#Angela Merkel

Vom Elend deutscher Denker

von , 5.2.16

Sie kennen das sicherlich auch: Du bist vor Regen davon gerannt, hast noch schnell ein Dach über dem Kopf gefunden und gewartet, bis es wieder aufgeklart hat. Nach dem Regen trittst du auf die Straße, atmest befreit kühle, frische Luft. Und entdeckst zu deinen Füßen in den Pfützen schimmernde Öl- Schlieren in allen Regenbogenfarben. Jemand hat da etwas hinterlassen, ob nachlässig geschehen oder aus Absicht. Du ärgerst dich, schimpfst auf einen unbekannten Umweltsünder. Kannst dich an den schönen Farben nicht erfreuen, die sich über den nassen Boden ziehen.ande

Das Bild der schimmernden Öl-Schlieren ging mir durch den Kopf, als ich im Tagesspiegel die Geschichte über „Deutsche Denker gegen Angela Merkel“ las. Philosophen, Publizisten, Schriftsteller behaupten, die Flüchtlings-Politik in Deutschland sei ein selbstgewähltes Unglück. In einem Anflug von Humor textete der Tagesspiegel: „Rüdiger Safranski doziert, Botho Strauß grummelt, und jetzt spottet auch noch Peter Sloterdijk.“ Im Cicero hatte Sloterdijk zudem erklärt, die Bundesregierung habe sich einer „Überrollung“ durch Flüchtlinge preisgegeben, die darin liegende „Abdankung“ der Regierung gehe Tag und Nacht weiter.

Über den Schriftsteller Reinhard Jirgl heißt es im erwähnten Tagesspiegel-Text, der mache für Migrationswanderungen und Finanzkrisen die „poröse“ europäische Politik und die USA verantwortlich, deren Absicht es sei, „Europa weiter wirtschaftlich und politisch zu deregulieren“. Unter den weiteren ist der Publizist Frank Böckelmann zu finden, der dem Stern zufolge im Dezember 2014 in einer Pegida- Demonstration mittrabte, um einer Stern-Mitarbeiterin zu erklären, er demonstriere gegen die Islamisierung Deutschlands. Da müssten sich eben die Menschen „unter der Fahne“ versammeln.

Das ist natürlich noch keine „Phalanx“ wie der Tagesspiegel schrieb. Und erst recht keine „Harzburger Front“ wie sie damals von Nazis und antisemitischen Nationalkonservativen sowie von aggressiv aufgestellten Militärs gebildet worden war. Aber es ist schon eine merkwürdige Mischung, die sich da selber zusammenrührt. Es ist, als ob auf den Tanzböden nur eine bestimmte Melodie gespielt werden muss, damit bestimmte Leute aufgeschreckt werden. Dabei geht’s immer um Furcht, um Grenze, um Nation und die Anderen. Solches geschieht zum vierten Mal in den vergangenen 25 Jahren.

Erstmals geschah es nach Vollzug der deutschen Einheit. Damals war die bange Frage zu lesen und zu hören: Wie wird das unser Land verändern, was wird aus unserem Land? Manche wollten die Einheit, aber so ganz wollten sie die Einheit denn doch nicht. Einheit mit Distanz zu den Ostdeutschen.

Ein zweites Mal entflammten die Fürchtenden, als es um die Frage ging, wo künftig Deutschlands Hauptstadt liegen solle, an der Spree oder am Rhein. Kölner oder Berliner Dom? Ein beschauliches „Weiter so“ oder Regieren in einem Moloch.

Ein drittes Mal meldeten sich Fürchtende zu Wort, als 2006 in der Folge der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland das Land in einem schwarz-rot-goldenen Farbenmeer ertrank. Oh Gott, oh Gott, was wird daraus werden, grummelte und echote es in den Feuilletons. Überall diese Fahnen! Da schleicht sich wohl ein Nationalismus ins Land, der zu uns nicht passt. So was! Schwarz-rot-goldene Begeisterung! Die drei Farben sind freilich seit der Märzrevolution 1848 die Farben der Republik. Eine deutsche Trikolore. Während der Weimarer Republik versammelten sich die Anhänger der Demokratie, die nicht wehrlos sein wollten, im Reichsbanner unter der deutschen Trikolore.

