von Tatjana Brode, 17.1.13
Gast der Veranstaltung war Friedrich von Borries, Architekt und Professor für Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Moderiert wurde das Gespräch von Carta-Herausgeber Leonard Novy. Der Text folgt den Ausführungen und fasst diese zusammen.
Der Begriff “Urbane Intervention” wird in unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt: militärisch, künstlerisch, politisch und auch im Marketing. Zeitgleich mit Deutschlands verstärktem Einsatz bei militärischen friedenserhaltenden Interventionen eroberte der Begriff Kunst und Städtebau, etwa Mitte der 1990er Jahre. Aus der Perspektive der Architektur handelt es sich um eine nichtbauliche, temporäre Maßnahme, die in den Raum eingreift, um etwas zu verändern.
Künstlerische urbane Interventionen arbeiten mit intelligenten Verdrehungen und Umkehrungen, die die Wahrnehmung verändern, mitunter informell und an der Grenze zum Illegalen. Darüber werden Botschaften kommuniziert. Ein Beispiel: In New York errichtete eine Gruppe Aktivisten Barrikaden aus Büchern gegen die Polizei. Dies erzeugte in den Medien ungewohnte Bilder von Polizisten, die gegen Bücher vorgingen.
Urbane Interventionen müssen nicht für alle lesbar sein, sondern können sich an bestimmte Zielgruppen richten, wie die Aktionen des Guerilla Knitting, bei dem Gegenstände im öffentlichen Raum durch Stricken verändert werden, oft mit einem feministischen Hintergrund.
Erst temporär, dann für länger
Interventionen haben eine kurze Haltbarkeit. In welch einer Zeit leben wir, fragte Friedrich von Borries, in der man so optimistisch in eine temporäre Praxis geht? Könnte es sein, dass Menschen ohne Utopien, polemisch gesagt, lediglich kurzfristig eingreifen können?
Doch eine Intervention ist keine mehr, wenn sie sich verstetigt. Mitunter scheinen temporäre Aktionen so große Lücken zu hinterlassen, dass diese mit langfristigen Zielen gefüllt werden. Ein Beispiel ist der Berliner Prinzessinnengarten: Auf einer Brache wurde ein temporärer mobiler Garten angelegt, die Pflanzen wachsen in mit Erde gefüllten Kisten. Im Sommer können die Stadtbewohner Obst- und Gemüsesorten kennen lernen, man verkauft Getränke und Selbstgeerntetes – mit Erfolg. 2009 hatte das urbane Landwirtschaftsprojekt begonnen. Was damals als temporär gedacht war, soll nun verstetigt werden. Interessantes Detail: Der Prinzessinnengarten wird durch eine GmbH betrieben, nicht durch einen Verein, das Grundstück ist gemietet, nicht besetzt. Die Betreiber des Gartens wollen bleiben und führen einen Stabilisierungsdiskurs mit der Stadt. Die Chancen stehen gut, es gibt ähnliche Situationen, in denen der Senat für das Bleiben entschied.
Die Ausstellung alternativer Lebensstile wird im Moment der Verstetigung zum Alltag, oft auch zu einem Teil des Stadtmarketings, der Imageproduktion des Quartiers. In einer Lesart ist es ein Erfolg, wenn eine Intervention ein langfristiges Ergebnis hat.
Kunstfeindlichkeit als ökonomischer Zwang
Auf der anderen Seite hat alles, was Aufmerksamkeit für bestimmte Stadtregionen schafft, nicht selten deren eine Aufwertung zur Folge. Das bedeutet, dass sich die Leute, die betroffen sind, die Region nicht mehr leisten können. Beispiel Tempelhofer Feld in Berlin, das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof: Die Anwohner wollen weder Gartenschau noch Erholungspark, weil sie fürchten, dann umziehen zu müssen.
Erst subversiv, dann top-down
Intuitiv werden urbane Interventionen einem linken, gegenkulturellen Milieu zugeordnet, das sich subversiver Strategien bedient. Doch die Methoden können selbstverständlich von allen erfolgreich eingesetzt werden, von Konzernen zum Produktmarketing, von Stadtplanern zur Durchsetzung der Umgestaltung ganzer Quartiere.
