#Badiou

Die Finanzkrise als Katastrophen-Film? Zu Alain Badious Realitätskritik

von , 23.11.08

In „Le Monde“ erschien letzten Monat ein Artikel des Pariser Philosophieprofessors Alain Badiou, der zuletzt auch in deutschsprachigen Tageszeitungen (TAZ, Standard) veröffentlicht wurde, in einer längeren, englischen Version auch hier. Badiou ist bekannt dafür, als einer der führenden Köpfe des einstigen französischen Maoismus bekannt gewesen zu sein. Das ist oft so bei den Intellektuellen links des Rheins: sie ziehen ihre Prominenz aus etwas, das heute nurmehr schwer nachvollziehbar ist, wie Psychoanalyse, Strukturalismus, Marxismus, etc. Das Sympathische daran ist die Tatsache, dass sie als Intellektuelle gleich welcher Couleur oft noch vehement Position beziehen.

Die Position von Badiou aber ist entlarvend: er spielt den Filmkritiker, der so tut, als hätte nur er allein den aktuellen Katastrophenfilm gesehen und diesen nun für uns eingeschätzt:

So wie man sie uns präsentiert, ähnelt die globale Finanzkrise einem dieser schlechten stereotypen Filme, der von der Erfolgsfabrik ausgeheckt wurde, die man heute das “Kino” nennt. Nichts fehlt, inklusive der überraschenden Wendungen, die für Angst und Schrecken sorgen: Unmöglich ist es, den schwarzen Freitag aufzuhalten, alles bricht zusammen, alles wird zusammenbrechen? Aber die Hoffnung bleibt.

Welche Hoffnung denn? Nun – die auf den erwartbaren kitschigen Ausgang: „Sarkozy küsst Merkel, und alle Welt weint vor Glück“  . . .  Badiou fordert dazu auf, diesem Kitsch zu entsagen, sich dem Schattenspiel des „Krisenfilms“ ab- und wieder der Realität zuzuwenden. Was aber ist das genau? Filmkritikern sei es unbenommen, sich als Intellektuelle zu gebärden, aber das, was zugegebenermaßen vor unseren Augen abläuft (was wir von den Vorgängen wissen, das haben wir ja nur in Medien gelesen oder gesehen) ist dennoch kein Film, auch wenn die Metapher verführerisch erscheint. Wir befinden uns nicht vor der Kinokasse, wo wir uns auch anders entscheiden können, sondern mitten im Geschehen, nur der Grad an Betroffenheit ist unterschiedlich.

Philosophen gefallen sich in dem fortlaufenden Spiel, das irgendwann mit der platonischen Unterscheidung von Sein und Schein begonnen hat – mit der Unterscheidung zwischen dem, was wirklich ist, und dem, was uns lediglich als Wirklichkeit vorgespiegelt wird. Im Zeitalter fortgeschrittener Medienwirklichkeit ist dies aber ein billiges Argument, das nicht mehr funktioniert. Tatsächlich tritt Badiou in das Fettnäpfchen der Eigentlichkeit, wenn er meint „das Reale der Völker“ gegen „das Spektakel des Kapitalismus“ auszuspielen zu können.

Auf der Suche nach dem Realen trifft man – wohl nicht nur aufgrund und innerhalb der Grenzen des Kommentars von Badiou – auf den bitteren Boden des Lebens, in dem Menschen über keinerlei Ressourcen verfügen, und somit auf „die neuen Proletarier, die aus Afrika oder von woanders herkommen, und die intellektuellen Erben der politischen Kämpfe der letzten Jahrzehnte.“ Spätestens nun verschlägt es einem den Atem, mit welcher Perfidie hier ein Intellektueller sich einer vermeintlich neuen sozialen Bewegung anbiedert, ein Linker, dem das agitierbare Proletariat (aus den Peugeot-Werken etc) abhanden kam und der es jetzt aus Afrika in bekanntlich hoher Zahl nachwachsen sieht. Und schwadroniert vom Bruch mit dem “Kapital-Parlamentarismus” (etwa, weil diese Leute nicht wahlberechtigt sind?)

Was ist Realität? Bezogen auf die Finanzkrise – Tatsächlich ging der internationale Geldmarkt seiner Realität noch vor aller Liberalisierung der Finanzstandorte verlustig, aufgrund einer historischen Schmierenkomödie mit realer Wirkung. Mitte 1971 verkündete US-Präsident Nixon das Ende des Goldstandards. Seine Regierung benötigte Geld nicht nur zur Finanzierung von Sozialprogrammen, sondern vor allem zur Finanzierung des Vietnamkriegs. Die einseitig proklamierte Freisetzung der Wechselkurse bedeutete, dass fortan gedruckte und in Umlauf gesetzte Dollarscheine nicht mehr wie bislang durch das Gold gedeckt sein mussten, das in der Federal Reserve Bank real gebunkert wurde.

Wer erinnert sich noch daran, dass die Diskurse über Immaterialität damals begannen? Die Register des Symbolischen und des Tatsächlichen wurden auseinander dividiert, aber hier wie dort ließen sich Geschäfte machen. Den Verfechtern einer danach trotzdem aufrecht erhaltenen Ordnung hält Badiou die Möglichkeit eines bevorstehenden neuen Kommunismus entgegen: „die antizipierte Gewissheit eines ganz anderen Verlaufs der Dinge“. Das klingt ja toll. Warum nur beschleicht einen dabei der Gedanke, derartige Verfechter „der Fusion lebendigen Denkens und organisierter Aktion“ könnten die Regisseure des nächsten wirklichen Krisenfilms sein?

Dennoch, mit der Kritik am politischen Order „Rettet die Banken“ schlägt man sich trotz aller Problematik wiederum gern auf Seiten Badious, scheinen doch Stil und Form dieser unbedingten Order sich jeglicher Kritik grundsätzlich entsinnen zu wollen.

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