Und nun geht’s es wieder los. Ein viertes Mal. Deutschland wird überrollt. Die Islamisierung unseres Landes droht. Wir sind schutzlos! Der Grenzschutz ist weg! Und all das macht diese Koalition in Berlin mit der Protestantin aus dem Osten an der Spitze.

An dieser Stelle sollte ich Privates hinzufügen: Mit dem Wort Nation kann ich nicht viel anfangen. Ich finde mich beim damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann gut aufgehoben, der auf die Frage, ob er sein Land liebe, glaubwürdigen Quellen nach lakonisch geantwortet hat: Ich liebe meine Frau.

Froh bin ich in Deutschland zu leben. Hier bin ich aufgewachsen, ohne Krieg und Armut. Hier habe ich gearbeitet, geheiratet, Kinder gezeugt, ein Haus gebaut. Meine Kinder sind ohne Furcht aufgewachsen. Hier war ich Redaktionssprecher, Betriebs- und Personalrat, hier habe ich viele Jahre ehrenamtlich in der Jugendabteilung eines Fußballvereins mitgemacht. Ich gehöre also zu einer weitgehend glücklichen „Generation“. „Dem Land“ habe ich durch Arbeit und Ehrenamt versucht, etwas zurückzugeben. Allerdings verbinde ich dies nicht mit dem Wort „Nation“. Ich hätte aber auch kein Problem damit, mir ein Button in den Farben Schwarz, Rot und Gold an ein Revers zu heften. Es sind die Farben unserer Freiheitsgeschichte. Mein eigenes „Band of Brothers and Sisters“ schließt viele ein, aber manche auch aus. In erster Hinsicht: Antisemiten.

Mit Blick auf die Wortmeldungen der gelehrten Herrschaften, die ich genannt habe, stelle ich mir vor, dass sich die Zeit um 563 Jahre zurückdreht. Wie in einem Historienfilm. Es ist plötzlich wieder der 28. Mai 1453. Abends versammeln sich in den Kirchen Konstantinopels die Verteidiger der Stadt um Kaiser Konstantin, weil morgen die Truppen Mehmets des Zweiten die Stadt stürmen wollen. Irgendwo in den Köpfen mancher Kritiker der gegenwärtigen Situation spukt nach meinem Eindruck ein Gefühl des Bedroht Seins umher, wie es damals die Verteidiger der Stadt am Bosporus hatten.

 

Hunderttausende Helfer und Helferinnen, die ihre Freizeit aufbringen, um Ankommende zu betreuen als Teil der deutschen „Spaßkultur“. Darauf muss man erst einmal kommen.

 

Die Schriftstellerin Monika Maron hat jüngst in der FAZ einen sogenannten „Brandbrief“ veröffentlicht, der weitgehend mit Schweigen quittiert worden ist. Maron schaudert vor dem, was sie glaubt heraufziehen zu sehen: „Sie (die in Deutschland Regierenden) erklären ihre Handlungsohnmacht mit Gesetzen, an die sich außer Deutschland niemand hält, weil keines der Gesetze, auf die sie sich berufen, ein Volk zum kollektiven Selbstmord verpflichtet.“ Der Zuzug von Flüchtlingen als „kollektiver Selbstmord“. Was haben und tragen diese Menschen mit sich, so dass Deutschland Selbstmord begeht? Meint Frau Maron, diese Leute trügen eine todbringende Kultur in sich? Zur Begründung zitiert sie eine irrsinnige Behauptung Safranskis aus der Weltwoche: „Gemäß heutiger Praxis wären, gemessen an den hiesigen demokratischen und ökonomischen Standards, zwei Drittel der Weltbevölkerung in Deutschland asylberechtigt. Dass unsere Flüchtlingspolitik einem Denkfehler unterliegt, müsste einem spätestens da auffallen …“.

