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TV-Krimis: Die Mordlust der Deutschen

von , 21.4.11

“Vier Mal Gänsehaut!” haucht die weibliche Stimme, als würde sie die siebte Staffel des Traumschiffs ankündigen – und nicht das “mörderische” Oster-Wochenende. Seit Tagen werden die Fernseh-Zuschauer mit dieser um sich greifenden Trailer-Pest genervt. Zugegeben, es gibt gute Krimis (den Münchner Tatort z.B.), aber es gibt auch reihenweise schlechte. Und diese Reihen nehmen zu.

Auf deutschen Fernsehkanälen werden – grob geschätzt – jeden Tag mehrere Dutzend Leichen obduziert. Allein die Dialoge aus der Pathologie könnten die Regale sämtlicher Medien-Institute mit Doktorarbeiten füllen. Sollten eines Tages Außerirdische unser Fernsehprogramm studieren, werden sie glauben, in einem Polizeistaat gelandet zu sein, in dem Heerscharen von Kommissaren an Currywurstbuden herumhängen und ihre Familien vernachlässigen.

Vor allem die Tatmuster der beliebten Serienmörder lassen sich schon im Schlaf herunterbeten. Man muss eigentlich nur die Anfangsbuchstaben der zwölf Apostel mit der Zahl Pi multiplizieren, schon hat man die Geodaten, die anzeigen, wo das nächste Opfer lebendig begraben liegt. Zuverlässig schmücken die Serienmörder ihre Kellerverliese mit brennenden Kerzen, zerbrochenen Spiegeln, Christus-Kreuzen und Folterbestecken, und alle Kommissare brechen in letzter Minute Türen auf, um mit beidhändig umklammerten Pistolen den Lockvogel zu retten.

Irgendwo in den Redaktionen scheint es einen Krimi-Baukasten zu geben, aus dem die Drehbuchschreiber ihre Fließband-Plots zusammenschrauben. Als sendefähig gilt, was mindestens drei der bewährten Bausteine enthält.

Tatverdächtig ist meist der gierige Pharmaunternehmer, der den Hals nicht voll genug kriegen kann und seine Gewinne mit illegalen Experimenten an Kindern macht, die von bösen Männern in fensterlosen Transportern aus der Ukraine eingeschleust werden. Den Mord aber begeht stets die eifersüchtige Ehefrau.

Beliebt bei Drehbuchschreibern ist der Köfferchen tragende, in einem weißen Ganzkörper-Overall steckende Spurensicherer; der Pizzalappen fressende Kommissar im Dienstfahrzeug bei der Überwachung eines Verdächtigen; der Polizist, der den Kopf von Tatverdächtigen beim Einsteigen in den Streifenwagen nach unten drückt; der Kommissar, der mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, weil sein Handy auf dem Nachttischchen tanzt… Ich vermute, dass 20 Prozent aller Krimi-Szenen heute aus Handy-Telefonaten bestehen, und dass die Dramaturgie der Handlung fast nur noch über Handy-Anrufe gesteuert wird.

Viele der Fertigteile aus dem Krimi-Baukasten befinden sich auch schon im Spätstadium der Selbstparodie: etwa die Szene am Kaffeeautomaten des Polizeipräsidiums oder die fest umklammerten Kaffeepötte in den Großraumbüros und bei Verhören; die Recherche am Polizeicomputer; das Knacken eines Computer-Passworts; die Durchsicht der Verbrecherkartei; die Erarbeitung eines Phantombilds mit Hilfe eines Augenzeugen. Obwohl jeder weiß, dass Fernseh-Mörder ihre Taten prinzipiell filmen (oder bei der Tat von Überwachungskameras gefilmt werden), damit die entsprechenden DVDs von den Kommissaren in den nächsten erreichbaren Rekorder geschoben werden können.

Es ist die Konfektionsware, die das Grauen so langweilig macht. Dieses Grauen, das immer öfter darin besteht, dass Kinder entführt, geschlagen missbraucht, gequält, verkauft oder ermordet werden. Der deutsche Krimi ist schon ein seltsames Familienprogramm.

Die Bärte der dabei eingesetzten Klischees kann man um den heimischen Flachbildschirm wickeln: die druckreif sprechende Unterschicht mit der Bügelflasche im Anschlag oder der Kippe im Mundwinkel; das Provinzkaff, das stets ein dunkles Geheimnis birgt (meist eine Gruppenvergewaltigung, an der auch der Gastwirt und der schwachsinnige Sohn des Bürgermeisters beteiligt waren); der korrupte und schmierige Politiker, der seinen Hals aus der Schlinge ziehen will, und am Ende ein so widerliches Würstchen ist, dass selbst die Ehefrau das Alibi verweigert; die ehrgeizige Übermutter aus der sterilen Vorortvilla, deren verzogenes Einzelkind in die Fänge einer Schülergang gerät; der redliche Bauer, der seinen Hof nicht an die kalten Investoren der Dorfmafia verkauft, und dessen hübsche Tochter die Ermordung ihres Vaters auf eigene Faust rächt; der großkotzige, aber feige Journalist, der die eigene Großmutter für eine gute Story verkaufen würde und dessen Schlagzeilen stets dazu führen, dass ein aufgebrachter Vorgesetzter ins Büro der Kommissare stürmt, um ihnen das Revolverblatt vor die Nase zu halten; und schließlich der Kommissar selbst, der in einer verkrachten Hotelpension lebt, seit er von seiner Frau verlassen wurde, und dem nun eine gut aussehende Anfängerin von der Polizeischule vor die Nase gesetzt wird, die dem Mann theoretisch, aber eben nicht praktisch überlegen ist, was nur im Bett der Hotelpension enden kann.

Kurzum: Es reicht. Es ist einfach zu viel vom immer Gleichen, von hastig zusammengeleimten Drehbüchern und lausig gespielten Charakteren. Es fehlt ein Hauch von Wirklichkeit. Das reale Verbrechen – Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruch, Betrug, Fälschung, Schmuggel, Amtsmissbrauch, Raub, Drogenhandel – findet im Fernsehkrimi nicht statt. Es muss Mord sein. Am besten: Serienmord.

2009 wurden in Deutschland 365 Menschen ermordet. Die Zahl der Morde sinkt seit Jahrzehnten. Im Fernsehen aber ist Mord zur inflationären Billigware aufgestiegen. Dieses Morden langweilt.

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