von Frank Cebulla, 13.1.14
Es muss irgendwann 2008 gewesen sein, als ich mich für die Piraten zu interessieren begann. Damals fiel mir insbesondere die — zu dieser Zeit noch völlig unstrittige — Piratenlosung „Wir sind nicht links oder rechts, sondern vorn!” auf. Mir schien da eine Bürgerrechtsbewegung in Gestalt einer Anti-Parteien-Partei heranzuwachsen, die etwas völlig Neues versuchen wollte.
Als überzeugter Nichtwähler fühlte ich mich von der Politik der etablierten Parteien zutiefst abgestossen und sah die Demokratie auf einem Ast sitzen, an dem korrupte Politiker, Lobbyisten, Überwachungsfanatiker und monopolisierte Unternehmen beständig sägen. Ich glaube, meine Hoffnung, dass mit den Piraten eine Kraft auf der politischen Bühne erschienen war, die das bestehende System konsequent hinterfragen und von innen heraus angreifen und verändern wollte, wurde von vielen Menschen in diesem Land geteilt.
Die Partei wuchs rasant, und ich trat ein Jahr später ein und engagierte mich seitdem aktiv in meinem Kreis– und Landesverband. Die Umfragewerte und Wahlergebnisse waren bombastisch, die Piraten zogen in kurzer Zeit in vier Landesparlamente ein.
Heute, fünf Jahre später, hat sich viel verändert.
Ich glaube, es war Marina Weisband, die einmal öffentlich gesagt hat, dass wir zwar auch ein Programm haben, aber vor allem ein neues Betriebssystem wollen. Zu Beginn des Jahres 2014 arbeiten Piraten im ganzen Land an diesem neuen Betriebssystem. Viele tausend Parteimitglieder sind z. B. dabei, die anstehenden Kommunalwahlen in einigen Bundesländern vorzubereiten, Kandidatenlisten aufzustellen, sich in die Kommunalpolitik ihrer Städte und Gemeinden einzuarbeiten und lokal und regional für mehr Transparenz, Bürgerrechte und direkte Demokratie zu kämpfen.
In meiner Stadt trifft man überall in der Kommunalpolitik auf Piraten — im Bürgerhaushalt, im Arbeitskreis Nahverkehr, in Bürgerinitiativen wie „Mein Eichplatz” oder „Unser Jena”, auf den Gästeplätzen des Stadtrates genauso, wie in öffentlichen Ausschusssitzungen oder bei Bürgerbegehren, Bürgeranfragen oder Einwohneranträgen.
Im krassen Gegensatz dazu ist unsere öffentliche Außenwirkung jedoch seit geraumer Zeit eine völlig andere. Nicht nur, dass wir den Einzug in den Bundestag verfehlt haben, auch unsere Umfragewerte sind nun beständig im Keller. Bei Wahlprognosen, beispielsweise für die dieses Jahr anstehende Landtagswahl in Thüringen, tauchen wir schon gar nicht mehr auf. Die fleißige Arbeit der vielen — in meiner Wahrnehmung häufig mit eher liberalen oder sozialliberalen Überzeugungen ausgestatteten — Piraten-Idealisten wird nicht (mehr) wahrgenommen.
Die Hoffnung der Bürger hat sich von uns abgewendet. Woran liegt das?
Auf Twitter musste ich neulich folgenden Tweet lesen:
Wann verpisst auch eigentlich dieses rechte Dreckspack welche immer sagen weder l noch r aus dieser Partei. Lest unser Grundsatzprogramm.
Ok, nehme ich also diese nette Aufforderung wörtlich und lese mal wieder das Grundsatzprogramm. Hier fallen mir vor allem folgende Sätze auf:
„Die Piratenpartei will sich auf die im Programm genannten Themen konzentrieren, da wir nur so die Möglichkeit sehen, diese wichtigen Forderungen in Zukunft durchzusetzen. Gleichzeitig glauben wir, dass diese Themen für Bürger aus dem gesamten traditionellen politischen Spektrum unterstützenswert sind, und dass eine Positionierung in diesem Spektrum uns in unserem gemeinsamen Streben nach Wahrung der Privatsphäre und Freiheit für Wissen und Kultur hinderlich sein würde.” (Hervorhebung von mir)
„Wir Piraten streben eine möglichst hohe demokratische Gleichberechtigung aller Menschen an. Deswegen ist es Ziel der Piratenpartei, die direkten und indirekten demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten jedes Einzelnen zu steigern und die Partizipation jedes einzelnen Mitbürgers an der Demokratie zu fördern.”