Safranski und Maron haben offenkundig Albträume. Einer geht so: Sie gucken eines Morgens aus dem Fenster, um draußen vor der Tür Abertausende Menschen zu erblicken, die da mit untergekreuzten Beinen sitzen. Das Erschreckende: Die essen alle mit Stäbchen. Da wir uns noch auf der Zeitreise ins fünfzehnte Jahrhundert befinden, fahre ich so fort: Konstantin und Getreue zogen am 28. Mai 1453 in der Hagia Sophia ein, unter deren Kuppel tausende Kerzen brannten, um ein letztes Mal die Messe zu feiern, bevor der Sturm der Barbaroi beginnen würde. Zeitreise beendet.

Es ist eine Tragödie, dass Menschen, die die Freiheit mit jeder Faser herbei gesehnt haben, dieselbe Freiheit bei der ersten Probe aufs Exempel opfern, gegründet auf aberwitzige Behauptungen, die falsch und irreführend sind. Behauptungen, die entweder aus purer Pressegeilheit aufgestellt werden oder – anders kalkuliert -, um Furcht zu erzeugen oder aus beiden Gründen. Ich kann übrigens von einer achtbaren Schriftstellerin erwarten, dass sie ihre Quellen prüft, bevor sie sich zu aktuellen Themen äußert. Maron müsste wissen, dass nicht jeder und jede, die nach Europa flüchtet, Asyl haben will, sondern dass heute die meisten nach der Genfer Flüchtlingskonvention Aufnahme finden können. Das ist keine Besserwisserei sondern Basiswissen. Den „Brandbrief „ Monika Marons habe ich mit einem Gefühl der Enttäuschung gelesen, weil ich meine, das Streben nach Freiheit in den früheren Staaten des Ostblocks sei uns allen ein Erbe, das wir nicht vergessen dürfen. Und nun merke ich, dass Erblasser Vererbtes gering schätzen.

Bei Safranski wundert mich solches nicht mehr. Er hat der NZZ auf seine Weise die ganze Verachtung gestanden, die ihn mit Blick auf die Deutschen überkommt. Auf die Frage der NZZ: „Viele Deutsche setzen den Befürchtungen die Willkommenskultur entgegen“, antwortete er: „Ein paar Tage, ein paar Wochen lang, die meinungsstarken Feuilletonisten vielleicht noch ein wenig länger, aber dann werden auch sie wieder ganz gewöhnliche Leute, welche die Arbeit gerne den Profis überlassen und bloß darauf achten, im unmittelbaren Umfeld nicht von den Neuankömmlingen gestört zu werden. Die Begrüßungskultur macht nur eine Weile lang Spaß…“

Hunderttausende Helfer und Helferinnen, die ihre Freizeit aufbringen, um Ankommende zu betreuen als Teil der deutschen „Spaßkultur“. Darauf muss man erst einmal kommen. Es stehen keine fanatisch kämpfenden Janitscharen an den Grenzen der Europäischen Union, sondern es kommen überwiegend Menschen, die um Leib und Leben fürchten. Es kann doch nicht so schwer sein, das zu erkennen!

Geachtete Geisteswissenschaftler und Literaten haben jederzeit Anspruch darauf, gehört und gelesen zu werden. Aber einen Erkenntnis-„Bonus“ würde ich nicht geben, wenn sie zu aktuellen Themen ihre Stimmen erheben. Ein Blick in Robert Spaemanns Grundfragen der Ethik ist mitunter hilfreicher als Krater-Beobachtung am Sloterdijkschen Vulkanschlot.

Daneben gibt es andere, wie Jirgl, ein Büchner Preisträger, der sich ins Lager der Verschwörungsanhänger verliert. Stichwort: Die Amis stecken hinter dem, was bei uns schief geht.

Ferner gibt es Ex-Extremisten wie Böckelmann, die nun im Fahrwasser der Nationalbewussten tuckern; in dem Fahrwasser, in welchem auch die völkisch Nationalen dümpeln und ihre Anlegepunkte haben.

