von Andreas Grieß, 10.8.14
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Content-Anzeigen, also Anzeigen, die technisch gesehen als Artikel in Blogs oder Nachrichtenseiten ausgespielt werden (Native Advertising). Das unterscheidet mich vielleicht von einigen, die dort puristischer veranlagt sind. Sehr wohl wichtig ist mir aber, dass eine Anzeige deutlich als solche sichtbar gemacht wird. Das – neben der Bedingung, dass das Format nur äußerst dosiert angewendet wird und nicht jeder Kunde willkommen ist – ist auch die Politik für solche Anzeigen bei uns bei Elbmelancholie.
Nun passiert es durchaus regelmäßig, dass mich Menschen anschreiben, die sich für eine solche Anzeige in unserem Hamburg-Magazin interessieren. Selten sind es die Unternehmen selbst, in der Regel sind es PR-Agenturen. Ich sortiere hier die Fälle aus, in denen das Gedächtnis des Gegenüber wohl so schlecht ist, dass man mich nach zwei Wochen mit dem identischen Text schon wieder anschreibt oder mit „Hallo Vorname Nachname“ begrüßt. Ehrlich: Es ist erschreckend, was für Dilettanten mitunter in dieser Branche arbeiten! Die seriösen Anfragen erhalten eine Antwort mit unseren Bedingungen. In der Folge höre ich meist nichts mehr oder bekomme eine Absage, weil der Kunde eine Kennzeichnung als Anzeige nicht wolle.
Darüber kann man sich zu Recht aufregen. Wichtiger aber ist es, sich zu fragen, warum die Agenturen so handeln: Weil sie es können! Es gibt genug Seiten im Netz, die nicht gekennzeichnete Werbung veröffentlichen. Und es sind auch Anzeigen, wenn als Bezahlung kein Geld fließt, sondern Cupcakes, Kaffee oder sonst was.
Schon witzig wenn die Suchanfrage auf Seiten, die sich mit native ads finanzieren für "Anzeige" 0 Treffer ergibt. Witzig meint traurig.
— Andreas Grieß (@youdaz) 4. August 2014
Schleichwerbung verhindert Innovation
Ein Unrechtsbewusstsein gibt es bei den betreffenden Seiten offenbar nicht. Erst neulich traf ich bei einer Journalisten-Veranstaltung in Hamburg eine Person, die an einer sich mit nicht gekennzeichneten Content-Anzeigen, sprich Schleichwerbung, finanzierenden Seite mitwirkt. Auf die erstaunte Frage einer anderen Person, wie sich das Angebot denn finanziere, sagte sie, dass dies eben mit Content-Anzeigen geschehe. Ich betonte, dass die Anzeigen nicht gekennzeichnet seien.
Die Antwort war zusammengefasst: Dies sei doch dennoch “ohnehin jedem klar”, und außerdem sei es ja nicht so tragisch, da das Medium „eh keine kritischen Themen“ behandle. Auch für viele der anwesenden Journalisten war dies unter diesen Umständen und bei „dem kleinen Blog“ kein großer Aufreger.
Ökonomisch ist es aber sehr wohl ein Problem! Um das zu verstehen, sollte man die Debatte nicht von den großen Medien wie der NYT aus denken, sondern von den kleinen, die zum Teil auf ihre begrenzten Anzeigeeinnahmen angewiesen sind; nicht nur, um Redaktionelles und Werbung scharf zu trennen, sondern um überhaupt einen Beitrag zur Medienvielfalt leisten zu können.
Dadurch, dass es Player gibt, die sich nicht an die Spielregeln halten, können die Agenturen es sich leisten, bei mir und anderen abzusagen, weil sie das Wort Anzeige stört. Und so fließt kein Werbe-Geld in Seiten, die sich zwischen Konzerttipps und Spaß-Rankings auch per IFG-Anfrage kostenpflichtig Verträge der Stadt ansehen, um zu überprüfen, ob da alles mit dem Rechten zugeht. Es fließt nicht in Seiten, die täglich in Bezirksversammlungen sitzen.
