#Angela Merkel

TV-Duell: Der TV-Journalismus hat verloren

von , 14.9.09

Bei den Twitter-Kommentaren zum TV-Duell am Sonntag ging es nach meinem Eindruck vor allem um zwei Aspekte: Erstens um die beiden eher blassen, wenig inspirierenden Kandidaten. Und zweitens um die enttäuschenden Moderatoren.

Stellvertrend für sehr viele Tweets sei etwa Slaens zitiert:

Klare Verlierer – die Moderatoren #tvduell

Auch Lutz Hachmeister vom Institut für Medienpolitik forderte in einer Debatte im Anschluss an das TV-Duell:

Wir brauchen dringend eine Debatte über die journalistische Qualität dieses Formats. Leider haben sich die Veranstalter dem bislang verschlossen.

Die F.A.Z. brachte wenig später ihre Kritik an den Moderatoren auch sehr schnell auf den Punkt “Spiel nicht mit den Tigerenten!“, schalt sie den metapherngeladenen Krawallstil der Moderatoren. Sie seien “streitgeil, hämisch und überheblich” wesen. Die Kandidaten seien auf dümmliche, aggressive und überhebliche Weise befragt worden.

Hans-Jürgen Jakobs bilanziert auf Sueddeutsche.de:

“Wenn einer technisch k. o. ging, dann die versammelte Runde der Spitzenmoderatoren des deutschen Fernsehens.”

Das Medium Fernsehen habe sich selbst viel zu wichtig genommen – und dabei die Politik an den Rand gedrängt. Michael Spreng höhnt, der Beitrag der Moderatoren habe aus 20 verschenkten Minuten bestanden. Jörg Lau hat ganz zurecht einen Wutanfall bekommen:

“Es wurde kaum in der Sache nachgefragt – Merkel nicht zu ihrem Steuerpopulismus, Steinmeier nicht zu seiner Opel-Retterei.”

Und doch: Man muss dazu noch mehr sagen.

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Auf der ganz großen Bühne war zu besichtigen, wie zuspitzungsversessen, flapsig und völlig ungemessen die Politikvermittlung mittlerweile im deutschen Fernsehen geworden ist.

Das “Duell” war nicht die Feier einer Fernsehkultur, wie es sich die Veranstalter erhofft hatten. Es war der Bankrott eines TV-Journalismus, der sich in den letzten Jahren zum dominanten Paradigma der Bewegtbild-Politikvermittlung hochgedient hat. Auf der ganz großen Bühne war zu besichtigen, wie zuspitzungsversessen, flapsig und völlig unangemessen die Politikvermittlung mittlerweile im deutschen Fernsehen geworden ist. So kann es nicht weitergehen.

Ich habe versucht, mit Hilfe des Protokolls der Sendung einige der Strukturmerkmale dieses TV-Journalismus herauszuarbeiten (Ergänzungen und Hinweise gerne – work in progress):

1. Inszenierung eines politischen Konflikts als metapherngeladenes Schauspiel

(“Wenn der Mann tatsächlich am Stuhl der Chefin sägt”, “Schön, wie Sie Doppelpass spielen”, “Ist das ein Wahlkampf-Gag?”,”War die Agenda 2010 nicht ein Kindergeburtstag…?”, “‘Nur über meine Leiche’ – das geht schnell bei der SPD”, “Wer ist der Tiger und wer die Ente?” “Ist die Vernunftehe am Ende?”, “Was sagen Sie zu Steinmeiers ‘Horror-Szenario’ …?)

Politik wird zu einem reizintensiv bebilderten Konflikt – was einem leider völlig die Sicht fürs klare Denken nimmt. Diese mangelnde sprachliche Disziplin beim TV-Duell zeigt den ganzen Verfall eines Genres.

2. Fröhliche Vermischung von Standpunkten, Person und Persönlichkeit

(“Duzen Sie sich eigentlich?”, “Erklären Sie uns, warum Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin sein soll”, “Würden Sie Ihr privat erspartes Geld in “New Opel” investieren?”)

Inhaltliches und Persönliches werden genüßlich zu einem Politics-Policy-Cocktail verrührt, der den Zuschauern dann angeblich besonders gut schmecken soll.

3. Flapsige Kommentierung des Diskussions-Geschehens

(“Wenn wir Sie beide hier so sehen, dann hat man schon den Eindruck dass Sie wirken wie ein älteres Ehepaar”, “Das klingt hier jetzt mehr nach Duett und weniger nach Duell”, “Das sind doch Lippenbekenntnisse…”)

Mit solchen Bemerkungen machen die “Moderatoren” klar, wer hier die Deutungsmacht innehat. Sie spielen sich zu Volkstribunen auf, die Politikern das Wort erteilen.

4. Provozieren, statt offen zu fragen

(“Ist Angela Merkel für Sie eine Marktradikale?”, “Ist die SPD noch eine Volkspartei?”)