 

„Nation“ ist auch bei uns Anpassung und Zusammenleben unter sich ständig verändernden Umständen. Neu ist heute das Tempo und die Zahl der Menschen, die kommen, weil sie nicht wissen, wohin sie sich sonst wenden sollen.

 

Ich fürchte, manche haben einfach nicht mitbekommen, innerhalb welcher Ordnungen sie sich bewegen und leben, arbeiten. Vor Jahrzehnten haben sich die Deutschen einem kollektiven Sicherheitssystem angeschlossen und ohne Wenn und Aber in dieses System integriert. Unter den Mitgliedern dieses Systems gilt Beistandspflicht, sind Grenzen aus Gründen der militärischen Abwehr nicht mehr erforderlich. Zweitens sind die Deutschen Mitglied der Europäischen Union. Dies ist eine durchaus funktionierende Rechtsgemeinschaft. Die inneren Ordnungen sind rechtlich gesehen weitgehend angeglichen. Über das Werte-Ranking in den einzelnen Ländern muss man streiten; aber die gemeinsam beschlossene Rechtsgemeinschaft gilt. Auch aus diesem Grund relativiert sich die Notwenigkeit von Grenzen. Eine Rechtsgemeinschaft ist keine Diktatur mit dem Risiko irreparabler Entwicklungen. Rechtsbrüche können korrigiert werden.

Für Millionen Menschen in unserem Land ist die Auseinandersetzung mit Neuem und Fremden lebenslange Begleitmusik. Das ist einfach eine Tatsache. In den fünfziger und sechziger Jahren haben die deutschstämmigen Beschäftigten gelernt, mit Arbeitern aus Jugoslawien und vor allem mit süditalienischen Arbeitern klar zu kommen. An vielen Millionen Arbeitstagen haben sie gemeinsam Eisen und Stahl erzeugt, Kohle gefördert, Werkstücke gedreht, gemessen, nachgearbeitet, zusammengeschweißt, Neues gelernt, Motore eingebaut und produziert. Dann kamen Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Türkei und aus dem Maghreb. Dasselbe wiederholte sich. Die wurden zum großen Teil Deutsche. Später haben sich die Deutschen von koreanischen Krankenschwestern im Krankenhaus pflegen lassen. Es waren Tausende. „Nation“ ist auch bei uns Anpassung und Zusammenleben unter sich ständig verändernden Umständen. Neu ist heute das Tempo und die Zahl der Menschen, die kommen, weil sie nicht wissen, wohin sie sich sonst wenden sollen.

Carl Zuckmayers Drama „Des Teufels General“ wurde 1946 in Zürich uraufgeführt und in den Jahren danach im deutschen Westen über 2000 Mal gespielt. Das Stück enthält ein kleines Narrativ, das heute merkwürdig sperrig, fremd klingt, weil es so pathetisch ist: „Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant….“ Zuckmayer, in Nackenheim bei Mainz geboren, nannte seine Heimat, die Rheinlande, „Europas Völkermühle“.

Das ist weiß Gott kein konfliktfreier Begriff. Aber eine treffliche Antwort all denen, die nichts gegen ein bisschen Fremdes haben, aber denen es nicht zu viel sein darf. Natürlich war auch die Zeit des beginnenden Einwanderns ab Mitte der Fünfziger keine eine „heile Welt“. Es gab viele Konflikte, es gab Diskriminierungen, Isolation. Schon damals hieß es, die Ausländer stellten deutschen Frauen nach, belästigten und vergewaltigten. Und auch damals gab es bereits Medien, die dies begierig aufgriffen.

Aber andererseits existierte eine stabile und durch das Arbeitsrecht geordnete Welt. Viele Zugewanderte wurden gewerkschaftliche Vertrauensleute, Beschäftigte, die mit dem Vertrauen ihrer Kollegen ausgestattet waren, viele wurden Betriebsräte, sorgten also dafür, dass die anderen den gesetzlichen Schutz erhielten, der ihnen zustand. Manche haben persönlich einiges riskiert, um deutsches Arbeitsrecht durchzusetzen.

