#BM MINT

Warum Deutschland ein Internet-Ministerium braucht

von , 9.8.13

Neue Behörden, gar Ministerien, also neue Jobs für Politiker und Beamte zu fordern, ist in der Öffentlichkeit – und sicherlich nicht nur in Deutschland – unpopulär. Politiker scheuen das ganz besonders im Wahlkampf, denn es kann ihnen leicht vorgeworfen werden, sie würden sich nur eine tolle Aufgabe basteln wollen. Andere Politiker wiederum votieren umgehend und vehement gegen jede Änderung der Zuschnitte von Ressorts, denn gerade, wenn es ihre (bisherige oder künftige) Zuständigkeit ist, wollen sie nichts an Kompetenzen und damit eben auch Macht an andere (neue) Minister abgeben.

 

Darstellung in anderen Ressorts existierender Funktionen in einem neuen Bundesministerium

Darstellung in anderen Ressorts existierender Funktionen in einem neuen Bundesministerium (zum Vergrößern klicken)

Dennoch kann es zielführend sein, einmal ernsthaft über die Schaffung eines Ministeriums für Medien und den ITK-Bereich nachzudenken, dass ich hier einfach mal „Bundesministerium für Medien, Informations- und Nachrichtentechnik“ (BM MINT) nennen will.

Ich jedenfalls trete aus persönlicher Überzeugung und vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen in mehr als zwei Jahrzehnten in Politik und IT-Industrie nun schon seit geraumer Zeit für die Schaffung eines solchen Ressorts ein und möchte dieses hier mal ein wenig näher begründen. Mir fallen nämlich auch nach etlichen Diskussionen viele gute Gründe für, aber kaum stichhaltige Argument gegen ein solches Ressort ein.

 

1. Ein eigenes Bundesministerium entspräche der Bedeutung des Themas

Dass dem MINT-Bereich in Deutschland heute eine sehr große gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt, wird hoffentlich niemand mehr bestreiten. Daher sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber kurz auf folgende Kennziffern verwiesen: Der Umsatz mit Informationstechnologie, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik steigt 2013 auf 153 Milliarden Euro. Mehr als 900.000 Jobs sind in Deutschland damit direkt verbunden. So erweist sich der MINT-Bereich ökonomisch als nicht weniger bedeutend als beispielsweise die Landwirtschaft.

Natürlich ließe sich auch das Thema Landwirtschaft – wie alle „Spezialressorts“ – unter dem Dach beispielsweise des Wirtschaftsministeriums zusammenfassen. Das fordert jedoch für die „traditionellen“ Ministerien keiner. Daher kann es umgekehrt durchaus gerechtfertigt sein, bei gestiegener Bedeutung eines neuen, abgrenzbaren Bereichs unserer Gesellschaft – wie das eben bei IT, Internet, Medien und Kommunikation der Fall ist – diesem auch einen adäquaten Ansprechpartner auf Regierungsseite gegenüberzustellen und bisherige Ressorts anders zuzuschneiden.

Dabei kämen dem BM MINT viele Querschnittsaufgaben zu. Das wäre aber kein Hinderungsgrund, wie man sehr leicht im Vergleich zu Ministerien wie denen für Umwelt und Verbraucherschutz oder Justiz sehen kann: Sie sind gerade deswegen eigene Ressorts geworden, weil man hier die für viele andere Bereiche notwendige Expertise bündeln wollte, um sie dann zentral allen anderen Ressorts zur Verfügung stellen zu können. Gleichzeitig wollte man ihrem Thema eine „lautere Stimme“ in einem Regierungskabinett geben, um einem bestehenden inhaltlichen Defizit zu begegnen oder vorzubeugen.

 

2. Ein Bundestagsausschuss für Netzpolitik macht ohne komplementäres Ministerium wenig Sinn

Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages hat in ihrem Abschlussbericht übereinstimmend (!) die Einrichtung eines ständigen Ausschusses für seine Themen empfohlen.

