von Wolfgang Michal, 17.9.09
In den vergangenen Tagen bin ich auf Leute gestoßen, die politisch verdattert, erstaunt, belustigt, ja verunsichert waren. Diese Leute hatten – im Internet – 38 Fragen der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (bpb) beantwortet, und 38 Mal einen der vier Wahl-O-Mat-Buttons „Stimme zu“, „Stimme nicht zu“, „Neutral“ oder „These überspringen“ gedrückt – wobei der Button „Neutral“ für ein hilfloses „Ich kann mich nicht entscheiden“, aber auch für ein vernünftig abwägendes „Teilweise ja, teilweise nein“ stehen kann. ((Der Wahl-O-Mat bewertet die differenzierte Begründung einer Partei für das Votum „Neutral“ nicht anders als eine verweigerte Begründung – weil die betreffende Partei keine Lust hatte, den eigenen Standpunkt zu begründen oder keinen Standpunkt zum Thema hat.)) Schon das zeigt die Unschärfe und Undifferenziertheit der Antwortmöglichkeiten, doch mit solchen Kleinigkeiten will ich mich hier nicht aufhalten.
Mich beschäftigt auch weniger die Frage, ob man als Bürger einer (zukunfts)offenen Gesellschaft die 38.These: „Die Demokratie, die wir in der Bundesrepublik haben, ist die beste Staatsform“ final und a-historisch mit einem Ja oder Nein beantworten sollte – oder doch besser mit einem optimistischen „neutral“.
Mich interessieren vor allem die absurden Ergebnisse, die meine Bekannten berichten. Ihnen allen stieß unangenehm auf, dass kleine, abseitige Parteien in der Übereinstimmungsrangliste unverhältnismäßig weit oben landen. Engagierte Demokraten stellten plötzlich seltsame Übereinstimmungen mit der NPD, den Violetten oder der Tierschutzpartei fest, obwohl sie seit Jahrzehnten im linksliberalen oder grünen Spektrum verankert sind. Und eingefleischten Konservativen saßen die Republikaner oder die Bibeltreuen Christen im Nacken.
Wie mag der Wahl-O-Mat da wohl auf Leute wirken, die vertrauensvoll glauben, ein Roboter könne ihnen dabei helfen herauszufinden, was sie politisch denken? Die als Erstwähler eine Orientierungshilfe erwarten? Genau diese Zielgruppe hat die Bundeszentrale für politische Bildung nämlich im Blick: „Der Einsatz der Online-Tools“, schreibt sie, „findet vor dem Hintergrund einer abnehmenden Wahlbeteiligung, gerade bei den Erst- und Zweitwählern, und einer zunehmenden Entfremdung der Jugendlichen von den traditionellen Formen der Politik und Repräsentation statt.“ Der Wahl-O-Mat soll dieser politischen Entfremdung vorbeugen. Tut er das?
Ich fürchte, der Wahl-O-Mat fördert eher die politische Entfremdung als dass er ihr entgegenwirkt. Denn die Bundeszentrale für politische Bildung hat die Beantwortung der 38 Fragen generös den 27 zugelassenen Parteien überlassen. Die bpb hat die Böcke zu Gärtnern gemacht. ((Während die fünf Bundestagsparteien zu allen 38 Thesen Begründungen lieferten, legten die NPD und einige andere Splitterparteien keine oder kaum Begründungen für ihre Standpunkte vor.))
Das verblüfft.
Denn man sollte doch annehmen, dass die Bundeszentrale für politische Bildung weiß, dass populistische, rechtsradikale Parteien ihre Wahlaussagen gezielt als Wunschkataloge anlegen – also opportunistisch frisieren? Dass sie jeder Bevölkerungsgruppe das Blaue vom Himmel versprechen, unabhängig davon, ob die Summe der Versprechungen ein schlüssiges Konzept ergibt? Dass sie Inhalte als taktisches Mittel einsetzen? Dass sie „Übereinstimmungen“ gezielt konstruieren.
Das ist vermutlich der Grund, warum der Wahl-O-Mat – ganz egal, wie die Menschen antworten – ungewöhnlich häufig Splitterparteien auf die vorderen Plätze katapultiert. ((Im Kleingedruckten, das vermutlich nur wenige Testpersonen lesen, gibt die Bundeszentrale für politische Bildung dieses Problem auch zu. Sie schreibt dort, unerwartete „Übereinstimmungen hängen damit zusammen, dass die Mehrzahl der Thesen sachpolitische Themen zur Bundestagswahl anspricht. Bei diesen Thesen können extremistische Parteien Positionen vertreten, die mit denen anderer Parteien identisch sind“))
Und dieses gut gemeinte ‚Förderprogramm für politische Sektierer’ hat sich zu einem „prominenten und stark nachgefragten Netzangebot“ entwickelt. Es ist – trotz vereinzelter Kritik – auf dem besten Wege, „zu einem festen Bestandteil der bundesdeutschen politischen Vorwahlöffentlichkeit zu werden.“ Sagt stolz die Bundeszentrale für politische Bildung. Viele Medien binden das kostenlose Klick-Angebot in ihre Online-Auftritte ein: 2002 wurde der Wahl-O-Mat 3,6 Millionen Mal abgerufen. 2005 stieg die Zahl der Nutzer auf 5,1 Millionen. Und 2009 könnte diese Zahl erneut übertroffen werden.
Ich schlage deshalb vor, dem Test eine 39. These anzufügen: „Die politische Bildung, die wir in der Bundesrepublik haben, ist die beste Informationsform.“
- Stimme zu
- Stimme nicht zu
- Neutral
- These überspringen