Im Gegenzug haben die demokratischen Institutionen dafür millionenfach Loyalität und Gesetzestreue erhalten. Gilt das nichts?

Demokratiestiftend und von nationaler Bedeutung waren eben in Deutschland die gesetzlich verankerten Arbeitnehmerrechte. Ohne diese Rechte wäre der antagonistische Gegensatz von Kapital und Arbeit mit allen Kämpfen in die Jetztzeit geschleppt worden; ohne diese Rechte wäre die Gesellschaft schrecklicher gespalten als heute.

Die Kriegsopferversorgung ist zu nennen – ebenfalls von nationaler Bedeutung: Rechtsanspruch und Anstand gegenüber den durch Krieg Geschädigten. Die allgemeine Rentenversicherung, die über die Jahrzehnte gesehen immer wieder dem realen ökonomischen Vermögen und dem darunter liegenden Potenzial angepasst wurde, war und ist Demokratiestiftend. Das trifft auch auf den umfassenden Gesundheitsschutz zu, auf die Pflegeversicherung und die Bildungsreformen.

In diesem Jahr stehen Debatte und Verabschiedung eines modernen Teilhabegesetzes an. Es enthält folgende Botschaft: Mehr als sechs Millionen Menschen mit einer Behinderung, mit einen gesundheitlichen Handikap sowie Menschen, die sich der Gebärdensprache bedienen, werden von Rechts wegen besser gestellt, so dass sie bessere Chancen haben, an Leben, Arbeit, Bildung und Unterhaltung teilzunehmen. Auch das ist eine nationale Aufgabe. Die Gleichstellung der Frauen ist vorangekommen, die Rechtsstellung der Schwulen ist wesentlich verbessert worden. Das alles sind Veränderungen und Verbesserungen, die nach meiner Auffassung Demokratie und Gemeinwohl stärkten.

Ich bekomme ja nicht alles mit, was die Böckelmann, Safranski & Co erklären und behaupten. Aber Erklärungen dieser Denker zu den großen sozialen Gesetzeswerken wären mir schon aufgefallen. Ich finde freilich: Nichts!

Wie ist das zu erklären? Hat Professor Sloterdijk zum türkischen Ausleerer in einer Gießerei ein ähnliches Verhältnis wie Senator Lukullus es weiland zu einem Plebejer aus der Suburra hatte?

Ist das die Erklärung? Hält man soziale Rechte für „Gedöns“? Irgendwie für nebensächlich? Warum schweigen all diese Herrschaften, wenn es um Teilgebiete unseres sozialen und Rechtsstaates geht, durch die millionenfach Loyalität gegenüber dem Recht erzeugt wird?

Warum entsteht bei manchen stets dann eine Art Juckreiz, wenn es um Fremdes oder um Gewohntes, um Nation und deutsche Kultur geht.

Ich habe mich hin und wieder gefragt, warum manche fiebrig vor Aufregung wurden, wenn Ernst Jüngers Erziehungsroman „Auf den Marmorklippen“ erwähnt wurde, aber Hermann Kestens wunderbarer Roman „Josef sucht die Freiheit“ kein Echo erzeugt. Nur Schweigen. Wird die kühle Demokratiedistanz mehr geschätzt als die Wärme des „Genies der Freundschaft“ Kesten, der dieses Prädikat von seinen Freunden erhalten hat, weil er zur Nazizeit Brecht und Kisch und Seghers und andere verlegte und weil er sich nicht scheute, Verfolgten zu helfen? Gibt es so etwas wie eine verschwiegene Demokratieferne, von der man weiß, aber mit der umgegangen wird wie mit einem unterdrückten Familienskandal?

Die „Deutschen Denker gegen Angela Merkel“ haben Anspruch auf Beachtung und Debatte. Aber ohne Fakten geht es nicht. Es geht im Nachhinein auch nicht wie in der Empedokles-Legende: Zum Kraterrand klettern, raus aus den Sandalen und ab in den Schlot. Vergeben und vergessen. Die Demokratie fordert Stehvermögen.

 

 


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