#Finanzkrise

Und wer, bitte, rettet den Staat?

von , 18.11.08

Können Sie es noch ertragen? Man schlägt morgens die Zeitung auf und verfällt sogleich ins Seufzen: Wieder eine dieser diagrammgeschwängerten Doppelseiten zur weltweiten „Rezession“. Kurze Zeit später, an der Tankstelle, verlangt ein gutaussehender Mittvierziger nach „dem billigsten Weisswein, den Sie haben“. Am Abend dann, im Fernsehen, ein ungewohntes Bild: Auf den Betroffenensofas der Talkshows finden sich (statt Hartz IV-Empfängern) jetzt mittelständische Unternehmer aus Ostwestfalen oder Oberfranken, zu denen die Wills und die Illners dieses Landes sich mit betretener Miene herunterbeugen: „Nicht wahr, Herr Soundso, Ihrem Unternehmen geht es jetzt sehr schlecht, oder?“ „Ja, die Banken lassen uns im Stich. Wir stehen kurz vor der Pleite.“ Abrupter Kameraschwenk zu Michael Glos: „Herr Minister, da muss der Staat doch einschreiten. Worauf warten Sie noch?“

So oder ähnlich geht es derzeit zu in unserer Republik: Wohin man auch schaut und hört, die Krise ist schon da. In den Bilanzen, am Arbeitsmarkt – aber nicht zuletzt in unseren Köpfen. Wer jetzt noch wagt, in Optimismus zu machen, der wird sogleich des Diskursraumes verwiesen.

Es ist ja wahr: Die deutsche Wirtschaft weist im zweiten Quartal in Folge negative Wachstumsraten auf. Sogleich zitieren unsere Bildschirm-Ökonomen schlau aus ihren Lehrbüchern: „Das nennt man Rezession“. Gestützt wird diese Deutung von den Schreckensmeldungen aus der „Realwirtschaft“ (was war nochmal die Irreal-Wirtschaft?): Beim Daimler stehen Weihnachten für vier Wochen die Bänder still. In den einst so stolzen Opel-Werken läuft Bonjour tristesse in der Endlosschleife . Und während Sat 1 vom Berliner Hausvogteiplatz nach Unterföhring türmt, muss Deutsche Post-Boss Appel in Amerika die Scherben Zumwinkel’scher Visionen zusammenkehren. Zugegeben, viel Hoffnung macht das alles nicht.

Richtig ist allerdings auch: Der Ölpreis hat sich innerhalb weniger Monate mehr als halbiert – da macht das Tanken fast schon wieder Freude. Agrarrohstoffe erleben einen beispiellosen Preisabsturz; der Hausmann spürt’s beim Großeinkauf. Kein Zufall, dass der Einzelhandel ziemlich optimistisch aufs Weihnachtsgeschäft blickt. Derweil schwächelt der Euro zunehmend gegenüber dem Dollar; das freut den Exportweltmeister. Und wenn die Zinsen weiter so in den Keller rauschen, dann wird die Kreditklemme in absehbarer Zeit (hoffentlich) der Vergangenheit angehören. Man muss kein Phantast sein, um aus diesen Parametern zumindest auf mittlere Sicht auch wieder positive Entwicklungsmuster abzuleiten.

Kurzfristig aber ist nicht nur Rezession, sondern gleich auch Depression angesagt, und zwar kollektiv: Politik, Medien und Unternehmen… das gesamte öffentliche Meinungsorchester spielt beharrlich in Moll. Da sei die Frage erlaubt: Könnte es dafür auch andere Motive geben als die wirtschaftlichen Fundamentaldaten? Wenn der Bundesaußen(!)minister die Betriebsräte der Autobauer vor laufenden Kameras ins Auswärtige Amt bittet, dann hat das wenig mit Ökonomie, noch weniger mit Außenpolitik, aber sehr viel mit dem längst begonnenen Wahlkampf zu tun. Wenn der für’s Feuilleton zuständige Herausgeber der FAZ im Wochentakt das Ende alles Herkömmlichen postuliert, dann dient das primär seinem Ruf als Heros des Agenda Setting. Und wenn Unternehmer und Verbandsfürsten von einer „existenzbedrohenden Lage“ sprechen, dann kann die nächste Tarifrunde nicht besonders weit sein. Woraufhin auch die Gewerkschaften auf die Straße gehen: „Gerade in der Rezession kommt es darauf an, die Kaufkraft zu stärken“. Ist schon gut, Herr Bsirske (Herr Sommer, Herr Huber) – wir alle haben unseren Keynes gelesen.

A propos Keynes: Das Ausmaß, in dem neuerdings nach dem Staat gerufen wird, kann einem nur noch Angst machen. Vor ein paar Wochen musste der Staat noch die Banken retten. Jetzt sieht es fast so aus, als müsste irgend jemand den Staat retten: vor einer täglich anschwillenden Zahl von Bittstellern: „Airbus-Chef fordert Rettungsprogramm für Luftfahrtbranche“, „Milliardär Adolf Merckle sondiert wegen Landesbürgschaft“ – hallo?

Noch einmal: Die Lage ist ernst, keine Frage. Aber gerade weil sie so ernst ist, wäre es schön, wenn sich ein paar Leute fänden, die den Kopf nicht hängen lassen. Leute, die bereit sind, hinter den Wolken nach dem Silberstreifen zu schauen. Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologie. Der Abschwung darf keine sich selbst erfüllende Prophezeihung werden. Also, liebe Unternehmer, Herausgeber, Politiker: Gießt bitte kein publizistisches Öl ins rezessive Feuer, sondern helft dabei, die Kreativität der Menschen, den Optimismus, den (Über-)Lebenswillen zu entfachen. Es ist dies gewiss nicht die Zeit für große Sprünge. Aber nur noch „den billigsten Wein“ zu ordern – das hat noch keine Volkswirtschaft wieder in Gang gebracht.

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