Man hält die Bündelung in einem solchen Gremium mit Blick auf künftige Gesetzesberatungen für angemessener, als im Unterausschuss für Kultur und Medien oder in der Aufteilung der bisherigen Fachausschüsse. Hauptausschüsse des Parlaments aber sollen stets die Arbeitsteilung einer Regierung widerspiegeln und die Regierungsarbeit kontrollieren und parlamentarisch begleiten. Zudem ist jeweils der Ausschuss in der Beratung von Gesetzen federführend, bei dessen Ministerium auch die Kompetenz für die Gesetzesmaterie liegt. Wenn also der vom Bundestag geforderte Ausschuss qualitativ etwas anderes sein soll als der bisherige Unterausschuss, bedarf es zwingend eines Ministeriums als Gegenpart auf Regierungsseite.

 

3. Ein BM MINT würde weit weniger Mehrkosten verursachen, als befürchtet

Heute sind nach meinen Recherchen bereits rund 1.000 Menschen in den verschiedenen Bundesministerien überwiegend mit Fragen beschäftigt, die inhaltlich dem MINT-Bereich zugerechnet werden können. Ihre Zahl wird in dem Maß steigen, wie die Bedeutung der Thematik wächst. Zudem bestehen bereits etliche zu- oder untergeordnete Sonderbehörden: Etwa im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), beim unabhängigen Bundesbeauftragten für den Datenschutz oder bei der Bundesnetzagentur sind insgesamt mehrere tausend Menschen bereits im MINT-Bereich beschäftigt.

Die bestehenden Abteilungen und Aufgaben in einem neuen Ressort zusammenzuführen, wäre nach der Wahl relativ einfach durch Organisationserlass der Bundesregierung möglich. Natürlich würde es ca. ein Jahr dauern, bis alle notwendigen räumlichen und organisatorischen Veränderungen umgesetzt wären, aber außer den einmaligen Umstellungskosten und vergleichsweise geringen Ausgaben für eine neue Leitungsebene und Zentralbereich blieben die (Personal-) Kosten dafür im Rahmen, da sie ja an anderer Stelle entfallen würden.

Mit dem Wegfall des „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ beispielsweise wäre die Position des Ministers in dem neuen Ressort weitgehend kostenneutral zu gestalten. Mit Wegfall erheblicher Zuständigkeiten im BMWi könnten von dort auch je eine Stelle für einen parlamentarischen und verbeamteten Staatssekretär in das neue Ressort „wandern“.

Die einzigen echten, erheblichen Mehrausgaben würden sich folglich aus Programmen des Ministeriums ergeben – etwa Milliarden an Fördermitteln aus einem Breitbandfonds für den Ausbau von Glasfaseranschlüssen, wie es die SPD fordert. Soweit es sich um sinnvolle Ausgaben handelt, hielte ich das aber gerade für wünschenswert und ein weiteres Argument für ein Internet-Ministerium.

 

4. Ein BM MINT könnte weit mehr Nutzen bringen als vermutet

Und das gleich in dreierlei Hinsicht:

  • Alle Behörden, insbesondere aber Ministerien, folgen einer eigenen Organisationslogik. Wegen der in Deutschland geltenden „hergebrachten Regeln des Berufsbeamtentums“ hat das auch Auswirkungen auf die Personalauswahl. Dazu gehört, dass man sich als junger Referent in einem Ministerium normalerweise nicht für ein konkretes Thema bewerben kann, sondern als „Regelbeamter“ einsteigt und dann bspw. im Wirtschaftsministerium heute mit Fragen der IT, morgen aber genauso mit der „maritimen Wirtschaft“ betraut wird. Wer als erfahrener Spezialist in ein thematisch breit angelegtes Ministerium eintritt, das nicht seinem Berufsprofil entspricht, muss daher damit rechnen, am Ende in ganz verschiedenen Themen und nicht im eigenen Spezialgebiet zu arbeiten.

