Rechtsfragen der Informationsgesellschaft: Youtube, ACTA, Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung

von , 6.9.10

Videoaufnahmen bei Verkehrsverstößen sind gerechtfertigt
Das BVerfG hat am vergangenen Freitag eine Frage zu Verkehrsüberwachung mit Kameras entschieden. Ein Autofahrer hatte Verfassungsbeschwerde erhoben, nachdem er von einem Verkehrsüberwachungssystem gefilmt worden war – und damit auch einer Ordnungswidrigkeit überführt wurde. Das BVerfG entschied nun, dass das Speichern der Videobilder zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, dieser Eingriff aber gerechtfertigt ist. Grund: Die Speicherung erfolgt nur bei begründetem Verdacht einer Ordnungswidrigkeit; sie ist durch die §§ 100h Abs. 1; 101 StPO i.V.m. § 46 OwiG auch genügend klar geregelt.

Urteil gegen Jörg Tauss ist rechtskräftig
Der Bundesgerichtshof hat die Revision von Jörg Tauss gegen dessen erstinstanzliche Verurteilung verworfen. Der Gerichtshof verwarf die Entscheidung nicht durch Urteil, sondern per einfachem Beschluss. Begründung: Die Revision sei „offensichtlich unbegründet” (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung erging ohne weitere Begründung. Der BGH muss Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 StPO nicht begründen, darf dies jedoch tun und hat in der Vergangenheit von dieser Möglichkeit in anderen Fällen auch Gebrauch gemacht – allerdings hielt er es in diesem Fall offenbar nicht für angebracht. Laut Presseberichten ist derzeit noch unklar, ob Tauss gegen die nunmehr rechtskräftige Verurteilung vor das Bundesverfassungsgericht zieht – er selbst schreibt auf seiner Webseite, die Verurteilung werde von ihm „unverändert nicht akzeptiert”, auch wenn sie aufgrund der „dubios rekordverdächtigen Eilentscheidung des Bundesgerichtshofs” nun rechtskräftig geworden sei.

Youtube muss einzelne Musikvideos sperren
Das Landgericht Hamburg hat offenbar entschieden, dass Musikvideos auf der Videoplattform Youtube für das Unternehmen „eigene Inhalte” sind. Das Gericht entschied laut einem Bericht auf Heise Online, der Plattformbetreiber habe sich die Videoinhalte zu eigen gemacht – und verweigerte Youtube damit eine Haftungsprivilegierung nach dem TMG. Google, das Youtube betreibt, nennt das Urteil EU-rechtswidrig und hat Rechtsmittel angekündigt.

EU-Kommissarin lässt Vorratsdaten-Richtlinie überprüfen
Die EU-Innenkommissarin Malmström hat in einem Interview erklärt, wie sie sich die Revision der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorstellt. Es sei nicht möglich, die Richtlinie wieder zurück zu nehmen; allerdings gebe es Fehler, die auf die „hastige” Verabschiedung der Richtlinie im Nachgang der 9/11-Anschläge zurückzuführen seien. Diese Fehler könne man korrigieren, aktuell arbeite hieran eine interne Arbeitsgruppe. Die Revision der Richtlinie erfolgt auch als Reaktion auf die harte Gegenwehr aus den Mitgliedstaaten – so hatte auch das deutsche BVerfG das deutsche Umsetzungsgesetz für verfassungswidrig erklärt.

Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung bei Bundesbehörden
Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und der Grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland haben eine Verfassungsbeschwerde gegen § 5 BSIG eingereicht. Die Vorschrift regelt, wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Daten erheben darf, um Bundesbehörden vor Angriffen mittels Schadsoftware zu schützen. Vorwurf der Verfassungsbeschwerde: Das Gesetz erlaube, soweit es um die Kommunikation mit Bundesbehörden gehe, eine Art Vorratsdatenspeicherung. So könne z.B. auch ermittelt werden, wer sich auf den Internetseiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über Impotenz informiert hat.

Rheinland-Pfalz plant Online-Durchsuchung
Das Bundesland Rheinland-Pfalz unternimmt als erstes Bundesland den Versuch, eine grundrechtskonforme Rechtsgrundlage für eine präventive „Online-Durchsuchung” zu schaffen. Dabei geht es nicht um eine Durchsuchung, die der Ermittlung von Straftaten dient – sondern, darum, diese schon zu verhindern. Dazu sollen sich Polizeibeamte von außen in fremde Computer hacken dürfen, um von dort Daten auszulesen. Die Vorschrift enthält umfangreiche Vorschriften zum Grundrechtsschutz und versucht so die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum IT-Grundrecht umzusetzen.

ACTA auf der Zielgeraden
Das Anti Couterfeiting Trade Agreement (ACTA) soll im September unterschriftsreif werden – ohne, dass die ACTA-Mitglieder den Text des Entwurfs jemals offiziell der Öffentlichkeit bekannt gegeben hätten. Bisher verliefen sämtliche Verhandlungen zu dem Abkommen unter Geheimhaltung, auch wenn frühere Entwürfe bereits durchgesickert sind (PDF). Vor der Ratifikation soll der fertige Entwurf aber der Öffentlichkeit auch offiziell präsentiert werden. ACTA regelt weitaus mehr als nur „Anti Counterfeiting”, d.h. die Bekämpfung von Plagiaten: Das Abkommen enthält eine breite Palette von verschiedenen Maßnahmen zur Stärkung des Schutzumfangs bei Immaterialgüterrechten. Hiergegen protestieren Internet-Aktivisten und Urheberrechts-Experten.

In Zusammenarbeit mit Telemedicus präsentiert Carta jeden Montag zentrale Entwicklungen des Medien- und Informationsrechts. Dieser Wochenrückblick wurde zusammengestellt von Simon Möller.

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