„Die digitale Revolution ermöglicht der Menschheit eine Weiterentwicklung der Demokratie, bei der die Freiheit, die Grundrechte, vor allem die Meinungsfreiheit sowie die Mitbestimmungsmöglichkeiten jedes Einzelnen gestärkt werden können.”
„Wir Piraten sind überzeugt, dass die Gemeinschaft einzelne Mitbürger nicht bevormunden darf.”
„Im Gegensatz zu Bevormundung ist es die Aufgabe des Staates, die Grundrechte des Einzelnen zu achten und zu wahren und ihn vor Grundrechtseinschränkungen, auch gegenüber der Mehrheit, zu schützen. Die Freiheit des Einzelnen findet dort seine Grenzen, wo die Freiheit eines anderen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.”
Ich lese außerdem im Wiki der Piratenpartei in den FAQ:
Seid ihr links/rechts?
- Nein, wir Piraten sehen uns außerhalb der Gerade zwischen den Extremen „rechts“ und “links“. Trotzdem sind wir nicht irgendwo in der Mitte dieser (gedachten) Geraden anzutreffen, sondern außerhalb dieser – unserer Meinung nach zu simplen – eindimensionalen Betrachtungsweise von politischen Positionen. Wir stehen für den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, wie sie durch das Grundgesetz gedacht ist. Freiheit ist ein zentrales Element unserer Vorstellungen.
- Wir stehen außerhalb der eindimensionalen Schemata, mit denen Politik üblicherweise kategorisiert wird. Die Frage des 21. Jahrhunderts lautet nicht „rechts“ oder „links“, „konservativ“ oder „sozialdemokratisch“. Es geht um Freiheit oder Autoritarismus. Wir positionieren uns ganz klar auf der Seite der Freiheit. Oberste Autorität für uns ist die freiheitliche und demokratische Grundordnung nach unserem Grundgesetz. Dabei sehen wir Freiheit untrennbar verbunden mit Verantwortung. Wir stehen deshalb für ein soziales und tolerantes Miteinander, den freien Zugang zu Wissen und Kultur und einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten.
Ich habe nirgendwo eine Aufforderung gefunden, Menschen, die diese wesentlichen Grundwerte unserer Partei gut finden und vertreten, als „rechtes Dreckspack” zu diffamieren oder gar aus der Partei auszuschließen.
Oder, um es für Dummköpfe und Fanatiker noch mal zu wiederholen: „Wir positionieren uns ganz klar auf der Seite der Freiheit” ist ein liberaler Gedanke. Zusammen mit unseren Ideen und Forderungen nach sozialer, politischer und kultureller Teilhabe jedes Einzelnen in der Gesellschaft entsteht daraus ein sozialliberales Grundgerüst.
Ich bin mir bewusst, dass derartige Begrifflichkeiten und Schubladen ihre Schwächen haben, aber sie dienen uns zumindest als Hilfsmittel, um die Wertorientierung der Piratenpartei auch dem letzten Vollpfosten verständlich zu machen. Wie Abstimmungen zu bestimmten Themen auf Landes– und Bundesparteitagen immer wieder gezeigt haben, wird diese Wertorientierung zudem von der übergroßen Mehrheit der Piraten geteilt.
Kommen wir zu unserem Ausgangspunkt zurück.
Die Piratenpartei, oder besser gesagt, ihre Mitglieder leiden derzeit unter dem Bekenntniszwang einiger weniger Fanatiker, die ihre Ideologie allen aufzwingen wollen, koste es, was es wolle.
Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich dabei um Ideologen eines sehr weit links liegenden politischen Spektrums. Diese Wenigen sind nicht nur laut, sie sind vor allem aggressiv, sie denunzieren und diffamieren, sie greifen zu unlauteren Mitteln (wie das Spamblocken von unliebsamen Twitter-Accounts), sie sind nicht an einem Dialog oder an einer Diskussion interessiert, und ihr Horizont bewegt sich auf dem Niveau Wer-nicht-für-uns-ist-ist-gegen-uns. Oder, wer sich mit der Antifa nicht solidarisieren will, muss ein Nazi sein. Oder, wen ein Wort wie Nation in einem Antrag nicht stört, ist ein Nationalist und damit erst recht ein Nazi. Und so weiter.