    Damit aber ist die Bewerbung für eine nicht-technische Laufbahn gerade für Informatiker, Netzwerkingenieure, Naturwissenschaftler, aber auch erfahrene, hochspezialisierte Juristen in den bestehenden Ministerien wenig attraktiv, denn sie riskieren wegen der schnellen Entwertung ihres Wissens viel, wenn sie ihre Kenntnisse auch nur einige Jahre in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Neben der im Vergleich zur Industrie unattraktiven Bezahlung im öffentlichen Dienst ist das ein weiterer Grund, warum nur ganz wenige, bei diesen Themen erfahrene Spezialisten sich bislang in Ministerien wiederfinden.
  • Die bisherige wilde Verteilung der ITK-Zuständigkeiten zwischen den Ministerien hat meist historische, manchmal politische, aber selten sachliche Gründe. Warum beispielsweise das Thema Datenschutz federführend beim Innenminister angesiedelt ist und nicht beim Justizministerium, der Medienbeauftragte im Kanzleramt sitzt, die Nachrichtennetze im Wirtschaftsministerium und nicht im Verkehrsministerium reguliert werden, die Telekom vom Finanzministerium verwaltet wird, folgt keiner zwingenden Logik.

    In einem Ressort, das möglichst alle miteinander vernetzten Felder der IT, Telekommunikation, Internet und Medien umfasst, könnten endlich Fragen wie die Zukunft des Internets, eGovernment-Dienstleistungen und Regulierung “zusammen gedacht” werden. Fehlentwicklungen der Vergangenheit, wie die parallele Entwicklung dreier verschiedener staatlicher „Leistungskarten“ oder die indifferente Haltung der heute zuständigen Minister in wichtigen netzpolitischen Fragen, würden in dem neuen Ressort schon dadurch vermieden, dass dort fachlich federführend alle Themenstränge zusammenliefen. Der Minister müsste im internen Entscheidungsprozess eines Ressorts nicht schon eine Schere im Kopf haben, weil in seinem Ministerium inhaltlich gegensätzliche Abteilungen widersprüchliche Positionen vertreten und ebensolche Angaben gegenüber der Leitungsebene machen (Beispiel BMI: Datenschutz- vs. Ermittlerinteressen).
  • Deutschland liegt – trotz gegenteiliger Bekundungen der amtierenden Bundesregierung – im Breitbandausbau erheblich zurück. Unserem Land kommt auch im Bereich von Soft- und Hardware keine internationale Bedeutung mehr zu. Selbst als Standort für ausländische IT-Unternehmen hat Deutschland an Attraktivität verloren. Auf den wichtigsten internationalen Konferenzen sind deutsche Unternehmen inzwischen selten, hochrangige deutsche Regierungsvertreter fast nie vertreten.

    Um die für unser Land wichtigen Infrastrukturfragen entschlossen anzugehen, Forschung, Entwicklung und Unternehmensgründungen nachhaltig zu fördern und eine notwendige, vorausschauende Regulierung und wirksame Kontrolle sicherzustellen, bedarf es dringend eines Ressorts, das sich von der Leitungsspitze bis in das letzte Referat schon “von Amts wegen” ausschließlich diesen Themen verpflichtet fühlen muss und sich daher auch nicht vor seiner diesbezüglichen Verantwortung drücken kann. Dies aber passiert heute, wenn ein Minister selbst Fachabteilungen mit desinteressiertem Personal aus anderen Arbeitsbereichen besetzen und leichter „Erfolge“ in seinen anderen Arbeitsbereichen feiern kann. Zukünftig aber würde es zumindest auffallen, wenn ein Internetminister bei seinen Kernthemen versagt.

