von Robin Meyer-Lucht, 2.8.10
Stefan Niggemeier hat in der F.A.S. einen schwungvoll grantelnden Niggemeier-Text über die “bemerkenswerte Selbstgerechtigkeit” zahlreicher Berichte zur Loveparade-Katastrophe geschrieben. Hier lasse sich, so Niggemeier, erneut die zynische Haltung “einer Branche” besichtigen, “die hinterher immer alles schon vorher gewusst” haben wolle.
Sein Hauptkritikpunkt:
Jeder Laie schreibt und sendet, dass jeder Laie das unausweichliche Unglück hätte erkennen können, und die Laien, die als Journalisten arbeiten, fragten schnell, warum das niemand von den Verantwortlichen erkannt hat. Weitgehend ungestellt blieb die Frage, warum, wenn die Mängel so unübersehbar waren, all die Journalisten sie vorher übersehen hatten. Und ob man zu den vielen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden, nicht auch die Medien zählen muss.
Niggemeier moniert, viele Journalisten würden nun genau jene Verantwortung von Amtsträgern und Veranstaltern einfordern ein, der auch sie selbst zuvor auch nicht gerecht geworden sein.
Als Beispiel lässt Niggmeier Götz Middeldorf, den Duisburger Lokalchef der Neuen Ruhr Zeitung (NRZ), auftreten. Der fordere den Rücktritt des Oberbürgermeistes ohne das eigene Versagen – die “eigenen geschlossenen Augen” – zu thematisieren, so Niggemeier. Weder Middeldorf noch andere Medien hätten das Sicherheitskonzept der Loveparade ausreichend kritisch gewürdigt – letztlich ein “Versagen”.
Niggemeiers Kritik wirkt instantan überzeugend, geschlossen, zustimmungsfähig – aber lässt sich vielleicht noch differenzierend ergänzen.
Die Selbstgerechtigkeit, die Niggemeier zurecht kritisiert, liegt, so meine ich, nicht so sehr in der Lücke zwischen journalistisch wahrgenommener und eingeforderter Verantwortung sondern in einer Berichterstattung, die vor allem dem “Gesetz der Story” folgt.
Das rasche journalistische Urteil einiger Medien (wobei Niggemeier hier bemerkenswert wenig Quellen zu nennen vermag), wonach ein Blick auf die Örtlichkeiten hätte zeigen müssen, “dass das nicht gutgehen konnte”, ist Teil einer Inszenierungen der groben Vereinfachung und flotten Urteile, bei der für die Komplexität des Unglückshergangs wenig Platz blieb.
Die tödlichen Unfälle auf der Loveparade lassen sich letztlich wohl nur als “multiples Organisationsversagen” verstehen. Ein solches ist nicht vorhersehbar. Jeder Journalist, der über eine “Vorhersehbarkeit” der Todesfälle fabuliert, stellt die Unfallursache absurd vereinfacht dar – ganz nach den Gesetzen der Story.
Das “Versagen” einiger Journalisten besteht folglich darin, die Vielschichtigkeit des Unglücks nicht mit der gebotenen Ruhe und Distanz herausgearbeitet und die Vorläufigkeit und Unzulänglichkeiten der eigenen Schlüsse nicht rausreichend thematisiert zu haben – um so letztendlich pointierter urteilen zu können.
Einige Journalisten waren mit Urteilen schnell bei der Hand, die rückblickend wenig fundiert und vor allem Beifall heischend erscheinen. Genau auf diesem Phänomen basiert wohl das beträchtliche Unbehagen mit der journalistischen Berichterstattung zur Loveparade, dessen vorzüglichster Kristallisationspunkt Niggemeiers Text nun darstellt.
Niggemeiers Forderung hingegen, Journalisten hätten doch selbst die Unzulänglichkeiten der Organisation im Vorfeld stärker herausarbeiten sollen, ist löblich, aber letztlich überzogen. Es gab Nachfragen von Lokaljournalisten, die unbeantwortet blieben (“aus einsatztaktischen Gründen”).
Zu erwarten, dass Lokaljournalisten sich unter Verschluss stehende Genehmigungen besorgen und durchrechnen würden, verklärt und überschätzt die Fähigkeiten von Journalismus als gesellschaftliches Frühwarnsystem.
Der Journalismus, einst eine reine Aufschreibe- und Berichterstattungskunst, hat sich in eine Rolle hineinmanövriert, die Korruptionsbekämpfer, Staatsanwalt, Volkstribun und fast allwissender Aufklärer in einer öffentlichen Persona zu vereinen scheint. Auch solch ein Rollenverständnis ist in hohem Maße anmaßend. Aus einer derart verklärten Position heraus werden schnell selbstgerechte Texte produziert.
Von der Loveparade-Berichterstattung bleibt somit der Beigeschmack eines Journalismus zurück, der sich für sehr wichtig hält, schlecht mit Komplexität umzugehen vermag, ständig im Dienste der Story unterwegs ist, um plakative Urteile nicht verlegen – und vor allem: stark unreflektiert über die eigenen Unzulänglichkeiten unterwegs ist.
Ist das selbstgefällig? Absolut.