Die Taktik der Einschüchterung und Aggressivität trägt Früchte. Die Schreihälse und Trolle bestimmen die öffentliche Diskussion innerhalb der Partei und zunehmend auch die Außenwahrnehmung der Partei. Der sogenannte Fahnenstreit auf dem letzten Bundesparteitag ist ein gutes Beispiel dafür.
Thomas Weijers hat das in seinem Blog zum Anlass genommen, einen Richtungsstreit zu postulieren. Ich glaube, dass die meisten Piraten dem, was er zu sagen hat, zustimmen können. Trotzdem merkt man deutlich, dass seine Veröffentlichung unter dem Bekenntnisdruck der wenigen linken Ideologen leidet. Auch sein letzter Absatz ist der Angst geschuldet, nun von diesen Leuten in eine rechte Ecke gedrängt zu werden, wo er — nach allem, was er schreibt — sich keineswegs verortet sehen will.
Das Phänomen findet man mittlerweile in der ganzen Partei. Leider schaffen es die vielen gemäßigten Piraten nicht, die Schreihälse in ihre Schranken zu weisen. Leider gibt es keine mutige Versammlungsleitung, die eine Fahne aufgrund der vorher getroffenen Regelungen zu Symbolen und Infomaterial auf dem Parteitag wieder abhängen lässt.
In einer Partei, der die Freiheit des Einzelnen und seine Rechte wichtiger als alles andere sind, ducken wir uns vor den Nazi-Keulen der agitatorischen Kampftruppen weg und überlassen ihnen das Feld. Das ist mehr als nur bedauerlich.
Man wird einwenden wollen, dass vieles von dem, was ich schreibe, nur in der Filterbubble der Piraten und ihren bevorzugten sozialen Netzwerken wie Twitter stattfindet. Aber hier liegt — mittlerweile — ein großer Irrtum. Die Partei wird nämlich auch von außen zunehmend nicht mehr über ihre politische Arbeit wahrgenommen (der politische Gestaltungswille ist nicht selten sogar völlig verloren gegangen), sondern über unsägliche Diskussionen und Streite, über Randthemen, über extreme Positionen aus den Niederungen des politischen Spektrums, über Galionsfiguren eines agitatorischen Fanatismus, über linke Ideologie und einen radikalen Feminismus, über Sympathien zu gewaltbereiten Aktionisten usw.
Den Normalbürgern und Normalwählern mögen die Details in diesem bedauerlichen Geschehen nicht im Einzelnen bekannt sein. Aber es reicht allemal, ein gewisses Gefühl für die Vorgänge in und um die Piratenpartei zu bekommen.
Wie dieses Gefühl aussieht, sagen uns die Umfragewerte. Die Piratenpartei läuft in mit rasanter Geschwindigkeit Gefahr, in der Außenwahrnehmung zu einer ideologisierten, radikalisierten, linken Randgruppenpartei zu verkommen. Derartige Parteien haben wir bereits in Deutschland. Es ist vermutlich nur einem treuen Teil der Netzgemeinde zu verdanken, dass wir in der Wählergunst noch nicht auf das Niveau der MLPD abgestürzt sind.
Wir bekommen eine historische Chance nach der anderen. Die Letzte war der Rausschmiss der FDP aus dem Bundestag und die Leere, die derzeit im Bereich einer ernsthaften liberalen und Bürgerrechtspolitik geradezu danach schreit, besetzt zu werden.
Es wäre doch sehr schade, wenn wir Jahre der politischen Arbeit in den Sand setzten und das Feld denjenigen überließen, die der Partei ihren Stempel aufdrücken und die Deutungshoheit über die Grundwerte der Piraten erlangen wollen. Das wäre im übrigen nicht nur eine Katastrophe für die Zukunft der Partei, die damit endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde, sondern auch für die Zukunft dieses Landes. Denn die Piraten sind derzeit die einzige politische Kraft, die der Demontage und dem Ausverkauf der Demokratie und dem drohenden totalitären Überwachungsstaat entgegentreten.
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