von Redaktion Carta, 5.9.10
Der aktuelle Spiegel-Titel über Thilo Sarrazin hält sich zum Glück nicht allzu lange mit der Formel vom “Volkshelden” auf, sondern bietet eine in Teilen nuancenreiche Analyse.
Besonders bemerkenswert: Der Spiegel benennt die Absurdität, dass ein Mann mit ausgeprägten Hang zum Elitären und zum Bildungsdünkel nun als Volksheld gefeiert werde. Für viele seiner Fans hätte Sarrazin wohl vor allem Geringschätzung übrig.
Auszug aus der aktuellen Titelgeschichte:
Das sich unverstanden fühlende Deutschland, das nun gegen die Elite aufbegehrt, hat sich zu seinem Helden einen Mann erkoren, der so elitär denkt und fühlt wie kaum einer im politischen Milieu und der die Überlegenheit, die er gegenüber weniger gescheiten Menschen empfindet, schnell durchscheinen lässt.
Viele Leute täuschen sich über seinen Hochmut, weil dieser durch die Ticks des Eigenbrötlers gemildert wird. Was die meisten für eine schrullige Pose halten – das hochgereckte Kinn, die vor der Brust verschränkten Arme –, offenbart tatsächlich eine Weltsicht, in der von hoch oben das Gewühl und Gewimmel am Fuß des Berges in den Blick genommen wird.
Am Grund von Sarrazins Denken liegt das Ressentiment. Das richtet sich nicht gegen diejenigen, die weniger besitzen oder aus schlechterem Elternhaus kommen – Geld oder Herkunft sind für Sarrazin keine Kategorien, da ist er ganz Demokrat.
Der entscheidende Bewertungsmaßstab für den Büchernarren, der im Gymnasium noch Latein, Hebräisch und Griechisch hatte, ist das Verlangen nach Bildung. Dass auch viele seiner Bewunderer bei Sarrazin nur auf Geringschätzung stoßen würden, ist eine Pointe, die den Fans entgeht.