Klassische Musik im öffentlichen Raum, im Bahnhof, ist eine Intervention des Hamburger Senats in der Hoffnung, die Obdachlosen zu stören – auch, wenn sich inzwischen alle daran gewöhnt haben. Hier handelte es sich um eine politische Intervention aus einer bürgerlichen Richtung.
Ein anderes Beispiel, ebenfalls aus Hamburg: Park Fiction begann als eine urbane Intervention auf einem Gelände am Elbufer. Mitte der 1990er Jahre entwarfen Anwohner und Künstler einen öffentlichen Park an einem Ort, für den die Stadt gerade einen Bebauungsplan beschlossen hatte. Statt nur gegen die Senatspläne zu protestieren, startete Park Fiction einen als Spiel organisierten parallelen Planungsprozess. Inzwischen ist der Park fast fertig, und Christoph Schäfer, der künstlerische Koordinator von Park Fiction, ein gefragter Berater in Stadtplanungsprozessen. Insofern wäre die Intervention ein Testfeld, eine Weiterbildungsmaßnahme für kreative Geister, die anschließend ökonomisiert werden.
Stadtplaner nutzen Methoden urbaner Interventionen, um beschlossene Bebauungspläne top down durchzusetzen, man “lässt partizipatorische Kunst darüberlaufen”, wie Friedrich von Borries es ausdrückt, statt tatsächliche Partizipation zuzulassen. Dieses „abgesoftete top down“, in dem künstlerische Aktionen nur Mittel zum Zweck sind, zeigt das Dilemma der Korrumpierbarkeit in Aushandlungsprozessen. Mit künstlerischen Interventionen versuchen Stadtplaner, den ökonomischen Zwang zu überdecken und so Akzeptanz bei den Anwohnern zu schaffen, ohne diesen eine Option zur Mitgestaltung zu geben.
Was also begann, um Politik nicht über Machtdiskurs und Streit zu beeinflussen, sondern durch ironische Unterwanderung – ohne Macht und Geld -, könnte sich nun gegen die richten, die es erfanden. Oder anders gesehen: Neue künstlerische Praxen fließen in die Stadtplanung ein, Interventionen können genutzt werden, um herauszufinden, was man transformieren will, wohin Mittel künftig fließen sollen – kreative Strategien werden in formalisierte Prozesse übertragen.
Intervention als Simulation von Revolution
2010 realisierten die beiden deutschen Theatermacher Hannah Hofmann und Sven Lindholm für das Theater Basel das Projekt „Basler Unruhen“, bei dem 200 Bürger das Rathaus stürmten. Das Aneignen des öffentlichen Raums war nur symbolisch, die Künstler hatten Genehmigungen und das Einverständnis des Bürgermeisters eingeholt.
Dieses Projekt kann man aus zwei Perspektiven sehen: Einmal als Empowerment: Die Teilnehmer wurden aktiviert, trainiert vielleicht für eine spätere Aktion ohne Genehmigung. Die andere Sichtweise geht von dem Theater als Ersatzraum aus. Menschen, die schon immer das Rathaus stürmen wollten, können dies nun in geordneten Bahnen tun – die Intervention wäre dafür ein Ventil und würde beruhigend wirken.
Mittel zum Zweck oder Selbstzweck
Was kommt nach der Intervention? Mitunter Leere und Enttäuschung, mitunter wird aus der Avantgarde Mainstream. Über den Prinzessinnengarten berichtete jüngst das „Bahn mobil“-Magazin. Wo verläuft die Grenze zwischen einfach nur nicht mehr hip und schon korrumpiert? Es scheint unmöglich, gleichzeitig Gegenkultur und Aushängeschild einer Stadt zu sein, doch bewegen sich urbane Interventionen oft auf diesem schmalen Grad. Möglicherweise, sagt Friedrich von Borries, haben wir alle multiple Identitäten, könnten Street Artist und Werber zugleich sein.
Die Veranstaltung war eine Kooperation mit ZEIT ONLINE und fand in deren Räumen am Askanischen Platz in Berlin statt. Etwa 50 Gäste folgten dem Carta-Diskurs zu urbanen Interventionen und diskutierten mit Friedrich von Borries. Die nächste Veranstaltung dieser Reihe wird es im März geben, wir informieren Sie rechtzeitig auf carta.info.