftung brauche man Vorkehrungen wie Verschlüsselung oder Namenskenntnis, um “keine Einfallstore für anonyme Kriminalität im Internet” entstehen zu lassen. Seine Einschätzung scheint Elbel gegen Ende seines Artikels allerdings schon wieder vergessen zu haben, stellt er doch vollmundig fest, freies WLAN sei “nicht nur für Otto-Normal-User ein cooles Gadget, sondern auch ein Freifahrtschein für Cyberstalker, -mobber, Online-Drogen und Waffenhändler etc. pp.”. Im Umkehrschluss müssten diese Straftaten also durch die Störerhaftung verhindert werden, weil die Delinquenten dann mit Strafverfolgung zu rechnen hätten. Oder kurz: “Die Störerhaftung hilft bei der Aufklärung von Straftaten”.

Echte Belege für Elbels Annahme, dass offene Funknetze einem Freifahrtschein für Online-Kriminelle gleichkommen, gibt es – ähnlich wie in den USA – auch in Deutschland nicht. Tatsächlich hat etwa Kabel Deutschland insgesamt 750.000 Hotspots in Betrieb, ohne dass es bisher irgendwelche Probleme gab. Auch die Freifunk-Initiative, die seit nunmehr 12 Jahren offene Netzzugänge in Deutschland anbietet, wurde während des gesamten Zeitraums genau zwei Mal von der Polizei wegen strafbarer Nutzungen ihrer Zugänge kontaktiert. Wer beabsichtigt, Rechtsverletzungen über das Internet zu begehen, kann seine Identität ohnehin auf andere Weise wirksam verschleiern. Dafür gibt es TOR, VPNs, Proxies und vieles mehr. Die Argumentation, dass Nutzerinnen und Nutzer etwa in einem Café online gehen, nur um Rechtsverletzungen zu verüben, ist schwer nachvollziehbar.

Digital Divide – nicht alle sind so privilegiert wie wir

Irreführend ist auch Elbels in Frageform verpackte Behauptung, die meisten von uns würden mittlerweile ein oder mehrere mobile Kommunikationsmittel mit drahtloser Internetverbindung von stetig steigender Bandbreite bei sich führen. Seine rhetorische Anschlussfrage: “Wie wichtig sind freie WLANs da überhaupt noch?” soll offenkundig nahelegen, dass eigentlich niemand offene Funknetze braucht.

Wenn dem tatsächlich so wäre, wäre es nur schwer zu erklären, dass etwa die EU-Kommission WLAN so positiv gegenüber steht  (“EU loves WiFi“). Hinzu kommt, dass die Mobilfunknetze die stark steigenden Datenströme (jeder guckt YouTube oder streamt über YouNow) überhaupt nicht aufnehmen können. Selbst die TK-Anbieter wollen immer mehr WLAN-Hotspots, um darüber ihre Daten zu transferieren (“Data-Offloading“). Zunehmend findet auch Voice-over-WLAN Verbreitung. Und Touristen, die nach Deutschland kommen, haben vielleicht gerade keine SIM-Karte oder müssten hohe Roaming-Gebühren für die Handynutzung in Deutschland zahlen. Auch in kommerzieller Hinsicht ist WLAN positiv zu bewerten: Hotels ohne WLAN stehen heutzutage vor riesigen Problemen, weil der Netzzugang zu einem der wichtigsten Auswahlkriterien für Geschäftskunden, aber auch für Private geworden ist. In der Argumentation mangelt es Elbel offensichtlich an gesellschaftlicher und technischer Vorstellungskraft. Denn offenes WLAN bietet auch denjenigen Zugang zum Internet und den damit verbundenen Partizipationsmöglichkeiten, die sich teure Mobilfunktarife nicht leisten können. Man nennt das digitale Teilhabe. Diesen “Digital Divide“, den offene WLANs zu schließen vermögen, negiert Elbel schlichtweg.

Die Abschaffung von WLAN-Internet als Lösung?

Auch der schlussendliche Verweis auf die Interessenlage der Opfer von Cyberstalking macht es nicht leichter,  dem vorangegangenen Beitrag sinnvolle Überlegungen zu freien Funknetzen zu entnehmen. Inwieweit hilft denn die Haftung des WLAN-Anschlussinhabers beim Cyberstalking? Derzeit führt sie mangels Alternativen lediglich dazu, dass der Zugang für Dritte verschlossen wird. Selbst Registrierungspflichten würden nicht helfen, da Straftäter sie durch bloße Falschangaben aushebeln könnten. Auch der jetzt vorgelegte (und von vielen Verbänden kritisierte) Referentenentwurf für eine Änderung des Telemediengesetzes hält übrigens keine Lösungen für die Probleme bereit, die Elbel aufwirft (siehe auch hier). Im Ergebnis plädiert er daher nicht für eine sinnvolle Ausgestaltung der WLAN-Störerhaftung, sondern schlicht für die vollständige Abschaffung offener Funknetze.

Ironischerweise verweist er am Schluss seines Textes ausgerechnet auf die aktuell vom Bundeswirtschaftministerium durchgeführte öffentliche Anhörung zur Neuregelung der Störerhaftung für WLAN-Betreiber und äußert die Hoffnung, dass die dortigen Stellungnahmen “zu einer differenzierteren Sicht führen”. Das tun sie, allerdings zu einer differenzierteren Sicht als der von Elbel. Mit ein bisschen Mühe wäre dem Autor aufgefallen, dass die 30 Stellungnahmen seit über einer Woche online einsehbar sind und seiner eigenen Argumentation zuwiderlaufen.

Der TMG-Entwurf geht grundsätzlich in eine falsche Richtung

Statt den Artikel “Böses Netz” auf die Thematik “WLAN-Störerhaftung” zu reduzieren und sich in diesen Teilaspekt zu verbeißen, hätte Elbel die Debatte auch konstruktiv-kritisch aufgreifen können. So wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass der TMG-Entwurf ganz grundsätzlich in die falsche Richtung geht.

Würde die WLAN-Störerhaftung hingegen (auch für Private) bedingungslos abgeschafft, so wäre die Verbreitung offener Zugänge nicht zwingend wie bisher mit der Umgehung deutscher IT-Infrastruktur verbunden. Obendrein wäre der Strafverfolgung auf diese Weise sogar geholfen, da sie wenigstens den Ort des Zugangs identifizieren könnte.

Elbel bietet in seinem sehr kritischen Text weder Lösungen noch handfeste Argumente an. Im Gegenteil, er stellt einfach die Theorie in den Raum, dass die Störerhaftung irgendwas an der derzeitigen Situation zum Positiven ändern würde, das tut sie aber nicht. Elbels Beitrag ist damit leider nur ein weiteres Beispiel für die destruktive Abwehrhaltung gegen die Digitalisierung, die der Ursprungstext zu adressieren versucht. Die Debatte um digitale Freiheit und ihre Grenzen muss geführt werden, aber bitte konstruktiv und ergebnissoffen.

 


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