Eine gute offene Frage können deutsche TV-Talkmoderatoren offenbar nicht mehr stellen. Sie suchen die Provokation, die ihrer Selbstinszenierung dient, aber nicht der Qualität der Antwort.

5. Lust am plakativen Symbolkonflikt

(Ackermann-Essen, Ulla Schmidts Dienstwagen)

Statt über grundsätzliche Fragen wird lieber über den plakativen Fall diskutiert, den das Publikum leicht nachvollziehen kann.

6. Radikalvereinfachung von Problemen durch Transfer ins Allagsleben

(“Wissen Sie zu welchem Spottpreis man sich in Berlin die Haare schneiden kann?”, “Welche Note würden Sie Deutschland geben beim Thema soziale Gerechtigkeit?”, “Warum kann der Staat jede dreckige Kneipe schließen, aber keine Bank, die mit zweifelhaften Papieren Geschäfte macht?”)

Die Moderatoren greifen mit Vorliebe auf unterkomplexe Erklärungsmodelle zurück: Was mein Zuschauer angeblich nicht versteht, verstehe ich auch nicht.

7. Politiker als Nichtrespekts-Personen

(“Herr Steinmeier, kennen Sie das schlechte Wahlergebnis der SPD in der Nachkriegszeit?”, “Frau Merkel, haben Sie eine Ahnung, um wieviel Prozent die deutsche Wirtschaft in den letzten zehn Jahren gewachsen ist”)

Zur Volkstribunhaftigkeit (siehe 3.) gehört es auch, Politikern nicht mehr den Status von Respektspersonen einzuräumen. Hier wird nicht mehr moderiert, sondern ein populistisches Kreuzverhör zur Unterhaltung des Wahlvolks veranstaltet.

8. Herumwitzeln

(“Oder Sie haben beide schon zusammen geübt, das kann natürlich auch sein.”, “Herr Steinmeier hat gerade ein Rezept ausgestellt”, “Herr Steinmeier haben Sie eine zweite FDP im Koffer irgendwo?”)

Die Witzchen der Moderatoren machen endgültig klar, wo sie stehen und worum es geht: Es geht um Unterhaltung, es geht um die Selbstdarstellung der Moderatoren – aber es geht sicher nicht um die Klärung komplexer politischer Fragen.

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Das TV-Duell war mehr als nur eine Befragung von Spitzenkandidaten. Es war die machtvolle Inszenierung eines Politikverständnisses, für das die vier großen TV-Konglomerate in diesem Land zunehmend stehen: Für das Primat der Darstellbarkeit über das Dargestellte, das Primat der Selbstinszenierung der Moderatoren über das Aufklärungsinteresse. Politik ist in die Klauen des Unterhaltungskomplexes geraten: Es zählt die kurzweilige, nicht die angemessene Vermittlung.

Das Kennzeichen dieses um sich greifenden Politikverständnisses ist ein TV-Journalismus ohne Demut. Ohne Demut davor, dass Politik in Wirklichkeit viel komplexer ist, als er es zu vermitteln vermag. Der TV-Journalismus tut so, als könnte er alles verstehen und vermitteln – und als gäbe es keine Welt darüber hinaus. Der TV-Journalismus totalisiert sich selbst. Dies ist die Atmosphäre von Christiansen, Will, Illner, Plasberg und co.

Aus so einer derart selbstherrlichen Haltung heraus sind auch die meisten Fragen des Duells entstanden. Das TV-Duell war nicht so langweilig, obwohl, sondern weil so aggressiv und überheblich gefragt wurde. Die Volkstribunen trieben die Kandidaten vor sich her, anstatt moderierend zu fragen.

Diese Fehlleistung sollte Konsequenzen haben: Unsere Politik und Demokratie  ist zu wertvoll, um sie vom Kartell der Geschwätzigkeit aus ARD, ZDF, RTL und SAT1 aufreiben zu lassen. Sollte es daher in Zukunft eine Debatte (“Duell” wäre als überdrehte Metapher gleich im ersten Schritt zu streichen) der Kanzlerkandidaten geben – so gibt es keine Begründung mehr, warum diese in den Händen dieser Institutionen liegen sollte.

Christoph Bieber hat mehrfach gefordert, dass derartige Debatten auch in Deutschland nicht von den TV-Stationen, sondern von einer medienübergreifenden Kommission veranstaltet werden. Warum sollten nicht ein oder zwei anerkannte Journalisten (die nicht TV-“Moderatoren” sein müssen) unaufgeregte und präzise Fragen stellen, die sie sich in Ruhe vorher überlegt haben?

Es gibt keine Begründung mehr, warum die Bewegtbild-Debatte der Kanzlerkandidaten den TV-Stationen allein gehören sollte. Und sie haben am Sonntag sehr viele Argumente dagegen geliefert.

Outro: Inhaltlich hat das Duell der Statur des Politikers Frank-Walter Steinmeier geholfen. Er war weniger Bürokrat und mehr Politiker als viele dies vorher angenommen hatten. Er hat damit vor allem seine Stellung als Kandidat innerhalb der SPD gestärkt.

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