 

5. Andere Modelle haben sich in der Praxis nicht bewährt

Es waren Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine rot-grüne Regierung, die als erstes erkannten, dass Medien, IT und Internet besondere administrative und politische Aufmerksamkeit verdienen. Er berief daher erstmals einen Staatsminister im Kanzleramt, dem er die Koordinierung und Förderung dieses Themas übertrug. Obwohl er mit Hans Martin Bury für diesen Posten eine gute Wahl traf, gelang es diesem dennoch nicht, von seiner Position aus das Thema nachhaltig zu befördern. Ebenso gelang das nicht dem Beauftragten für Kultur und Medien im Kanzleramt, der im Konzert der „richtigen“ Ministerien bis heute nicht für voll genommen wird – ganz unabhängig von der persönlichen Leistung des jeweiligen Beauftragten.

Die Zusammenführung von Kompetenzen in einem bestehenden Ministerium ist bereits im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie versucht worden. Bewährt hat sich das aber nicht, denn bestimmte Aufgaben wie Datenschutz, Forschung und Verbraucherschutz sind auf andere Ressorts verteilt, so dass die Koordination, gar ein „Zusammendenken“ von eigentlich vernetzten Fragen nicht im nötigen Maß stattfinden kann. Weitere Aufgaben in diesem “Mammut-Ministerium” zusammenzufassen, das trotz sechs (davon drei parlamentarische) Staatssekretäre heute schon kaum sinnvoll gesteuert werden kann, würde dem Thema aber nicht gerecht werden.

Auch hat sich erwiesen, dass das Argument „jedes Ministerium müsste doch heute eigentlich in seinem Ressort Themen wie IT und Internet mit berücksichtigen“, ein Wunsch ist, der in der Praxis (noch) nicht funktioniert. Alle Ministerien haben inzwischen zwar IT-Abteilungen mit Spezialisten, und es gibt im Innenministerium einen CIO. Doch sehen sich die IT-Beauftragten der Ministerien schon von ihrer Ausbildung her „nur“ als EDV-Abteilungen, diskutieren gern über Fragen der Beschaffung, meist aber nicht über andere Themen, wie es politische Beamte tun sollten.

Wissenstransfer zwischen ihnen und den Fachabteilungen findet nicht statt, und die meisten Fachreferenten werden sich bis zu ihrer Pensionierung nicht mehr im nötigen Maß mit den neuen Herausforderungen beschäftigen. Spezialisten etwa für das Thema Medienkompetenz gibt es zudem (noch) nicht in einer solchen Zahl, dass man sie gleich auf die in diesem Fall drei bisher mit diesen Fragen betrauten Ministerien verteilen könnte. Einfach abzuwarten, bis sich das vielleicht in 10 Jahren von alleine ändert, erscheint mir nicht als Alternative.

Die nächste Bundesregierung sollte in jedem Fall ein eigenes Ressort für den ITK-Bereich einrichten, unter dessen Dach die bisher in den verschiedenen Ressorts verteilten Aufgaben und Stellen zusammengeführt werden. Alles andere wäre second best.

Wie ein solches Ministerium im Ergebnis aussehen könnte, habe ich einmal ganz grob in einem Organigramm zusammengefasst (das man natürlich noch weiter bearbeiten müsste). Und sicher lassen sich noch viele weitere gute Gründe dafür und sicher auch einige dagegen finden, warum man so ein neues Ministerium schaffen sollte – und nach Erfüllung seiner Aufgaben irgendwann auch wieder auflösen oder neu zuschneiden kann.

Erfreulich finde ich, dass beispielsweise Prof. Dr. Gesche Joost, als „Netwoman“ Mitglied des Kompetenzteams von Peer Steinbrück, sich meiner Forderung inzwischen angeschlossen hat, aber eben auch Beamte aus den Ministerien, die von meinem Vorschlag betroffen wären, darunter auch einige Abteilungsleiter, mir zumindest im persönlichen Gespräch bereits große Sympathie für meine Idee bekundet haben und meine Annahmen bestätigen. Denn gerade sie wissen: Manchmal kommt es eben nicht nur auf Personen und Programme an, sondern eben auch auf Strukturen, wenn man gute Politik und überfällige Dinge möglichst schnell und effizient „auf die Straße“ bringen will.
 
Crosspost von moenikes.de

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