Nein, es fließt in Seiten, die „eh keine kritischen Themen“ behandeln, sondern lediglich Veranstaltungen und Geschäfte vorstellen und bei denen ich mangels Kennzeichnung nicht einmal weiß, ob die Beiträge aus redaktionellen Gründen oder aus finanziellen entstanden sind.
Vorschlag: Wie wäre es, wenn Medien an alle Beiträge (außer Werbung, die nicht gekennzeichnet werden soll) "keine Anzeige" schreiben…
— Andreas Grieß (@youdaz) 5. August 2014
Mit anderen Worten: Schleichwerbung ist nicht nur eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit von bestehenden journalistischen Angeboten, sondern erschwert auch ungemein die Gründung neuer journalistischer Produkte, die Anzeigen als (Teil ihrer) Finanzierung enthalten. Nicht nur ist es schwerer, Anzeigenkunden zu finden, auch die Preise sinken, weil die Möglichkeit von ungekennzeichneter Content-Werbung im Sog die Preise für gekennzeichnete Content-Anzeigen und die für klassische Banner-Ads runterzieht.
Wer will schon 50 Euro für ein Banner zahlen, wenn er anderswo dafür einen Aufmacher bekommt?
Es braucht eine Allianz für seriöse Werbung
Wer sich nun auf ein Podium stellt und behauptet, dass sich aufrichtige Arbeit langfristig lohne, übersieht zwei Dinge: Erstens muss man dafür überhaupt einmal langfristig arbeiten können.
Und zweitens ist es mitnichten so, dass das Publikum solche Seiten wegen Schleichwerbung abstraft. Bei Buzzfeed gehört manchmal auch Branded Content zu den meistgeteilten Inhalten, und ich staunte neulich nicht schlecht, als ich in einem Blog einen (nicht gekennzeichneten) Beitrag über eine Firma entdeckte, die auch bei uns werben wollte, und der Beitrag – dank angeschlossenem Gewinnspiel – auf eine hohe Anzahl an Likes kam.
Nein, nicht gekennzeichnete, gekaufte Beiträge und die Seiten, die diese anbieten, gehen nicht von alleine wieder weg. Sie nehmen nachhaltig dem Journalismus viele Anzeigeeinnahmen weg. Das betrifft in meinen Augen besonders die kleinen Angebote, die selten genug Reichweite für andere Werbeformen haben. Es trifft indirekt aber auch große Seiten, da das Preisniveau sinkt.
Genau deshalb würde ich mir eine große Allianz wünschen, die diesem Problem öffentlich begegnet. Statt Binnenkämpfe zu führen, wäre hier ein Bereich, an dem Seiten wie Spiegel Online gemeinsame Sache mit Lokalblogs und seriösen Podcastern und Videobloggern machen könnten, nein: sollten. Auch die Verbände, DJV, VDZ, und wer nicht alles zu jedem erdenklichen Thema eine Meinung hat, sind gefordert. Denn es reicht nicht, dass einzelne Akteure das Problem offen angehen, auch wenn dies ein Anfang ist.
Vielleicht sollten Schleichwerbe-Seiten offen angeprangert werden. Vielleicht sollten sie, wo es geht, von Pressezugängen ausgeschlossen werden. Vielleicht reicht auch eine große gemeinsame Kampagne, die Bewusstsein für das Thema schafft. Oder sollte der Hebel vielleicht bei den Agenturen angesetzt werden? Oder bei den Firmen, die so werben wollen – immerhin geben die sich beim Erstkontakt nicht zu erkennen (“Ein Kunde interessiert sich für eine Anzeige bei Ihnen”). Und überhaupt: Wo sind die Abmahnanwälte, wenn man sie mal braucht?
Welche Herangehensweise letztlich die richtige ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir gemeinsam nach diesbezüglichen Ideen suchen sollten. Offenbar gibt es aber zu viele Akteure, die lieber die Faust in der Tasche machen, weil sie sich den Schleichwerbe-Weg nicht verbauen wollen. Dass auch bei großen Medien immer mal wieder solche Fälle entdeckt werden, spricht da schon eine eindeutige Sprache.
- Last Week Tonight with John Oliver vom 3. August: Native Advertising (HBO; Video, 11:22 Min.)
- Joe Pulizzi: Three Solutions to John Oliver’s Rant on Native Advertising
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